Hamburg. Mozart leider nur von der Stange. European Youth Orchestra und Schleswig-Holstein Festival Orchestra in der Elbphilharmonie.

Europa ist eins? Man darf ja Träume haben. Jedenfalls tragen die Damen des European Union Youth Orchestra (EUYO) blaue Schärpen, und auf jeder prangt statt des üblichen Sternenkranzes ein einziger, fetter goldener Stern. Das ist es dann auch schon mit den Extravaganzen – alles Übrige gilt der Kunst an diesem Abend in der Elbphilharmonie. Guillaume Connessons Beethoven-Hommage „Flammenschrift“ lodert, wogt und entfaltet einen hochdramatischen Sog.

Das Stück bezieht sich in einer modernen und dabei harmonisch verorteten Sprache hörbar auf Beethoven, aber ohne einen Hauch von Epigonentum. Frisch und interessant das Ganze, und präzise gearbeitet zudem.

Mozart von der Stange

Mozarts Klarinettenkonzert jedoch kommt ziemlich von der Stange. Die ersten Geigen sind nicht ganz kohärent, in den Mittelstimmen nuschelt es, das erste Horn kiekst immer wieder. Der Dirigent Stéphane Denève bleibt ein Interpretationskonzept schuldig. Und Andreas Ottensamer schnurrt den Solopart herunter, als hätte er das Konzert „drauf“. Falsch. Es gehört zum Wesen großer Kunst, dass man nie sicher sein kann.

Mahlers Fünfte aber schweißt alle Anwesenden zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Sensationell, was für Klangfarben Denève den Holzbläsern entlockt: Das schnarrt und zürnt, dass einem das Herz stehen bleibt. Der Hornist Benedikt Scholtes spielt seinen exponierten Part souverän, kraftvoll und beseelt.

Und wenn im „Adagietto“ zwölf Kon­trabässe lenorweiche Pizzicati tupfen, wissen wir, wozu das Orchester in einer derart riesigen Besetzung angereist ist. Das Stück löst einen schieren Begeisterungsorkan aus. Nach ihrer Zugabe jammen die Musiker auf dem Elbphilharmonie-Vorplatz weiter, für die Leute, die die Übertragung des Konzerts auf der Leinwand verfolgt haben. Strahlende Gesichter, Umarmungen. Für einen Moment scheint Europa eins zu sein.

Eschenbach hat das Gespür für das Unheimliche

Restlos international wird es zwei Tage später bei Mahlers Sechster. Christoph Eschenbach und das Schleswig-Holstein Festival Orchestra lassen sich auf Abgründe und Ambivalenzen der Mahler’schen Gefühlsausbrüche und Schwelgereien ein, ohne je in die Banalitätsfalle zu tappen. Eschenbach hat das Gespür für das Unheimliche, manchmal sogar Uneigentliche der Musik im kleinen Finger. Auf nichts ist Verlass im Leben, nicht einmal auf die Verzweiflung. Niederschmetternder geht es nicht.

Beglückend aber ist, wie Eschenbach die Musiker zu einer Einheit zusammenschweißt. Für die Zukunft wünschen wir uns mehr Teilnehmer aus Afrika und der islamischen Welt. Damit eine klingende UN-Vollversammlung draus wird.