Hamburg. Gleich dreimal steht „My Fair Lady“ im Großen Saal auf dem Spielplan. Regisseur über seine Sicht auf den Klassiker.
Manche Musicals sind absolut zeitlos und der Broadway-Klassiker „My Fair Lady“ mit Musik von Frederick Loewe gehört ohne Zweifel dazu. Der 1956 uraufgeführte Stoff, den Alan J. Lerner von George Bernard Shaws literarischer Vorlage „Pygmalion“ adaptierte, ist einem breiten Publikum durch die Verfilmung mit Audrey Hepburn und Rex Harrison bekannt. Es ist die Geschichte eines eigenwilligen Experiments: Der egomanische Sprachwissenschaftler Professor Henry Higgins wettet mit seinem Freund Oberst Pickering, dass es ihm gelingt, aus dem einfachen Blumenmädchen Eliza Doolittle mittels Bildung ein vollwertiges, akzeptiertes Mitglied der ehrenwerten britischen Gesellschaft zu formen.
Der Stoff, angetan mit unvergesslichen Ohrwürmern wie „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ oder „Tu’s doch!“ liefert ein ideales Märchen für ein Silvester- und Neujahrskonzert. In einer großen Besetzung bringt Dirigent Alan Gilbert das Musical vom 30. Dezember bis zum 1. Januar mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und dem NDR Chor in die Elbphilharmonie. Der österreichische Regisseur Michael Sturminger probt unter anderem mit Burgschauspieler Michael Maertens als Professor Higgins, seinem in Hamburg lebenden Bruder Kai Maertens als Oberst Pickering und der Sopranistin Sarah Maria Sun als Eliza Doolittle. Sturminger hat bereits einige Theater- und Opernabende in der Elbphilharmonie gestemmt und im März 2017 dort „Call Me God“ mit John Malkovich inszeniert.
Elbphilharmonie ideal für Theaterstoffe
Sturminger findet, dass die Elbphilharmonie ideal für Theaterstoffe ist. Natürlich müsse man diese aber für einen Konzertsaal anders aufbereiten als für eine klassische Guckkastenbühne an einem Theater. Die Inszenierung in dem offenen Rund soll ganz schlicht und pur werden. Die Szenenwechsel soll der Zuschauer gleichwohl gut nachvollziehen können. „Das Wichtigste ist, dass man tolle Sänger und Singschauspieler hat und die haben wir. Dann kann man die Räume über die menschliche Fantasie herholen“, so Sturminger. Die Inszenierung ist szenisch angelegt, allerdings abstrakt, also ohne Dekoration. Der Saal der Elbphilharmonie bildet im Grunde die Einheitsbühne, das Orchester das Bühnenbild. Der gesamte Saal soll bespielt werden. Die Kostüme transportieren heutige Eleganz. „Das Märchen, wie hier ein Straßenmädchen zur Prinzessin wird, findet bei uns auch optisch statt“, erzählt der Regisseur.
Nun könnte ein Musical aus dem Jahr 1956 schon ein wenig anachronistisch anmuten. „Die Vorlage ‚Pygmalion‘ ist ein interessantes, kluges Stück über Männer und Frauen. Es ist auch ein altmodisches, patriarchalisches Stück, wenn man sieht, wie sich ein Wissenschaftler als Herrenmensch aufspielt und wie er mit einer jungen Frau umgeht“, räumt Sturminger ein. „Aber man spürt, dass seine Sicht beschränkt ist und das Stück thematisiert das auch.“
Märchenhafter Charakter der Geschichte
Der zweite Aspekt, der ihn an dem Stoff interessiert, ist die Frage nach der Durchlässigkeit einer Gesellschaft. Das Stück ist eigentlich in London angesiedelt. Die britische Gesellschaft ist für ihren sehr ausgeprägten Standesdünkel bekannt. Das Gros der Premierminister besuchte das Eton College und studierte in Oxford. Die herrschende Schicht ist immer noch klein und die Herkunft verrät sich in Sprache, Stimme und Verhalten. Dabei sollte eine demokratische Gesellschaft ja offen und durchlässig sein, gleiche Chancen für alle bieten.
Aktuelle Musicals in Hamburg:
Aktuelle Musicals in Hamburg
Sturminger und sein Team verlegen die Geschichte nach Hamburg, weil das der Ort sei, der dieser Atmosphäre von Upperclass in Deutschland am ehesten nahekomme, auch wenn die Bedingungen hier andere seien. Natürlich lebt das Musical von dem märchenhaften Charakter der Geschichte, der intelligente Unterhaltung verspricht. Es lebt aber auch von zeitlosen Kompositionen und Liedern. „Das ist eine einfache, geniale Musik, großartig arrangiert und längst Teil des kollektiven Gedächtnisses der Welt“, sagt Sturminger.
Allerlei komische Momente
Aus dem Aufeinandertreffen der Exzentrik und Anmaßung des Wissenschaftlers einerseits und der eigenständigen Persönlichkeit des jungen Mädchens andererseits entstehen allerlei komische Momente. Natürlich sei auch George Bernard Shaw klar gewesen, dass es sich hier um Allmachtsfantasien handele. „Er ist einfach grauenvoll, dieser Higgins, und Michael Maertens spielt das so charmant, komisch und schnell und trotzdem so egoman und tyrannisch“, sagt Sturminger. Anders als in „Pygmalion“ entwickelt sich zwischen Higgins und Doolittle in „My Fair Lady“ eine Liebesbeziehung. Gleichwohl sei auch schon in „Pygmalion“ der Wunsch spürbar, dass die beiden zusammenkommen, ohne dass der Professor das allerdings zulassen könne, so Sturminger.
Die prominente Besetzung war der ausdrückliche Wunsch des Regisseurs. Die Herausforderung für die Schauspieler besteht darin, dass sie eben auch singen müssen. „Maertens ist hochmusikalisch. Ein Chansonnier mit wunderbarem Timing und einer tollen Phrasierung.“ Hochzufrieden ist der Sturminger mit der Wahl der Sopranistin Sarah Maria Sun für die Rolle der Eliza Doolittle. „Ich kenne kaum eine zweite Sängerin, die gleichzeitig so singen und auch noch spielen kann und so gut mit Sprache und Dialekt arbeitet.“ Bei dem Filmklassiker war es so, dass Audrey Hepburn bei den Songs gedoubelt wurde, während sich Rex Harrison als Sänger einigermaßen behauptete.
Absurdes Heiligtum
Die Schauspielerinnen und Schauspieler werden, anders als Chor und Orchester, mit Mikrofon verstärkt auftreten. Das sei bei Musicals und ohnehin in allen Sälen mit mehr als 1000 Plätzen üblich. Der Regisseur hat da eine ganz klare Haltung. „Es ist ein absurdes Heiligtum und hat viel mit konservativer Dummheit zu tun, wenn man sagt, ein Mikrofon sei eine Entwürdigung eines Opernsängers. Wenn eine Stimme nicht trägt, trägt eine verstärkte Stimme natürlich auch nicht. Da werden immer so pseudoreligiöse Glaubenssätze aufgemacht“, sagt Sturminger. „Wir wollen ja auch nicht mehr mit Kerzenlicht beleuchten.“
„My Fair Lady“ 30.12., 31.12., 1.1., jeweils 20.00, Elbphilharmonie Hamburg (Großer Saal), eventuell Restkarten an der Abendkasse