Hamburg. Die Coronakrise setzt Kinobetreibern und Filmproduzenten zu. Was passiert mit den Filmen, die jetzt nicht anlaufen können?

Kinos haben geschlossen, Produzenten und Regisseure können nicht mehr drehen. Wie so viele Lebensbereiche ist natürlich auch die Filmbranche von der Coronakrise betroffen. Von Traumfabrik keine Spur, es droht eher ein Albtraum – und es gibt zurzeit eine Menge ungelöster Fragen. Michael Lehmann, Produktionschef von Studio Hamburg, ist vor Kurzem von einem Kongress aus Singapur zurückgekommen. „Die haben dort ihr tägliches Leben seit gut drei Monaten umgestellt, aber kein Museum, kein Theater ist geschlossen. Dafür wird an jeder Ecke sehr strikt Fieber gemessen. Man fühlt sich gut aufgehoben.“

Die Studio Hamburg Produktion Gruppe wollte im März eigentlich so viele Filme wie nie zuvor zu dieser Jahreszeit drehen. „Wir haben natürlich unsere eigenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, uns jetzt aber entschieden, alle Drehs abzubrechen.“ Die Reaktionen der Mitarbeiter hätten von „Ich möchte sofort nach Hause“ bis zu „Ich möchte drehen, weil das meine Arbeit ist“ gereicht. Komparsenszenen mit vielen Menschen sind unmöglich, empfohlen wird außerdem ein Mindestabstand von 1,5 Metern. „Da fragen sich die Schauspieler natürlich: Wie wird meine Liebesszene denn aussehen?“, so Lehmann. Das ließe sich nur lösen, wenn man mit den Schauspielern Schnelltests machen könnte.

Goldene Kamera und der Deutsche Fernsehpreis sind abgesagt worden

Und es geht nicht nur um Dreharbeiten: Die Goldene Kamera und der Deutsche Fernsehpreis sind abgesagt worden. Beide hätte die Studio-Hamburg-Tochter Riverside Entertainment produzieren sollen. Aufgrund der aktuellen Lage hat Studio Hamburg ein Auftragsvolumen von 20 Millionen Euro in den Herbst verschoben. Im Dezember habe es noch einen Arbeitskräftemangel gegeben, demnächst herrsche ein Überangebot.

Eigentlich hätte am zurückliegenden Wochenende auch der von Studio Hamburg produzierte Kinofilm „Berlin, Berlin“ starten sollen. Er wurde verschoben. Lehmann glaubt, viele Verleiher würden nun die Kinostarts überspringen und die Filme direkt bei Streamingdiensten anbieten. „Die Masse an Kinofilmen, die sich jetzt staut, findet gar keine Leinwände.“ Er sei froh, dass der von ihm produzierte Film „Lindenberg! Mach dein Ding“ noch regulär in die Kinos kam. Das Glück hatte beispielsweise die Bestseller-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ nicht. Sie schaffte in den drei Wochen, in denen die Kinos noch geöffnet waren, eine halbe Million Zuschauer. Produzent Stefan Arndt hatte mit drei Millionen gerechnet.

Fnanzielles Risiko ist sehr groß

Studio Hamburg gibt den Sendern eine Fertigstellungsgarantie, das finanzielle Risiko ist daher sehr groß, und es gebe für die Zukunft noch sehr viele ungeklärte Fragen. „Es geht an die Sub­stanz“, lautet Lehmanns Fazit. Sein Appell: „Kauft alle Kinofreikarten! Legt das Geld für die fünf Kinobesuche, die ihr ohnehin gemacht hättet, auf den Tisch!“ Er will jetzt seine Branchenkollegen überreden, Kinos, mit denen sie gut zusammengearbeitet haben, jeweils 50 Freikarten abzukaufen, um die dann an die eigenen Mitarbeiter zu verschenken.

