Hamburg. Steve McCurry verrät im Interview, warum Smartphones die Fotografie nicht entwerten und er sich ständig bei Instagram aufhält.

Ein Stück Bananenbrot, dazu starker Kaffee mit Milch und Zucker: Steve McCurry bekämpft den Jetlag eher homöopathisch. Der weltweit prämierte Fotograf ist am Vorabend aus New York gekommen, um bei Flo Peters seine inzwischen fünfte Ausstellung zu eröffnen. Für „New Icons“ hat die Hamburger Galeristin, die eigentlich im Chilehaus sitzt, neben dem Holi-Kino in Harvestehude für drei Wochen einen Pop-Up-Store eröffnet.

Hier sind nun mehrere Dutzend McCurry-Prints zu sehen, darunter auch das Foto, das ihn weltweit bekannt gemacht hat: das ikonografische Porträt eines afghanischen Mädchens mit durchdringenden grünen Augen, das erstmals 1985 auf der Titelseite des Magazins „National Geographic“ erschien und weltweit nachgedruckt wurde. Auch in Hamburg ist dieses Bild zu sehen, ein Abzug kostet 16.000 Euro, die anderen ausgestellten Fotos liegen – je nach Größe und Limitierung – zwischen 4000 und 40.000 Euro. Steve McCurry, der in New York und Arkansas lebt, ist einer der ganz großen Stars der Fotografie – und trotz Müdigkeit ein ausgesprochen zugewandter Gesprächspartner.

Sie fotografieren seit mehr als 40 Jahren. Was treibt Sie immer noch an, durch die Welt zu reisen?

Steve McCurry: Ich habe einfach diesen unstillbaren Drang, die Welt zu erkunden. Es ist für mich als Künstler ein großes Glück, all diese verschiedenen Orte kennenzulernen. Auch wenn ich nicht immer konkret auf der Suche nach Motiven bin, so ist da etwas in mir, das ganz automatisch in Bildern denkt.

Sie haben früher häufig in Krisengebieten fotografiert. Wie sind Sie mit den Gefahren, mit der Angst umgegangen?

Steve McCurry: Eine gewisse Angst ist in solchen Situationen natürlich immer da, aber man darf sich nicht zu sehr damit beschäftigen. Es ist, wie in einen kalten Swimmingpool zu springen. Darüber nachzudenken bringt nichts, Sie müssen es einfach tun. Und wenn man sich einmal entschlossen hat, in eine bestimmte Situation zu gehen, darf man nicht mehr zögern, dann geht es nur noch voran. Ich war allerdings auch nie ein richtiger Kriegsfotograf, mich haben nie die Gefechte, sondern die Menschen, etwa die Kriegsflüchtlinge, interessiert.

Früher haben sie Kodachrome Film benutzt, sie bekamen 2010 sogar die allerletzte Rolle Kodachrome 64 zur Verfügung gestellt. Hat die Digitalkamera Ihren Stil verändert?

Steve McCurry: Wissen Sie, ob Analog- oder Digitalfotografie, es bleibt ja alles zweidimensional. Deshalb sehe ich da keinen grundsätzlichen Unterschied. Allerdings kann ich natürlich bei der Digitalfotografie das Ergebnis sofort sehen und eventuelle Korrekturen vornehmen. Früher habe ich manchmal ein großartiges Motiv gefunden und als ich später zuhause den Film entwickelte, war nichts davon eingefangen. So etwas passiert heute nicht mehr ohne weiteres.

Heute hat fast jeder ein Smartphone. Entwertet das die Fotografie?

Steve McCurry: Smartphones entwerten die Fotografie ebenso wenig wie WhatsApp-Nachrichten die Literatur entwerten. Es sind schlicht zwei unterschiedliche Dinge. Das eine hat Tiefe, das anderer ist eher praktischer Natur. Wenn Sie ein Selfie an der Chinesischen Mauer machen, ist das für Sie selbst als Erinnerung natürlich toll und wenn Sie es mir zeigen, bin ich vielleicht beeindruckt, dass Sie dort waren. Aber es geht nicht darüber hinaus, es lehrt mich nichts über die Welt, so wie es ein künstlerisches Foto könnte.

Und wie sieht es aus mit den Fotomassen auf Instagram? Sie sind ja dort selbst aktiv und haben mehr als 2,7 Millionen Follower...

Steve McCurry: Ich schaue mir ständig Fotos auf Instagram an, und natürlich sind viele belanglos, aber manche eben absolut großartig. Vom Medium lässt sich jedenfalls nicht automatisch auf die Qualität schließen.

Sie haben viel in Asien fotografiert, reisen immer wieder dorthin. Warum?

Steve McCurry: Mich fasziniert die Achtsamkeit, das Verweilen im Hier und Jetzt, das ich in asiatischen Ländern, vor allem in den Klöstern, erlebt habe. Diese Haltung führt zu einer ganz anderen Art der Wahrnehmung. Auch als Fotograf. Wir sind alle nur für eine begrenzte Zeit auf dieser Welt und schon die Möglichkeit, einfach eine Straße entlangzugehen, ohne Ziel, ohne Erwartungen, ohne Gedanken an den Alltag, ist ein großes Geschenk.

Sie bieten im Internet Masterclasses an, in denen Sie Tipps zum Thema Fotografie geben. Was kann man bei Ihnen lernen?

Steve McCurry: Zum Beispiel wie wichtig die Kontaktaufnahme ist. Wer in einem fremden Land unterwegs ist, hält sich oft eher im Hintergrund. So funktioniert das aber nicht, die Distanz muss verringert werden, um ein wirklich interessantes Foto zu machen. Geh auf die Leute zu, komm mit ihnen ins Gespräch, versuch, Nähe herzustellen – das lehre ich. Unter anderem.

Und wer das beachtet, wird ein guter Fotograf?

Steve McCurry: Na ja, das ist natürlich nur ein Aspekt. Grundsätzlich lässt sich eine Menge lernen, aber eben nur bis zu einem bestimmten Punkt. Was danach kommt, ist eine Gabe. Man hat sie oder nicht. Da unterscheidet sich die Fotografie nicht von der Literatur oder der Musik.

Sie durchqueren seit Jahrzehnten mit ihrer Kamera die Welt. Gibt es noch eine Wunschliste? Länder, die sie unbedingt besuchen möchten?

Steve McCurry: Ich würde gern im Iran fotografieren, aber das ist schwierig, weil ich einen amerikanischen Pass habe. Ich hatte dort letztens sogar eine Ausstellung und konnte nicht dabei sein. Verdammte Politik... Außerdem möchte ich unbedingt nach Madagaskar und in die Antarktis, Orte, die mich schon sehr lange reizen. Häufig reise ich in Länder, die ich vor vielen Jahren bereits besucht habe, doch leider verschwindet von der Kleidung bis zur Architektur viel Ursprüngliches. Die Michael-Jackson-T-Shirts und Glasquader sind überall. Ein Effekt der Globalisierung, die natürlich auch positive Seiten hat, denken Sie nur an verbesserte Gesundheitsvorsorge und Bildung, doch sie führt zunehmend zu einer kulturellen Gleichförmigkeit.

Steve McCurry: „New Icons“ bis 12.10. in der Pop-up-Galerie (Schlankreye 71), vom 15.10 bis 19.10. in der Flo Peters Gallery (Burchardstraße 18, Chilehaus C), jeweils Di-Fr 12.00-18.00, Sa 11.00-15.00, Eintritt frei