Hamburg. Die Bücher sollen nah an der Lebenswirklichkeit kleiner Leser sein, aber dennoch die Fantasie anregen.
Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie ein Mix aus Start-up und WG, ein etwas unkonventionelles Büro mit lichten Zimmern, offenen Türen und Regalen voller Bücher mit bunten Rücken, darin drei gut gelaunte, begeisterungsfähige Menschen, die freundlich miteinander umgehen. Dass diese Bürowohnung in der 4. Etage eines Geschäftshauses in Altona aber eher eine kleine Burg sein könnte, in der Autoren und Illustratoren ein gut beschütztes Refugium in der unsicheren Welt der Kinderliteratur finden könnten, erschließt sich rasch im Gespräch. Denn in der in der Goetheallee ist Hamburgs neuester Verlag zu Hause, diskret gestartet 2018 mit der Vorbereitung seines ersten Programms, vom September an aber deutlich wahrnehmbar im Buchhandel – mit einem explizit eigenen Profil.
Hummelburg hat Markus Niesen das kleine Unternehmen genannt, das auf seine Initiative hin mit Rückendeckung des Branchenriesen Ravensburger als Imprint gegründet wurde, also als ein Label, das im Großverlag ein eigenständiges Leben führt. Dabei ist der Hummelburg Verlag inhaltlich unabhängig, profitiert jedoch von Finanzkraft, Herstellung, Marketing und Vertrieb der Übermutter vom Bodensee.
Ravensburger war überzeugt
Ravensburger war offenbar sofort überzeugt vom Businessplan und Konzept des erfahrenen Büchermachers Niesen, der lange verantwortlich bei Oetinger, aber auch bei Fischer und Random House arbeitete. Die Idee, die Markus Niesen vorstellte, war bestechend einfach: ein kleines Programm von jeweils acht Titeln pro Frühjahr und Herbst für Kinder bis elf Jahre, das in enger Zusammenarbeit mit (überwiegend deutschsprachigen) Autoren entsteht, die der Verlag zum Teil entdeckt und deren Stoffentwicklung behutsam unterstützt werden soll. Auf diese Weise will sich Hummelburg rasch einen Namen als zuverlässiger Partner von Autoren und Illustratoren machen, der zudem einen hohen Anspruch an Kinderbücher stellt. Verleger Niesen: „Es geht um Qualität, nicht um Selbstverwirklichungstrips.“
Gemeinsam mit den jungen Kolleginnen Malin Wegner (Lektorin, vorher bei Arena) und Anika Harder (Presse und Veranstaltungen) bildet Markus Niesen ein Team auf einer Wellenlänge, das im direkten Austausch das Hummelburg-Programm entwickelt. Zum Start sind es sechs Bücher zum Selbstlesen für Kinder von acht bis elf Jahren) sowie das Vorlesegeschichtenbuch „Lotte und die Oma-Tage“ und das Bilderbuch „Vom Esel und Hörnchen, die das Ende der Welt suchen“ (beide ab vier), Letzteres mit einer fast schon haptischen Schnipselcollagen-Technik illustriert. Spitzentitel ist „Die fantastischen Abenteuer der Christmas Company“ von Corinna Gieseler, der ebenso wie „Die besten Tantenretter der Welt“ viel Lob von Testleserinnen und Mama-Bloggerinnen auf dem Portal lovelybooks.de bekam und von großen Buchhandelsfilialen exponiert präsentiert werden soll.
Förderung von Talenten
„Wir wollen weder Mainstream noch Reihen oder Trendthemen“, sagt Niesen, der betont, dass im Auftaktprogramm zwei Debüts enthalten seien, auch die Förderung von Talenten sei ein Leitmotiv. „Ein Debüt ist unser Spitzentitel, die ‚Christmas Company’, die zurückgeht auf eine Idee, von der mir die Autorin schon vor 20 Jahren bei Fischer erzählt hat. Damals fand ich den Stoff gut, aber die Geschichte war noch nicht reif. Der Plot war aber stark genug, dass Corinna Gieseler sich immer mal wieder damit beschäftigt und dafür in der nordischen Sagenwelt viel recherchiert hat. Jetzt ist es perfekt.“ Zweiter Bestseller dürften die „Tantenretter“ werden, die bereits als Filmstoff entdeckt worden sind.
Malin Wegner und Anika Harder beschreiben Hummelburg-Bücher als nah an der Lebenswirklichkeit von Kindern, aber durch ungewöhnliche Perspektiven die Fantasie anregend – wie zum Beispiel in „Als Einstein vom Himmel fiel“, wo zwei Kinder, die in einer Patchwork-Familie plötzlich zu Geschwistern werden, ihre Eltern lieber wieder auseinander bringen wollen. Oder in Mina Lystads Buch „Zu cool, um wahr zu sein“, in dem es um die Schattenseiten von Social Media geht.
Kindheit hat sich verändert
Die drei Buchmacher aus der Hummelburg wissen, dass sich Kindheit verändert hat und Kinderliteratur darauf reagieren muss. Markus Niesen: „Auch Kinder haben heute weniger Zeit, und Bücher sind ein relativ unbequemes Medium, anderes ist einfacher zu rezipieren. Aber wenn man einsteigt, können sich reichhaltigere Welten öffnen. Erwachsene tragen die Verantwortung, das zu vermitteln.“
Klar ist, dass Hummelburg nicht als Zulieferer oder Ideen-Input für Ravensburger geplant ist: „Ein Transfer ist unwahrscheinlich, wir müssen nicht deren Programmplätze füllen“, sagt Niesen und betont, dass die große Burg am Bodensee die kleine in Hamburg in Ruhe arbeiten lassen und unterstützen werde. „Die erste Planung geht über drei Jahre, danach gucken wir uns an, wie es läuft.“