Hamburg. Filmfest startet mit hinreißendem Eröffnungswerk – nostalgisch, böse, sehr französisch. Viele Stars auf dem roten Teppich.

„Bist du Gott?“ – „Drehbuchautor!“ Kann es einen passenderen Dialog geben, um ein Filmfest zu beginnen? Mit einer Geschichte, die ans Herz geht, die komisch ist (manchmal abgründig komisch) und die nicht nur nebenbei das Kino feiert, diesen wunderbaren Ort der Gefühlsmanipulation, an dem man für eine begrenzte Zeit aus dem eigenen Leben aussteigen und in ein fremdes eintauchen kann.

„La Belle Époque“ treibt diese Idee charmant auf die Spitze. „Die schönste Zeit unseres Lebens“ heißt die neue Arbeit des französischen Regisseurs (und Drehbuchautors!) Nicolas Bedos in der deutschen Fassung, Selbstironie ist ihm dabei nicht fremd. Und so ist seine (Tragi-)Komödie ein auf mehreren Illusionsebenen ganz und gar hinreißender Eröffnungsfilm für das Filmfest Hamburg, das am Donnerstag mit zahlreichen Prominenten (wie Hannelore Hoger, Axel Milberg und Burghart Klaußner) auf dem roten Teppich im Cinemaxx Dammtor begann.

Susan Atwell und Tochter Ema
Susan Atwell und Tochter Ema © Yvonne Weiß

Daniel Auteuil überzeugt als in die Jahre gekommener Comiczeichner

Erzählt wird zum Auftakt die Geschichte des in die Jahre gekommenen Comiczeichners Victor (famos: Daniel Auteuil), der von seiner Ehefrau Marianne (noch famoser: Fanny Ardant) wegen akuter Verschnarchtheit vor die Tür gesetzt wird. Während Marianne sich dem technischen Fortschritt hingibt (und aus Langeweile auch dem besten Freund ihres Mannes), ist ihr Victor ein anständiger, aber heillos altmodischer Kerl geblieben. Konversationen mit dem Navigationssystem im Auto findet er lächerlich, statt virtueller Realität bevorzugt er am Abend Literatur: „Ich teste ein Buch aus Papier. Einmal umblättern und man kann weiterlesen.“

Sein Sohn schenkt ihm stattdessen ein Live-Erlebnis der originelleren Art: Für betuchte Kunden organisiert dessen Freund Antoine (Guillaume Canet als brillanter Zyniker) mit seiner Eventagentur personalisierte „Zeitreisen“. In aufwendig dekorierten Kulissen können seine Auftraggeber je nach Vorliebe ein Trinkgelage mit Ernest Hemingway oder eine Herrenrunde mit Hitler erleben. Lebensechter Reenactment-Service.

Fanny Ardant betört mit lebensreifer Erotik

Victor entscheidet sich nicht für eine historische Figur, sondern für einen Zeitpunkt im eigenen Leben – jenen Tag vor 40 Jahren, an dem er seine Marianne kennenlernte. Die wiederum, darauf muss Victor sich einlassen und er tut dies mit zunehmender Begeisterung, wird eigens für ihn gespielt von der so schönen wie geheimnisvollen Schauspielerin Margot. In die sich Victor, natürlich, dann auch ziemlich rasant verguckt.

Ist es eigentlich besonders französisch, wenn die Kamera die Frauen so sehr liebt wie in diesem Film? Fanny Ardant jedenfalls ist als scharfzüngige Marianne mit lebensreifer Erotik ebenso betörend wie die junge Doria Tillier als Margot, deren Faszination man als Zuschauer gemeinsam mit ihren Verehrern alsbald rettungslos erliegt (und das gilt für männliche Zuschauer genauso wie für weibliche). Der Regisseur und Drehbuchautor Nicolas Bedos, mit dem Doria Tillier in Hamburg nun über den roten Teppich spazierte, soll übrigens auch abseits des Filmrummels ihr Lebensgefährte sein – eine Leidenschaft, die auf der Leinwand durchaus zu spüren ist.

Seinen „coup de coeur aus Cannes“ nannte Filmfest-Direktor Albert Wiederspiel den Film in seiner Eröffnungsrede. In Cannes hatte „La Belle Époque“ im Sommer seine Weltpremiere gefeiert. Wiederspiel pries Frankreich als „das sicherlich größte Filmland Europas“ und Cannes als „Festival aller Festivals“, das diesen Status für seine Filmindustrie zu nutzen wisse: „So las ich neulich, dass ganze zwölf aus den 21 Wettbewerbsfilmen französisch oder französisch koproduziert waren! Kein Wunder also, dass Frankreich und Deutschland die zwei häufigsten Länder im diesjährigen Filmfest-Hamburg-Programm sind.“

Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher referierte in seinem Grußwort über „Frankreich als Geburtsland des Kinos“, das im vergangenen Jahr „nahezu doppelt so viele Kinobesucher wie Deutschland“ verzeichnet habe. Immerhin hole das Hamburger Filmfest „das Kino der Welt in unsere Stadt“. Offensiv dankte Tschentscher dem Filmfest-Team für seinen beständigen Einsatz für den iranischen Regisseur Mohammad Rassoulof, der Teheran auch in diesem Jahr nicht verlassen durfte.

Rassoulofs aktuelle Arbeit „Das rote Coupé“ ist einer von insgesamt 144 Filmen aus 56 Ländern, die in den nächsten Tagen hier Premiere haben. Denn während ein pompöser Zeitreise-Service wie in „La Belle Époque“ auch im wohlhabenden Hamburg zu kostspielig für die meisten potenziellen Kunden sein dürfte, gibt es zum Glück eine nächstbessere, ähnlich magische Variante. Die verspricht ebenfalls intensive Erlebnisse und richtig echte Gefühle: das Kino.