Hamburg. Neues von Strunk, Ruge und von Kürthy. Dazu schreibende Schauspieler und viele Amerikaner: die Spätsommer-Auslese der Literatur.
Norwegen, so klein es auch ist, ist eines der wohlhabendsten Länder der Welt. In diesem Jahr ist es Gastland der Frankfurter Buchmesse (16.–20.10.). Neben Gesellschaft, Politik und Kultur wird dann besonders die Literatur im Mittelpunkt stehen. Bislang wissen nur Kenner, dass sie noch viel mehr zu bieten hat als Knausgård, Fosse und Espedal. Mit dem Schlaglicht, dass die größte Buchmesse der Welt wirft, sollte sich das schnell ändern. Wie üblich haben alle Programme, die etwas auf sich halten oder es sich leisten können, einen Norweger oder (seltener) eine Norwegerin im Programm.
Dabei haben die Verlage bisweilen tief in der norwegischen Literaturgeschichte gegraben. Ullstein veröffentlicht Agnar Mykles Skandalbuch aus den 1950er-Jahren, „Das Lied vom roten Rubin“ (Ullstein, erscheint im September). Es wurde wegen seiner Sexszenen kurz nach Erscheinen verboten und soll, so heißt es, Autoren wie Karl Ove Knausgård, Tomas Espedal und Jan Kjærstad beeinflusst haben. Knausgård übrigens ist der Gewährsmann: Als Beglaubiger der Könnerschaft seiner Landsleute taucht er auf manchem Einband auf. Ein neues Buch gibt es selbstredend auch: Seine Würdigung des größten norwegischen Malers heißt „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche: Edvard Munch und seine Bilder“ (erscheint im September). Jon Fosse – vor Knausgårds Erscheinen der international bekannteste zeitgenössische Literatur-Norweger – arbeitet seinerseits an einem gewaltigen Zyklus. „Der andere Name“ (September) versammelt die ersten beiden Teile von Fosses Heptalogie und erzählt von dem Maler Asle, der nach dem Tod seiner Frau allein an der Südwestküste Norwegens lebt. Er trifft dort auf einen Maler, der ebenfalls Asle heißt: seinen traurigen Doppelgänger.
Ulrich Tukur legt im Oktober seinen ersten Roman vor
Vom internationalen Schwerpunkt des Literaturjahres in heimische Gefilde: zu den Hamburgensien also. Bestsellerautorin Ildikó von Kürthys neuer Roman „Es wird Zeit“, dessen Protagonistin eine fast 50-Jährige ist, die sich die Frage nach dem Was-kommt-jetzt-noch stellt, erscheint bereits dieser Tage. Bestsellerautor Heinz Strunks neues Buch „Nach Notat zu Bett: Heinz Strunks Intimschatulle“ erscheint erst im September. Vorfreude ist angezeigt besonders für alle, die das Satiremagazin „Titanic“ nicht lesen. Dort erschienen drei Jahre lang Strunks „Intimschatullen“, eine Art Tagebuch bestehend aus Selbst- und Fremdbeobachtung, Melancholie und Witz, Absurdität und Anarchie. Der neue Roman des in Hamburg lebenden Österreichers Norbert Gstrein heißt „Als ich jung war“, handelt von einem zwischen Tirol und den USA und verschiedenen traumatisch aufgeladenen Vergangenheiten schwankenden Mann und ist bereits erschienen. Gleiches gilt für „Das Schöne, Schäbige, Schwankende“, das Abschiedsbuch der kürzlich gestorbenen Brigitte Kronauer. In ihm zeigt sich ein letztes Mal die Grandezza der großen Stilistin.
Ab übernächster Woche erhältlich ist der lange erwartete Debütroman der Hamburgerin Karen Köhler(„Wir haben Raketen geangelt“), die mit ihrer in einer archaischen Welt situierten weiblichen Selbstermächtigungs-Erzählung „Miroloi“ (Lesung am 22. August im Nachtasyl/Thalia Theater, Restkarten an der Abendkasse) vermutlich einen der am meisten diskutierten Titel vorlegt. Ein fesselndes, ein verstörendes Buch. Nicht weniger fesselnd, aber weniger kontrovers istIsabel Bogdans „Laufen“ (September, Lesung am 1. Oktober im Literaturhaus). In einem formal durchaus kühn angelegten, mäandernden Textstrom verarbeitet eine durch Hamburg joggende Frau den Selbstmord ihres Lebenspartners. Nach ihrem 300.000-mal verkauften, vergnüglichen Debüt „Der Pfau“ nun also etwas ganz anderes – mutig und absolut überzeugend.
