Hamburg. Lebendiges Theater: „Die beiden Fiedler“ in der Staatsoper und „Die kleine Zauberflöte“ im Allee Theater.

Was macht gutes Kindertheater aus? Die Maßstäbe für „erwachsenes“ Theater einfach nur proportional zu übertragen, ist jedenfalls kein Weg. Kinder brauchen eine klare, explizite, unironische Erzählweise. Mit Überhöhungen braucht man ihnen nicht zu kommen, aber intelligent soll es bitte trotzdem sein. Und das Schöne ist: Die Mittel sind so vielfältig wie das Genre selbst. Das war am Sonnabend an zwei grundverschiedenen Hamburger Produktionen zu erleben.

Die Staatsoper setzt in ihrer Reihe „opera piccola“ auf heutige Musik. „Die beiden Fiedler“ von Peter Maxwell Davies stammt zwar aus den 1970er-Jahren. Die Botschaft des Werks aber hat an Aktualität eher noch gewonnen. Davies erzählt eine Parabel: Zwei Jungs aus einem Fischerdorf verirren sich mit ihren Geigen in einem Wald. Sie verlieren sich. Einer der beiden, Tom, begegnet den Trollen, vor denen sie sich vorher schon ausgiebig und szenisch wie musikalisch so überzeugend wie unterhaltsam gegruselt haben.

Oper mit Trollen

Die Bühnen- und Kostümbildnerin Lena Scheerer hat die Waldwesen in pastellzarte, glitzernde Gewänder gesteckt. Was Trolle genau sind, ob gut oder böse, bleibt offen. Gerade diese Uneindeutigkeit schafft eine Projektionsfläche, auf der jeder Betrachter seine ganz eigene Geschichte erleben kann.

Tom also geigt für die Trolle, zum Dank erfüllen sie ihm einen Wunsch: Die Menschen in seinem Dorf sollen nicht mehr arbeiten müssen. Das ist Wendepunkt und inhaltlicher Kern des Stücks. Wo der Mensch sich nicht mehr anstrengen muss, zerfällt das Miteinander, gehen Kultur und Lebensfreude verloren.

Es folgt eine Art Nummernrevue, die vorführt, wie die Dorfbewohner den Versuchungen des Konsums erliegen. Die Trolle verkörpern die schöne neue Werbewelt tanzend und singend zu einer Art Swing à la Davies, während die Menschen, jetzt in Silberglitzer und mit Bildschirmbrillen, immer passiver werden. Hier buchstabiert das Stück seine Botschaft ein wenig zu sehr durch. Das mag daran liegen, dass es für eine Schule geschrieben wurde. Da braucht es genügend Ensembleszenen.

Die Kinder gehen von Anfang an spürbar mit

Der Regisseur Stephan Witzlinger und die Choreografin Milena Junge haben ganze Arbeit geleistet: Die beteiligten Kinder und Jugendlichen bewegen sich präzise und mit sichtlichem Vergnügen durch den Bühnenraum der Opera stabile, einige der Kleineren strahlen unaufhörlich. Ein Lob auch für die Textverständlichkeit. Sungho Kim als Tom und Nicholas Mogg als Gavin, beide Mitglieder des Opernstudios, schlagen Funken aus ihren Rollen. Ihrer Kollegin, der jungen Sopranistin Na’ama Shulman, scheint die Rolle als Trollkönigin in die Kehle geschrieben zu sein. Der arme Tom kann ja gar nicht anders, als sich von ihrem gurrenden Vibrato und ihren Koloraturen hypnotisieren zu lassen. Und die Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters mit dem jungen Luiz de Godoy am Pult bringen Davies’ vielgestaltige, atmosphärisch dichte Musik zum Leuchten.

Die Produktionen der „opera piccola“ strahlen es in ihrer handwerklichen Opulenz einfach aus, was für eine potente Maschinerie hinter ihnen steht. Schön, dass es das gibt – aber genauso schön, dass es auch anders geht.

KInder gehen spürbar mit

Das Theater für Kinder im Allee Theater arbeitet seit Jahr und Tag mit einer winzigen Bühne, Licht, ein paar Requisiten und einem noch winzigeren Graben. Mit der Premiere von „Die kleine Zauberflöte“ haben der Regisseur Andreas Franz und der musikalische Leiter Tjaard Kirsch einmal mehr bewiesen, was sich damit dank Erfahrung, Kreativität und Hingabe alles erreichen lässt. Wichtigster Bestandteil des Bühnenbildes ist ein Nesselvorhang. Er wird als Baldachin und Raumteiler dienen, als Versteck und als Sternenhimmel. Dazu wachsen ein paar überlebensgroße Papp-Pilze aus dem Bühnenboden, fertig ist die leuchtend bunte Trickfilm-Ästhetik.

Die hauseigene Fassung von Mozarts „Zauberflöte“ – die Partitur ist für Klavier, Flöte und Geige verdichtet, Chapeau für die Musiker – komprimiert die Arien und Ensembles behutsam. Rezitative ersetzt sie durch gesprochene Dialoge, rafft den Text und lenkt ihn sanft in die Gegenwart. Das hat wesentlich Anteil daran, dass die Kinder von Anfang an spürbar mitgehen. Das Ensemble ist sehr gut gecastet. Stefanie Wagner, Anne Elizabeth Sorbara und Alina Behning flöten nicht nur die drei Damen, sie sind auch noch Königin der Nacht (mit sämtlichen Spitzentönen), Pamina und Papageno. Joshua Spink ist ein satisfaktionsfähiger Tamino, und Alessandro Gebhardt verkörpert den Monostatos, der seine Mohren-Eigenschaft in Zeiten der politischen Korrektheit abgelegt hat, mit Witz und schier akrobatischer Bühnenpräsenz.

Das könnte Sie auch noch interessieren:

„Monsterboss“ nennt ihn Papageno, zum Vergnügen der Kinder. Robert Elibay-Hartog kostet das komödiantische Potenzial der Rolle voll aus und nimmt immer wieder Kontakt mit dem Publikum auf. Wenn er sich vor Verzweiflung über sein fortgesetztes Junggesellendasein am nächsten Pilz aufknüpfen möchte, richtet er noch einmal das Wort ans Auditorium: „Will nicht eine von euch, ehe ich ganz hänge, doch mit mir Mitleid haben?“ Worauf ein Junge aus den vorderen Reihen ruft: „Ich!“ Und beim finalen Showdown stehen einige Kleine mit offenem Mund auf den vorderen Treppenstufen, um ja nichts zu verpassen.

Lebendiger kann man sich Kindertheater nicht wünschen.

„Die beiden Fiedler“ 11., 12., 14., 15., 16., 18., 19., 21., 22. und 23.2., Staatsoper (Opera stabile), Karten zu 28,- unter T. 35 68 68;

www.staatsoper-hamburg.de