Hamburg. Generationengespräch: Zwei Menschen, ein Beruf. Die Baritone Franz Grundheber und Jóhann Kristinsson trennen genau 50 Jahre.

Am Ende eines langen Gesprächs mit vielen Anekdoten und etlichen Lebensweisheiten wurden die Telefonnummern ausgetauscht. Das erste Treffen soll also nicht das einzige bleiben. Franz Grundheber, inzwischen agile 81, darf man ohne einen Hauch der Übertreibung als einen legendären Sänger in der Geschichte der Hamburger Staatsoper nennen, seine Karriere ist allerdings auch weltweit einzigartig. Rund 150 Rollen, allein elfmal den „Wozzeck“, alle großen Häuser, alle großen Dirigenten, Liebermann hat ihn Anfang der 1960er an die Dammtorstraße verpflichtet.

Der Rest, wie man so schön sagt: Geschichte. Jóhann Kristinsson, ein halbes Jahrhundert jünger, ist – noch – nicht ganz soweit und hörte entsprechend respektvoll zu. Seit 2017 ist der Sohn eines Opernsängers Mitglied des Internationalen Opernstudios und damit ein vielversprechendes Nachwuchstalent, wie auch Grundheber es einmal war.

Hamburger Abendblatt: Die erste Frage, die sich aufdrängt: War früher alles tatsächlich besser, oder war es nur anders?

Franz Grundheber: Es war anders. Es gab einiges, was besser war. Die Atmosphäre allein im Haus… Wir hatten einen Stamm von Festengagierten, erfahrene, gute Leute. Als junger Sänger war man aufgehoben, denn da waren welche, die fast immer dabei waren. Nachdem ich einige Monate hier war und vor allem kleinere Partien gesungen hatte, kam ein Kollege zu mir und sagte: Herr Grundheber, ich hätte gern kurz mit Ihnen gesprochen, er hätte mich da und dort gehört, und da sei viel Potenzial. Und er gab mir den Tipp: Singen Sie das schwere deutsche und italienische Fach nicht vor 40! Lassen Sie sich Zeit! Wenn Sie 45 sind und die Stimme funktioniert noch – dann wissen Sie, wovon Sie singen. Was wissen Sie mit 28 von Liebe und Tod? Eine gute Stimme bekommt Farben und Charakter durch das, was man erlebt.

Wie klingt das für Sie, mit gerade mal
Anfang Dreißig? Nach Mittelalter?

Jóhann Kristinsson: Gar nicht. Ich möchte auch aufpassen, ich habe eine lyrische Baritonstimme; es ist gut, wenn man an die Grenze geht, aber mir ist auch wichtig, dass ich in 20 Jahren noch singen kann.

Viele Jüngere werden durch Manager und Rollenangebote vorschnell verführt und dann verschlissen. Ist das heute besser?

Grundheber: Ich lasse mich nicht mehr verführen, bei mir versucht‘s auch niemand… Aber was würdest Du mich fragen? Obwohl: Bevor ich einen konkreten Ratschlag geben könnte, müsste ihn singen hören und auf der Bühne sehen.

Der Lebenslauf von Franz Grundheber ist bekannt, aber: Wieso wird man auf Island Opernsänger?

Kristinsson: Ich habe mit 21 mit dem Singen begonnen. Eigentlich wollte ich Komponist werden, bin aber dafür nicht an der Hochschule angenommen worden. Und mein Vater Kristinn Sigmundsson ist auch Opernsänger, ich bin also mit Gesang aufgewachsen. Er hatte sich am Anfang etwas Sorgen gemacht, weil er weiß, wie schwer dieser Beruf ist…

Ab wann hat Ihr Vater gemeint, dass das mit Ihrer Berufswahl in Ordnung geht?

Kristinsson: Sofort, als ich das Studium begann. Er sagte aber auch: Mach das nur, wenn Du dir nichts anderes für Dich vorstellen kannst.

Was hat Sie in diese Karriere-Spur gestellt?

Kristinsson: Das war in San Francisco, ich war 16 und eigentlich keine Lust auf Oper. Ich war für einen ganzen Monat dort, mein Vater hat in Berlioz‘ „Damnation de Faust“ den Mephisto gesungen. Ich habe die erste Vorstellung gesehen, das war ok. Dann ging ich wieder und am Ende, nach sechs Abenden, war ich total begeistert. Süchtig. Auch davon, wie groß diese Welt war, die dort gezeigt wurde.

