Hamburg. Stage Entertainment schließt seine Theater im Ruhrgebiet. Die Produktionen an der Elbe sind dagegen erfolgreich wie nie zuvor.

Paukenschlag in der deutschen Musicalbranche: In Oberhausen schließt die Stage Entertainment im März 2020 ihr Metronom Theater. Und auch das Colosseum Theater in Essen, in dem allerdings schon seit einigen Jahren kein Musical mehr gespielt wird, will Stage zum nächsten Sommer verkaufen. Die Nachricht sorgte auch für Verunsicherung in Hamburg, nach New York und London der weltweit drittgrößte Musicalstandort mit rund zwei Millionen Besuchern pro Jahr. Aktuell laufen an der Elbe vier Stage-Produktionen: „König der Löwen“, „Paramour“, „Tina“ und „Pretty Woman“. Wie sicher ist der Standort Hamburg mit rund 1000 Mitarbeitern und vier Häusern?

„Der Hamburger Markt wächst und ist unser mit Abstand erfolgreichster in Deutschland“, sagt Stage-Sprecher Stephan Jaekel. Knapp die Hälfte des Umsatzes in Höhe von 300 Millionen Euro pro Jahr macht Stage Germany in Hamburg, die andere Hälfte in Berlin und Stuttgart. Die Saison 2018/19 sei das bislang stärkste Jahr in Hamburg überhaupt gewesen.

Man kann auch sagen: Des einen Leid ist des anderen Freud. Denn die Besucherströme, so Jaekel, ziehen vom Ruhrgebiet an die Elbe. „Hamburg ist unser absoluter Hotspot.“ Das liege auch an der Stadt, die für Musical-Touristen zahlreiche weitere Attraktionen zu bieten hat. „Aber 80 Prozent unserer Besucher sagen, dass sie in erster Linie wegen der Musicals nach Hamburg kommen.“

Produktionskosten liegen bei bis zu 20 Millionen Euro

Ein Grund für die glänzenden Aussichten ist für Jaekel der aktuelle Spielplan in Hamburg. „Das Musicalgeschäft ist sehr risikoreich, weil man vorher nie hundertprozentig sagen kann, wie ein Stück beim Publikum ankommt.“ Und ob somit die erheblichen Produktionskosten wieder eingespielt werden. Sie liegen pro Musical zwischen fünf Millionen („die unterste Grenze“) und 20 Millionen Euro.

Das hänge auch davon ab, ob man, wie etwa bei „Pretty Woman“, teure Lizenzen kaufen muss, um ein Stück auf die Bühne bringen zu können. Oder ob es sich wie bei „Tina“ um eine Stage Eigenproduktion handelt, „wo man außerdem besonders viel künstlerische Freiheit gehabt hat“. Am gestrigen Donnerstag hatte die Show übrigens Premiere am Broadway.

Tina Turner bei "ihrem" Musical in Hamburg

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    Ein „Ausnahme-Phänomen“ bleibt für Jaekel der „König der Löwen“, auch aufgrund seiner unvergleichlich breiten Zielgruppe. „Wir nähern uns dem 18. Geburtstag in Hamburg und sind nach wie vor nahezu jeden Abend ausverkauft – und wir knacken in Kürze die Besuchermarke von 14 Millionen.“ Das Musical „Pretty Woman“ setze den Erfolg von „Mary Poppins“ nahtlos fort. „Wir erhalten Bestnoten vom Publikum für die Bühnenfassung des weltberühmten Liebesfilms.“ Und „Paramour“ in der Neuen Flora sei eine absolute Genre-Innovation. „Cirque du Soleil trifft Musical und katapultiert beides auf ein neues Niveau, dabei werden permanent alle Sinne der Besucher angeregt“, sagt Jaekel.

