Berlin. Panikpräsident trifft Bundespräsident: Udo Lindenberg nahm das Bundesverdienstkreuz von Frank-Walter Steinmeier entgegen.
11 Uhr morgens ist eigentlich überhaupt nicht Udo Lindenbergs Zeit, aber für ein Gipfeltreffen kann man auch mal früher aufstehen: Am Mittwoch nahm der Panikpräsident im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Unter dem Motto „Mut zur Zukunft: Grenzen überwinden“ wurden 12 Frauen und 13 Männer, Persönlichkeiten aus Forschung und Wissenschaft, Kunst, Kultur und Gesellschaft für ihren Mut ausgezeichnet, alte und neue Grenzen, Mauern und Zäune auf Landkarten und in den Köpfen abzubauen.
Zu den Geehrten gehörten zum Beispiel der Kölner Astronaut Alexander Gerst, der 2014 und 2018 mit seinen beiden Missionen auf der Internationalen Raumstation ISS, 2018 als Kommandant, Völkerverständigung und Umwelt- und Klimaschutz so informativ wie unterhaltsam für Alt und Jung vorgelebt hat.
Auch ins All ging 1977 die Stimme der Kölner Sopranistin Edda Moser, ihre Aufnahme von „Königin der Nacht“ als Beispiel menschlicher Gesangskunst fliegt derzeit 18 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt mit der Raumsonde „Voyager 2“ mit.
Bundespräsident Steinmeier lobt Grenzüberwinder
Auch die Journalisten, DDR-Oppositionellen und Bürgerrechtler wie Kathrin Mahler Walther, Aram Radomski und Ulrich Schwarz, mit deren Hilfe am 9. Oktober 1989 die einzigen Fernsehbilder der Leipziger Montagsdemonstration entstehen konnten, waren unter den Geehrten. Nicht zu vergessen Liedermacher Stephan Krawczyk, der 1987 mit Freya Klier in einem offenen Brief an die SED-Führung Menschenrechte und Meinungsfreiheit einforderte und nach Berufsverbot und Haft ausgebürgert wurde.
Die Ausgezeichneten seien „sehr verschieden, manche sind sehr berühmt, andere etwas weniger, aber sie alle zeichnet aus, dass sie in ihrem Leben nicht einfach auf bessere Zeiten warten“, sagte Steinmeier. Er lobte den Mut, „zu widersprechen, anders zu denken, neue Wege zu gehen und Grenzen zu überwinden. Eigene Grenzen, aber auch Grenzen zwischen Menschen, zwischen Ländern, zwischen Welten, im Osten wie im Westen, von den Tiefen der Ozeane bis in die Höhen des Alls“.
Udo Lindenberg: "Wollte mich einmischen"
Und Udo Lindenberg war mit seinen Alter Egos als Panik-Präsident der bunten Republik Deutschland und als Astronaut die Klammer der Verleihung. Er hatte „in einzigartiger Weise gegen die deutsche Teilung angesungen“, wie Walter Steinmeier würdigte, und „sich mit Mauerbau und deutscher Teilung nie abgefunden und dies einem Millionenpublikum vermittelt“.
Udo Lindenberg betonte bei der Verleihung, dass er nie nur ein Entertainer sein wollte, der seichte Lieder macht: „Ich wollte mich einmischen und für konstruktive Unruhe sorgen.“ Seiner Ansicht nach können Künstler oft für mehr Aufmerksamkeit sorgen als die Politik, als Beispiel nannte er John Lennon und sein Lied „Imagine“.
Punkt 8 auf Lindenbergs Karriereplan: "DDR kümmern"
Und für Unruhe hatte Lindenberg gesorgt. In einer Zeit, in der sich weite Teile der westdeutschen Kulturgesellschaft und Politik mit der deutschen Teilung abgefunden hatten, drängte Udo Lindenberg jahrelang auf einen Auftritt auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs. Bereits 1973 entwarf er in einer Kneipe einen Zehn-Punkte-Plan für die Zukunft seiner noch jungen Karriere, und Punkt 8 war: „DDR kümmern“.
Er streifte – von der Stasi beobachtet – durch die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, schrieb zwischen 1973 und 1988 Lieder wie „Mädchen aus Ost-Berlin“, „Rock’n’Roll Arena Jena“, „Sonderzug nach Pankow“ und „Vopo“, schrieb Briefe an Erich Honecker und nervte die SED-Granden jahrelang so penetrant, bis die den „feindlich-dekadenten“ und „mittelmäßigen Schlagersänger“ 1983 einen Auftritt im Palast der Republik und sogar eine DDR-Tournee zusicherten.
Eine DDR-Tournee war lange Zeit Udos „größter Traum“
Daraus wurden nur vier Lieder und 15 heute legendäre Minuten in „Erichs Lampenladen“ am 25. Oktober 1983, aber Udo blieb beharrlich, tauschte mit Honecker in den Folgejahren Lederjacke und Gitarre gegen eine Schalmei und hämische Kommentare der BRD-Medien – bis die Mauer fiel und im Januar 1990 die erste Konzertreise nach Suhl, Leipzig, Halle, Rostock und Schwerin starten konnte. „Für mich geht durch die DDR-Tournee mein größter Traum in Erfüllung“, sagte Udo damals.
Seine Fans auf der anderen Seite der Mauer haben das nie vergessen, nach wie vor stammt der härteste, durch dick und dünn, Krisen und Erfolge gehende Kern von Udos Fans aus Jena, Leipzig, Cottbus und Erfurt. Der letzte Trabant, der 1991 das Werk in Zwickau verließ, landete nach einer langen Odyssee 1996 als Geschenk bei Udo und steht heute an einem geheimen Ort in Hamburg, eine Kopie ist in der „Panik City“ am Spielbudenplatz ausgestellt.
Bereits 1989 erhielt Udo Lindenberg das Bundesverdienstkreuz
1989 bekamt Udo Lindenberg im Schöneberger Rathaus von Berlins regierendem Bürgermeister Walter Momper das Bundesverdienstkreuz am Bande für seine Bemühungen um die Verständigung zwischen Ost und West. 30 Jahre später folgte jetzt ein weiteres von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Bis heute, bis zum Tag der Deutschen Einheit 2019, ist Udo – im Gegensatz zu so manchem Fan alter Tage übrigens – seinen Vorstellungen von Weltoffenheit, Toleranz und grenzenlosen Horizonten treu geblieben. Bleibt zu hoffen, dass Udo mit seinem zweiten Verdienstorden sorgsamer umgeht als mit dem von 1989.
Seinerzeit hatte er noch ein „ambivalentes Verhältnis“ zu der Auszeichnung und lieh den Orden einem Freund aus, dem er auf dem Kiez in einen Gully fiel. Sie konnten ihn wieder herausfischen.