Hamburg. Der Musiker hat mit seinen Soulmates ein politisches Doppelalbum aufgenommen. An seiner Generation lässt er kein gutes Haar.
Ein neues Doppelalbum, ein Konzert in der Laeiszhalle (31. Oktober): Leslie Mandoki, umtriebiger Welt-Musiker, meldet sich lautstark zurück. Ein Gespräch über Legenden und Leidenschaften, Rebellen und Europa.
Hamburger Abendblatt: Auf Ihrem neuen Doppelalbum „Living in the Gap/Hungarian Pictures“ schlagen Sie einen weiten Bogen von Rock bis Jazz. In zwei Songs, basierend auf Themen des ungarischen Komponisten Béla Bartók, kommt es zu furiosen Duellen von zahlreichen Ausnahme-Instrumentalisten wie Al Di Meola, Ian Anderson oder Till Brönner. Befürchten Sie nicht, dass sie damit die Rock-Fans überfordern?
Leslie Mandoki: Das haben schon viele gesagt. Ich antworte immer das Gleiche: In den 1970er Jahren haben Bands wie Emerson, Lake und Palmer oder Jethro Tull mit ihrem progressiven Rock weltweit Arenen gefüllt. Das sind Stadion-Legenden. Wie käme ich also dazu zu behaupten, diese Musik könnte ich den 22-Jährigen heute nicht mehr zumuten? Aber wenn es so sein sollte, scheitere ich gerne. Progressiver Rock ist nur deshalb tot, weil die Plattenfirmen das nicht mehr veröffentlichen wollen. Also machen wir es selbst.
Wie ist das Album entstanden?
Mandoki: Ehrlich? Ich wollte kein Album mehr machen. Wir haben mit den „Soulmates“ 2018 bei den Grammy Awards gespielt, es gab Standing Ovations, die New Yorker Presse hat uns gefeiert. Ich stand inmitten dieser fantastischen Musiker und dachte: Was soll jetzt noch kommen? Wenn ich noch ein Album mache, muss es das beste meines Lebens werden. Ich bin drei Wochen nach Bali gefahren, habe mich in ein Häuschen gesetzt und jeden Tag 20 Stunden Songs geschrieben.
Ist es das Beste geworden?
Mandoki: Das müssen die Menschen beurteilen. Es ist eine Art Vermächtnis. Das Album bricht mit allem. Es ist gesellschaftspolitisches Kraftfutter, eine selbstkritische Abrechnung mit meiner Generation.
Inwiefern?
Mandoki: Wir hinterlassen unseren Kindern eine Welt in Wohlstandstrümmern. Wir sind reich und ungerecht. Zu vieles ist im Argen. Heute wird mehr Geld für Rüstung ausgegeben als vor 35 Jahren. Wir haben ein soziales Ungleichgewicht in der Gesellschaft geschaffen und den Casino-Kapitalismus etabliert, anstatt auf eine humanistische Gesellschaft zu bauen, in der die Achtsamkeit über die Gier siegt. Wir leben in Echokammern, in denen wir nur von unserer eigenen Meinung umgeben sind. Es geht längst nicht mehr um eine offene Diskussion. Es gibt eine Spaltung in der Gesellschaft. Und es ist existenziell, dass wir wieder zueinander finden. Auf dem Album musizieren wir uns durch diese Themen.
Es gibt zwei Songs, über junge und alte Rebellen. Worin unterscheiden die sich denn?
Mandoki: Wie schäbig ist es, dass unsere Kinder jeden Freitag auf die Straße gehen müssen, weil wir zwar ein Pariser Abkommen geschlossen haben, aber nicht daran denken, die Beschlüsse auch einzuhalten?
Die alten Rebellen sind auch gegen Aufrüstung und Atomkraft auf die Straße gegangen. Heute setzt Deutschland auf erneuerbare Energien, hat sich von Atomkraft und Kohle verabschiedet.
Mandoki: Richtig, aber ich hätte gerne den Atomausstieg in Deutschland aus ideologischen und nicht aus pragmatischen Gründen gesehen – wegen der Katastrophe in Fukushima. Noch besser wäre es, wir wären gar nicht eingestiegen und hätten den nächsten Generationen nicht Unmengen von strahlendem Müll hinterlassen – ohne zu wissen, wohin damit.
Wenn Sie trommeln, kommen alle. Lionel Ritchie, Phil Collins. Chaka Khan hat gesagt: Leslie bringt die Menschen zusammen.
Mandoki: Wir sind eine musikalische Wertegemeinschaft. Ein Haufen idealistischer Rebellen mit unbändiger Spielfreude. Eine verschworene Gemeinschaft, teilweise seit 30 Jahren zusammen. Eigentlich gilt: Bis der Tod uns scheidet. Ausgestiegen ist noch keiner, außer dass tragischerweise Jack Bruce, Greg Lake, Jon Lord und Michael Brecker verstorben sind. Selbst dann bleiben Sie bei uns. Soll ich Ihnen eine Geschichte erzählen?
Klar.
Mandoki: Als wir im Januar bei mir in Tutzing im Studio saßen, sagte einer plötzlich: „Hey, I’am missing Captain Jack.“ Wir haben ein Bild von ihm in die Mitte gestellt, eine Kerze daneben, einen Rotwein aufgemacht und jemand hat gefragt: Leslie, hast du nicht noch Aufnahmen von Jack? Wir haben tatsächlich Bass- und Vocal-Spuren von ihm gefunden, sie abgespielt und mit ihm musiziert.
Und das ist auf dem Album zu hören?
Mandoki: Ja, bei „Let the music show you the way“ und „Mother Europe“. Das haben wir vor 29 Jahren vor lauter Freude über Europa aufgenommen. Und jetzt wieder gespielt mit der Botschaft, Europa nicht zerbrechen zu lassen. Die Gefahr droht. Meine englischen Freunde sind unglaublich betroffen über das, was gerade in ihrem Land passiert. Dass es nicht möglich ist, die verbindenden Elemente in den Vordergrund zu stellen. Da müssen Künstler den Finger in die Wunde legen.
Sie machen mehr als das. Sie sind in Ungarn geboren und 1975 mit 22 Jahren aus dem kommunistischen Land geflohen ist. Sie kennen Viktor Orbán gut. Der ungarische Regierungschef war sogar bei Ihnen in Tutzing zum Gedankenaustausch mit deutschen Künstlern und Intellektuellen.
Mandoki: Mir geht es um Folgendes: Ich bin der klassische illegale Einwanderer. Ich bin als junger, alleinreisender Mann in dieses Land gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Ich bin Deutscher geworden, ein Verfassungspatriot, wenn man so will. Ich finde, Deutschland ist eine sehr liebenswerte und tolerante Gesellschaft. Mein Freund Udo Lindenberg hat mich in die bunte Republik Deutschland eingebürgert. Sie darf nur eine Farbe nicht haben: braun. In Ungarn, wo ich ausgebildet worden bin, sind meine Wurzeln. Wenn ich mich als Enkel von Willy Brandt definiere, ist es meine größte Pflicht als Künstler, Brücken zu bauen. Und dort, wo Risse entstanden sind, zu streiten und zu diskutieren.