Grundheber: Das sage ich allen jungen Sängern: Beschäftigt euch nicht nur mit Musik! Geht ins Museum, seht euch Malerei an. Geht ins Theater, lest viel. All das befruchtet die Arbeit, wenn man ein erfolgreicher Opernsänger sein will. Es gibt Stimmbesitzer, die unglaublich sind, aber sonst ist da nichts…

Oper ist ja auch Tradition. Es müsste doch eigentlich an Opernhäusern eine feste Einrichtung sein, dass „Senioren“ wie Sie dem Nachwuchs erzählen, wo der Hammer hängt und wie er dort hinkam. Nicht nur Gesangsunterricht, sondern auch Lebenshaltung. So etwas passiert aber nicht.

Grundheber: Hier passiert in dieser Hinsicht nichts. Übrigens: Für mein Rollenstudium hatte ich ein ganz eigenes System: Nachts, nach einer Vorstellung, konnte ich mich eine Stunde hinlegen und habe danach von ein bis drei Uhr mit einem starken Tee Rollen gelernt…

Kristinsson: Oh…!

Grundheber: Nach zwei Stunden fielen mir dann meistens schon die Augen wieder zu. Und morgens um zehn musste man hier wieder zu einer Probe sein.

Sind Tempozwänge und Lieferdruck gut für eine Karriere? Als Sie hier anfingen, gab es noch kein Opernstudio, den Nachwuchs ließ man zwei Jahre lang in kleinen Rollen Erfahrungen sammeln.

Grundheber: Die wurden engagiert und mussten da rein… Meine Lehrerin in den USA sagte damals: Glaube niemanden, was sie über deine Stimme sagen. Du musst ein Korrektiv finden, um Dich zu überprüfen. Für mich war das damals das Tonbandgerät.

Jóhann Kristinsson, wie empfinden Sie die Ausbildung, die Sie hier bekommen? Zunächst eine Proberunde in Nebenrollen auf der Großen Bühne? Ist das okay?

Kristinsson: Ja, das ist wunderbar. Auf der Hochschule lernt man nicht, in so einem Raum zu singen. Die meisten unglaublich guten Sänger sind sehr nett, wenn man sie fragt, wollen sie einem auch etwas beibringen.

Grundheber So etwas müsste viel öfter passieren. Niemand hat mich hier gebeten: Herr Grundheber, nehmen Sie diese drei und arbeiten Sie mit denen. Ich hätte das umsonst getan…

Franz Grundhebers erste Gage hier, anno 1966, betrug 600 Mark. Und bei Ihnen?

Kristinsson: Ich weiß nicht, ob es fair ist, das mit dem Opernstudio zu vergleichen. Wir bekommen nach Abzug der Steuern 1500 Euro monatlich.

Grundheber: Man kann das nicht vergleichen. Ich habe die ersten zwei Jahre „auf Zimmer“ gewohnt, mit Bad und Küchenbenutzung bei einer jungen Familie, weil ich mir keine eigene Wohnung leisten konnte, hier ganz in der Nähe der Oper.

Als Franz Grundheber begann, war die Opernwelt eine ganz andere, langsamer, weniger Konkurrenz aus aller Welt…

Kristinsson: Gab es einen großen Druck, Wettbewerbe zu gewinnen?

Grundheber: Nein! Und schon im ersten oder zweiten Jahr habe ich hier den Oberdörffer-Preis bekommen. An einem Wettbewerb habe ich nie teilgenommen.

Kristinsson: Jetzt scheint das sehr wichtig zu sein.

Wie viele Wettbewerbe haben Sie gewonnen?

Kristinsson: Ich habe bei einem Liedwettbewerb in Heidelberg den dritten Platz und einen Publikumspreis gewonnen. Dadurch kamen viele schöne Konzertengagements.

War es damals bei Ihnen alles entspannter mit der Konkurrenz? Oder kommt es mir nur so vor?

Grundheber: Nein, wir hatten 75 Sänger im Ensemble. 75! Junge Leute wie ich wurden engagiert und wir mussten uns bewähren.