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    Die Hamburger Produzentin Verena Gräfe-Höft hat sich mit Arthouse-Filmen von jungen Filmemachern wie „Tore tanzt“ einen Namen gemacht. Sie wollte sich vor einigen Tagen eigentlich mit ihren Kollegen vom Produzentenverband in Weimar zum Gedankenaustausch treffen. Das wurde wegen der Viruskrise abgesagt, stattdessen gab es eine Videokonferenz. „Es waren bis zu 86 Leute gleichzeitig online, das war ziemlich cool“, sagt sie. Die Branche warte jetzt auf die auf Bundes- und Landesebene angekündigte finanzielle Unterstützung. „Ich war ziemlich beeindruckt davon, wie schnell die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit der Hamburger Kulturbehörde einen Arbeitskreis gebildet hat. Die erste Umfrage zur aktuellen Situation kam gleich an dem Montag, als die Schulen geschlossen wurden.“

    „Kultur und Kunst ist viel mehr als bloße Unterhaltung“

    Eigentlich sollte im April der von ihr produzierte Film „Pelikanblut“ in die Kinos kommen, der jetzt erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Mit „Schlaf“ hatte Gräfe-Höft einen weiteren Film am Start, der auf der Berlinale Premiere feierte und jetzt ebenfalls in die Warteschleife geschoben wurde. „Die Interviews und Werbekampagnen, die wir für ihn gestartet hatten, sind erst einmal ins Leere gelaufen.“ Völlig unklar sei noch, wie man den Berg von immer mehr nicht gestarteten Filmen abarbeiten könne, wenn der Betrieb wieder anläuft. „Eine Verschiebung des Starts ist auch deshalb ein Problem, weil daran letzte Förderzahlungen geknüpft sind“, so die Produzentin. Sie hofft auf die Kulanz der Institutionen. „Eigentlich bin ich aber auch positiv gestimmt. Kultur und Kunst ist viel mehr als bloße Unterhaltung, es ist auf eine Art und Weise das, was uns als Gesellschaft zusammenhält.“

    Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

    • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
    • Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
    • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
    • Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
    • Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen

    Dirk Evers, Chef vom Schanzenkino 73, hat bis auf zwei Mitarbeiter alle in die Kurzarbeit geschickt. Er ist auch verantwortlich für eine Lagerfläche von 600 Quadratmetern, auf der Open-Air-Kino-Material aufbewahrt wird. „Da gibt es immer etwas zu tun“, sagt er. Einnahmen habe er zurzeit keine, Hilfe von außen sei angekündigt, aber noch nicht angekommen. Aber er habe noch ein paar finanzielle Reserven. „Ein richtig harter Schlag wäre es für uns, wenn jetzt auch noch das Open-Air-Schanzenkino abgesagt würde.“ Die Veranstaltung soll Mitte Juli beginnen, im vergangenen Jahr kamen rund 25.000 Besucher.

    Ein neuer James-Bond-Film braucht die große Leinwand

    Er hoffe jetzt auf ein Entgegenkommen der Stadt, die im vergangenen Jahr die Gebühren im Sternschanzenpark versechsfacht hatte. Zu diesem Thema laufen bereits Gespräche. Evers leitet eine GmbH die das Open Air im Schanzenpark und eines auf Usedom veranstaltet sowie rund 50 Open-Air-Veranstaltungen technisch betreut. Auch stellt sie LED-Wände etwa für den Hamburg Marathon zur Verfügung. Der fällt bekanntlich jetzt ebenso aus wie das Public Viewing bei der abgesagten Fußball-Europameisterschaft. Für seine Firma ein herber Schlag. Zumal außerdem gilt: „In der Kinoszene bewegt sich momentan gar nichts mehr.“

    Schwierige Zeiten auch für das Zeise-Kino: „Wir leben vom Publikum. Wenn es nicht kommen darf, sind wie bei null“, sagt deren Geschäftsführer Matthias Elwardt, der seit 30 Jahren im Kino-Geschäft ist und lange für das Programm im Abaton verantwortlich war. In seinem Kino werden zurzeit Arbeiten erledigt, die sonst nur schwer in den Alltag einzubauen sind: Der Holzfußboden wird neu lackiert, die Technik gewartet, das Foyer umgestaltet.

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    Dass einige US-Verleiher ankündigen, Filme jetzt zuerst auf Streaming-Plattformen herausbringen zu wollen, beunruhigt ihn nicht. Blockbuster wie der neue James Bond, da ist er sicher, bräuchten zwingend das Kino-Gemeinschaftserlebnis und die große Leinwand. Seinen Optimismus will sich Elwardt jedenfalls nicht nehmen lassen. Er hält es mit Martin Luther, der gesagt haben soll: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“