    Zwei Millionen Musical-Besucher pro Jahr

    „Es gab nicht wenige Stimmen, die uns 2014 bei der Eröffnung unseres vierten Theaters vorhersagen wollten: ,Das bekommt ihr nie gefüllt‘“, sagt Jaekel. „Wir haben das Gegenteil bewiesen: Dank einer Vielzahl neuer Musicals haben wir den hiesigen Markt dauerhaft erweitert. Das spornt uns an, in Hamburg stets die Topstücke zur Premiere zu bringen.“

    Hamburg habe, so Jaekel, als Musicalstadt längst nationale Strahlkraft. Das drücke sich auch darin aus, dass viele Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen. „Von den knapp zwei Millionen Besuchern in der Saison 2018/19 kamen 80 Prozent von außerhalb.“

    Dazu zählten verstärkt Gäste aus Nordrhein-Westfalen, die ihr Musicalerlebnis mit einem Hamburg-Besuch verbinden. „Das ist einer der Gründe, warum wir im Ruhrgebiet nicht dauerhaft erfolgreiche Spielstätten betreiben konnten und das Oberhausener Theater schließen müssen.“ Nach 15 Jahren und zwölf Produktionen ist dort mit dem „Tanz der Vampire“ im März 2020 Schluss. Wie es mit dem betriebseigenen Theatergebäude weitergeht, steht noch nicht fest.

    Scharfe Kritik kommt von Musical-Star Alexander Klaws

    Ein zweiter Grund liege in der enorm hohen Dichte des subventionierten Kulturangebots der einzelnen Ruhrgebietsstädte, das sei in Deutschland einmalig. „Als nicht subventioniertes Privattheaterunternehmen konkurrieren wir im Ruhrgebiet mit einer der dichtesten Kultur- und Theaterlandschaften Deutschlands“, sagt Stage-Geschäftsführerin Uschi Neuss. Jaekel: „Das Ruhrgebiet bleibt aber ein überaus wichtiger Quellmarkt für unseren Hamburger Erfolg, dessen weiterer Ausbau festes strategisches Ziel ist.“

    Für Musical-Star Alexander Klaws kommt das Aus aber nicht unerwartet. „Alle wundern sich darüber, was sich aus meiner Sicht längst angekündigt hat. Theater schließen, weil große Firmen unter anderem nicht mit der Zeit gehen, an ihrer fragwürdigen Preispolitik festhalten, und überall an der Qualität gespart und somit ihr Publikum teilweise für dumm verkauft wird“, schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Eintrittskarten seien „unangemessen teuer“, gleichzeitig aber sitzen anstelle eines Orchesters nur noch fünfköpfige Bands im „Orchestergraben“. Klaws: „Aber na ja, das Publikum merkt schon nichts ...“

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    In Hamburg kostet ein Ticket im Schnitt 82 Euro

    Zudem werde nicht ausreichend in den Nachwuchs investiert. „Siehe die Joop van den Ende Academy, die vor zwei Jahren plötzlich geschlossen wurde.“ Stattdessen würden die Musicalbetreiber nur darauf achten, mit möglichst geringem Aufwand Gewinne einzufahren. Sein Appell: „An alle großen ,Macher‘ da draußen: Investiert in die Qualität, investiert in die Kunst, die unsere und eure Welt für ein paar Stunden im Alltag schöner macht. Macht es richtig – oder lasst es bleiben!“

    Die Forderung nach niedrigeren Eintrittspreisen und höherer Qualität vergleicht Jaekel mit der eierlegenden Wollmilchsau. „Alles geht eben nicht.“ Dabei lägen die Kartenpreise im Ruhrgebiet schon 40 Prozent unter Eintrittspreisen in Hamburg, wo ein Ticket im Durchschnitt 82 Euro kostet. Pro Musical würden in der Regel zwischen 35 und 40 Akteure engagiert, wovon die Hauptdarsteller und die festen Ensemblemitglieder, von denen etliche sämtliche Rollen spielen können, „sehr gut“ bezahlt werden. Zu den Darstellern kämen noch je nach Stück zwischen zehn und zwanzig meist fest angestellte Musiker.

    Zur Kritik von Klaws, der bei Stage zum Musical-Darsteller ausgebildet worden ist, sagt Jaekel: „Wir reden lieber mit Alexander als über ihn.“