Was ist für Sie das Schönste in dieser frühen Phase Ihres Berufs?

Kristinsson: Schwierige Frage… Wenn ich merke, dass das, was ich tue, einen Unterschied macht. Wenn ich merke, dass ich Menschen durch meine Interpretation berühren kann.

Das dürfte bei Ihnen nicht anders gewesen sein.

Grundheber: Mir fällt eine andere Geschichte ein: Nach relativ kurzer Zeit, acht oder zehn Jahren, hatte mich jemand Karajan zum Vorsingen empfohlen. Und ich hasste Vorsingen…!

… Nicht so praktisch bei Ihrem Job…

Grundheber: Seine Sekretärin fragte mich, ob ich eine Aufnahme von mir hätte. Ich hatte eine sehr schöne, beim WDR gemacht, die Jedermann-Monologe von Frank Martin, die habe ich ihm geschickt. Es hieß, ihm gefalle das sehr, er könne die Größe der Stimme aber nicht beurteilen, ich müsse kommen. Er suchte einen „Lohengrin“-Heerrufer für die Osterfestspiele in Salzburg und wollte zumindest den Anfang mal hören. Alle hatten fürchterliche Angst vor ihm. Ich sollte morgens um neun im Haus sein und mich bereithalten. Um 14 Uhr etwa kam ich dran. Er wollte den Anfang, also sang ich den Anfang, drei Minuten, dann hörte ich auf. Er fragte, warum. Und als ihm sagte, mehr hätte er ja nicht hören wollen, lachte er und sagte: „Engagiert.“

Das zeigt aber auch: Sie können so gut sein, wie Sie wollen – wenn das Schicksal einen nicht im richtigen Moment schubst, passiert nichts. Doof, oder?

Kristinsson: Ja, man muss fleißig sein und gut vorbereitet. Und Glück haben.

Grundheber: Welches Repertoire singst Du gerade?

Kristinsson: Barbiere, Figaro…

Grundheber: Kannst Du den Barbier singen? Ich hatte immer Schwierigkeiten damit…

Kristinsson: Ich habe Schwierigkeiten damit…

Sie haben rund 150 Rollen im Lebenslauf, Herr Grundheber, und kennen alle ersten Adressen weltweit. Wenn Sie Ihrem jungen Kollegen ein Opernhaus empfehlen sollten – welches wäre das?

Grundheber: Für die Atmosphäre: die Wiener Staatsoper.

Wie sieht Ihre Wunschliste für die Karriereplanung der nächsten Jahre aus?

Kristinsson Das ich irgendwo singen darf, wo ich wichtige Rollen singen kann, die gut für mich sind und nicht so dramatisch: Graf, Papageno, Figaro, Barbiere, Posa – aber das wäre die Grenze…

Grundheber: Wie alt bist Du?

Kristinsson 31.

Ist diese Auswahl stimmig für Sie?

Grundheber: Ja. Aber es kommt auch auf das Haus an! In einem großen Haus wird es schwieriger sein, den Posa zu singen. Man muss auch die passenden Partner haben… Ich muss ihn einmal hören. Aber wir machen das mal, bei mir zuhause oder hier. Und wenn Du meinen Ratschlag möchtest…

Kristinsson: Das wäre unglaublich. Als ich hier anfing im letzten Jahr, habe ich mir sehr oft Ihre „Wozzeck“-Aufnahme angehört…

Grundheber: Davon hab‘ ich zwölf Aufnahmen gemacht… zwölf…

Kristinsson: Und hat sich der Wozzeck sehr verändert?

Grundheber: Das ändert sich sehr mit der Inszenierung. Der letzte war mit Barenboim Chéreau, das war sehr schwierig.

In Ihrem Job muss man sich immer wieder dazu zwingen, nicht allzu sehr Untertan zu sein?

Grundheber: Ja… wobei man immer Respekt wahren muss. Es gibt aber auch immer etwas dümmlichere…

…Tenöre!?

(beide lachen)

Grundheber: Das würde ich nie sagen!

Wie geht der Satz weiter: Der Beruf des Sängers ist…?

Grundheber: Schön. Das wird er auch sagen.

Kristinsson: Arbeit. Arbeit. Ich möchte „schön“ sagen. Sie können „schön“ sagen.