Hamburg. Viktor Bodó sucht das Bizarre in Franz Kafkas Klassiker „Das Schloss“. Premiere ist am Sonnabend im Deutschen Schauspielhaus.
Wer im Malersaal des Schauspielhauses das Glück hatte, Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ oder „Ich, das Ungeziefer“ nach Franz Kafkas „die Verwandlung“ zu sehen, der hat mitgefiebert, mitgelitten – und viel gelacht. Nach diesen beglückenden Abenden ist es nur folgerichtig, dass der ungarische Regisseur Viktor Bodó nun erstmals die große Bühne bespielen darf. Wieder mit Kafka. Diesmal richtet er für die Premiere am 22. Februar dessen Romanfragment „Das Schloss“ ein.
Der Regisseur, vielfach preisgekrönt und seit langem im deutschsprachigen Stadttheater erfolgreich, ist für Schauspieler immer auch eine Herausforderung. Denn da gibt es bis heute eine sprachliche Hürde. Die Schauspieler sprechen kein Ungarisch, Bodó spricht kein Deutsch, aber auch kein Englisch.
Und so ist seit zwölf Jahren Anna Veress die Stimme an seiner Seite. Die Dramaturgin übersetzt nahezu simultan auch während der Proben und kennt sich im Gedankenkosmos des Regisseurs bestens aus. Im Interview ist sie, natürlich, ebenfalls präsent und blickt erwartungsvoll durch dicke Brillengläser.
Bodó: Ich liebe Franz Kafka
Bodó trägt Funktionshose und Adidas-Shirt. Eine Beschränkung aufs Wesentliche, die Raum für Denken und Inhalt schafft. „Ich liebe Franz Kafka. Alle seine literarischen Werke. Auch seine Briefe. Die sind so kompliziert, dass sie das Gehirn verdrehen.“ Gleichzeitig seien sie aber für das Theater ideal. „Die Tatsache, dass es da eine realistische Grundlage gibt, die sich mit fantastischen Dingen vermischt sowohl in der Handlung als auch in den Figuren, ist befreiend für mich.“
In „Das Schloss“ versucht der Landvermesser K. Kontakt zu einem ominösen Vorgesetzten Klamm aufzubauen, erlebt eine flüchtige, merkwürdige Liebe und muss erfahren, dass alle seine Bemühungen, hoch ins Schloss zu gelangen, scheitern.
Hatte Bodó zuletzt in „Ich, das Ungeziefer“ noch die Familienkonstruktion untersucht, so ist es jetzt ein größerer gesellschaftlicher Zusammenhang. „Mich interessiert die Gemeinschaft der Leute. Wie sie jemanden ausstoßen oder noch nicht einmal annehmen“, sagt Bodó.
„Das Verhalten gegenüber einem Fremden. Es ist der Kampf des kleinen Mannes gegen dunkle, unsichtbare Mächte.“ Dabei geht es dem Regisseur nicht um eine Aktualisierung im Hinblick auf das europäische Phänomen der Migration. Vielmehr erzählt „Das Schloss“ von einer Ausgrenzung im universellen Sinn.
Auf der Bühne wird es mehr Aktion geben
Bodó ist sehr froh, mit diesem Roman erstmals die große Bühne des Schauspielhauses zu bespielen, sagt er (sagt die Dolmetscherin). Dafür suchte er nach einem Stoff, mit dem er sich gut auskennt. „Das Schloss“ hat er bereits vor 16 Jahren in Graz inszeniert. Es soll keine trockene Adaption für die Bühne werden, das Team hat den Text weiterentwickelt, auch mit Hilfe von Improvisationen der Schauspieler.
Der zentrale Konflikt des Landvermessers K. ist geblieben. „Er selbst glaubt, dass er vorankommt, indem er auch Beziehungen mit Leuten aufbaut und vermeintlich eine höhere Stufe erreicht, aber in Wirklichkeit geht er rückwärts“, erzählt Viktor Bodó. Das Ziel bleibt unerreichbar. Die Lage ist aussichtslos. Zunächst einmal gilt es, den Roman zu dramatisieren. „Wir haben so ein unheimlich wertvolles, literarisch geniales Text-Meer vor uns“, sagt Bodó. „Man kann geradezu darin versinken. Aber für die Bühne müssen wir das natürlich zusammenstreichen. Es wird mehr Aktion geben.“
K., ein Mann in mittleren Jahren, ist im Roman nur wenig charakterisiert. Carlo Ljubek übernimmt die Hauptrolle. In der fremden Umgebung verhält er sich ungeschickt, verstößt gegen Regeln, aber er bleibt zäh im Streben nach seinem Ziel. „Er kämpft einen heroischen Kampf gegen die Konstruktion, die das Bühnenbild darstellt“, so Bodó. Die Bühnenbilder sind immer sehr besonders in den Inszenierungen des Ungarn.
Minimalismus ist seine Sache nicht, eher eine detailreiche, opulent gestaltete realistische Welt, in der es viel zu entdecken gibt. „Bühnenbilder funktionieren dann gut, wenn die Aufgabe der Figur sofort konkret wird“, sagt Viktor Bodó. „Ich mag realistische Räume. Aber das Spannende an diesen Räumen ist, dass alles von Anfang an etwas Poetisches hat. So ein Raum drückt einen Seelenzustand aus. Ich würde ihn hier einen aktiven Raum nennen.“ Bodó hat auch leere Räumen ausprobiert, aber sich darin eher verloren und keinen Ausdruck gefunden.
Schon immer ein eher rebellischer, unbequemer Regisseur
Die markanten Bühnenbilder geben auch Raum für seine häufig skurrile, auf Situationskomik setzende Leichtigkeit. „Wenn wir einen Humor suchen, wird das Ganze nicht mehr so witzig sein. Humor kommt dann zustande, wenn etwas unerwartet Tragisches, Absurdes geschieht“, erklärt er. „Ich habe früher nur seriöse Adaptionen von Kafka gesehen. Mit Melonen und schwarzen Anzügen. Säuerlich. Langweilig. Ich glaube, dass in dem Text viel mehr Leben steckt. Man muss das Düstere, Überraschende, Bizarre hinter der Oberfläche finden.“
Viktor Bodó inszeniert bis heute auch in Ungarn, auch wenn es Künstler dort unter der derzeitigen Führung schwer haben, wenn sie nicht eine bestimmte, nationale Richtung bedienen. Wenn es die nicht gäbe, hätte er vielleicht noch mehr Möglichkeiten, aber er beklagt sich nicht. Das deutschsprachige Theater ermöglicht ihm beglückende Arbeitsumfelder.
Dabei ist er schon immer ein eher rebellischer, unbequemer Regisseur gewesen. Am Anfang, noch zu Schulzeiten, stand für ihn die Frage, wie er einen Skandal provozieren könne. „Ich habe die Schule geschwänzt und stattdessen Theaterszenen mit Kameraden entwickelt“, erzählt er und ein leises Lächeln durchzieht seine zumeist ernste Miene. Die Übersetzerin lacht scheppernd. „Daraus entstanden die Grundlagen meiner Theaterarbeit, deshalb kann ich bis heute keine Geschichte ordentlich und brav erzählen.“
Aber wer will schon einen seriösen, säuerlichen Kafka erleben?
„Das Schloss“ Premiere Sa 22.2., Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13