Was die Überzeugungskraft angeht, muss man bei schreibenden Schauspielern auch mit Enttäuschungen (oder Bestätigungen, kommt auf die Perspektive an) rechnen. Noch im August erscheint Matthias Brandts durchaus gelungener Beitrag zum Genre „Jugendbücher für Erwachsene“ mit dem Titel „Blackbird“. Für den Oktober ist der erste Roman des Allroundkünstlers Ulrich Tukur annonciert. „Der Ursprung der Welt“ ist allerdings nicht das erste literarische Produkt Tukurs. Man weiß also, dass er nicht talentlos ist. Bei Brandt verhält es sich ähnlich.
„Apocalypse Baby Now“? Rachel Cusks Mutter-Buch
Neben fremdgehenden Schauspielern noch allerlei weiteres Deutsches: David Wagner schreibt über Demenz („Der vergessliche Riese“, Ende August). Büchnerpreisträger F. C. Delius über einen Jazz hörenden, gerade gefeuerten Journalisten („Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich“, Ende August, Lesung am 7. September im Literaturhaus). Büchnerpreisträgerin Terézia Mora bringt ihre Darius-Kopp-Trilogie mit „Auf dem Seil“ (September, Lesung am 11. September im Literaturhaus) zu einem glänzenden Abschluss. Außerdem erscheint, beim Hamburger Nautilus-Verlag, der neue Roman der auf Deutsch schreibenden US-Amerikanerin Isabel Fargo Cole. „Das Gift der Biene“ (September) spielt im Ostberlin der mittleren 90er-Jahre. Hauptfigur ist Christina, eine junge Amerikanerin, die in eine Hausgemeinschaft gerät, wie es sie genau so damals nur in Berlin geben konnte. Der neue Roman der in Bremen und Hamburg aufgewachsenen WahlberlinerinNora Bossong ist dagegen, wenn man so will, der nächste Beitrag des Hauses Suhrkamp zum Thema „Die internationale Organisation als Roman“. Wo Robert Menasses „Die Hauptstadt" von der EU erzählte, stößt Bossong mit „Schutzzone“ (September) in das Innere der UN vor. Angekündigt sind überdies neue Romane von Peter Wawerzinek („Liebestölpel“, September), Peter Stamm („Marcia Vermont: Eine Weihnachtsgeschichte“, Oktober) und Ernst-Wilhelm Händler („Das Geld spricht“, Ende August). Und Eugen Ruges neues Werk „Metropol“ hat mit dem Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ insofern etwas zu tun, als dass es wieder mit der Familiengeschichte Ruges zu tun hat (Oktober, Lesung am 24. Oktober im Literaturhaus).
Was die internationale Literatur angeht: Isabel Allendes Roman „Dieser weite Weg“ ist soeben erschienen, sie liest am 29. Oktober im Thalia Theater. Außerdem fallen neben den Norwegern wieder einmal vor allem die Amerikaner ins Auge. Louise Erdrichs „Das Wunder von Little No Horse“ (November), im Original aus dem Jahr 2001, erscheint erstmals in deutscher Übersetzung. Amerikas Ureinwohner und das Gender-Thema stehen im Zentrum dieses Romans, der also gut gealtert ist, nämlich: gar nicht. Zeitlosigkeit verspricht auch das neue Buch der gefeierten britischen Autorin Rachel Cusk. In ihrem Buch „Lebenswerk: Über das Mutterwerden“ schreibt sie unverblümt und ohne jede Romantik über ihre Mutterschaft. Eine Art „Apocalypse Baby Now“, urteilte die „New York Times“, und der „Guardian“ behauptete, Cusk sie mit ihrem Bericht von der Windelfront zur „meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens“ geworden. Klingt nach Pflichtlektüre.
Tino Hanekamp hat ein Buch über Nick Cave geschrieben
Ebenfalls neu in den Regalen der Buchhandlungen: Meg Wolitzers „Die Zehnjahrespause“ (handelt ebenfalls von der Rolle als Mutter, Oktober) und Margaret Atwoods „Die Zeuginnen“ (September), die Fortsetzung des Erfolgsromans „Der Report der Magd“, der in der TV-Serie „The Handmaid’s Tale“ neue Popularität erlangte. Wo wir in der Popkultur sind: Kiepenheuer & Witsch, seit jeher an literarisierter Popmusik interessiert, legt eine neue Reihe auf – die „Kiwi Musikbibliothek“. Im ersten Schwung schreiben unter anderem der Ex-Hamburger Nachtimpresario und Romanautor Tino Hanekamp über Nick Cave und der Musiker Thees Uhlmann, weniger geschmackssicher, über Die Toten Hosen (beide Oktober). Ebenfalls im Kiwi-Programm ist das Memoir eines Großen: Jeff Tweedy erzählt in „Let’s Go (So We Can Get Back): Aufnehmen und Abstürzen mit Wilco etc.“ von seinem Leben vor und mit seiner fantastischen Band Wilco. Übersetzung: Tino Hanekamp.