Hamburg. Von „Walk On By“ bis „Say A Little Prayer“: ein unvergesslicher Abend mit Burt Bacharach in der Elbphilharmonie.
In der entspannten Welt der Song-Klassiker von Burt Bacharach ist das Cocktailglas immer halbvoll und die Sonne geht nie unter, sondern immer, ganz bald, wieder auf; selbst ein eindeutiger Moll-Akkord klingt dort nach Dur, das nur gerade einen Durchhänger hat. Bacharach kam anno 1928 zur Welt, wie auch Warhol und Che Guevara, Stockhausen und Micky Maus. Hits genug für mindestens drei Komponisten-Leben hat er geschrieben; zeitlose, unaufdringlich perfekt gebaute Songs, die man nach wenigen Tönen erkennt und in die man sich immer wieder verknallen muss. Easy Listening-Meisterwerke als Ergebnis beinharter Arbeit. Sechs Grammys, drei Oscars, von beidem zu wenig.
Als also am Sonntag eine Lied-Legende wie Bacharach, der ein cooler kalifornischer Ururur-Enkel von Schubert sein könnte, mit langsamen Schritten auf die Bühne der Elbphilharmonie kam, wo seine zehnköpfige Profi-Band aufs Abliefern etlicher Evergreens wartete, war dort auch ein Jahrhundert Musikgeschichte und ein Kapitel Stil- und Popkultur mit im Großen Saal. So groß, so steil darf man das schon einfliegen. Erst recht, weil ausgerechnet am Tag vor diesem enorm sentimentalen und rührenden Konzert der 88-Jährige João Gilberto in Rio gestorben war. Ein anderer Gentleman, der mit zartbitteren Liebeserklärungen an die „saudade“, die melancholisch schmachtende Sehnsucht, ein nicht allzu entfernter Seelenverwandter war.
Der 91-Jährige sang, als wäre er innerlich Mitte 30
Und natürlich lag über allem, was an Erinnerungen aufgewärmt und verschenkt wurde, ein großer, weichzeichnender Retro-Schleier. Ja, die Sounds aus den Synthesizern waren oft cheesy und das E-Piano suppte 80er-Jahre-seifig; jaja, die tollen Dionne-Warwick- und Aretha-Franklin-Doubles, die neben dem Flügel zum Singen bereitsaßen, hatten diese enorme Perfektion in jeder Phrase, die man sich für Aufnahmestudios antrainieren muss, wo jeder falscher Ton garantiert sofort von der Gage abgezogen wird. Aber, ganz großes Aber: egal. Hier durfte das, hier störte es nicht. Denn hier saß eben dieser hagere, alte Mann, der greise Godfather of Wohlfühl-Pop, mit Einstecktuch und Turnschuhen am Band-Steuer und streute wie ein mit Michelin-Sternen zutapezierter Koch die Geheim-Gewürze seine sparsam platzierten Klavier-Töne über seine Songs, die Allgemeingut sind und Weltpopkulturerbe.
Immer genau passend in die kleinen Lücken, in denen sie enorm Eindruck machten. Sternenstaub vor allem aus kleinen Terzen. Gelernt ist gelernt. Das war nun mal seine Musik, sein Leben. Sein Abend, seine Regeln. Für kleine Conférencen – mal gekonnt launig, mal bitterernst, als es um den Song „Live To See Another Day“ ging, mit dem er auf seine Weise Trauerarbeit über die Amokläufer in US-Schulen betrieb – lockerte Bacharach das Programm auf.
Die Zeitreise zurück führte zunächst vor allem in die Sechziger
Das Herz hüpfte also auch ein kleines bisschen, als von hinten links auf der Bühne bei „Walk On By“ zum ersten Mal ein Flügelhorn verschmuste Fast-Trompetentöne spendierte, denn die Hummel unter den Blechblasinstrumenten ist neben der tanzunverträglichen Taktwechsel ja eines der ewigen Markenzeichen des Arrangeurs Bacharach.
Die Zeitreise zurück führte zunächst vor allem in die Sechziger, zu „What The World Needs Now“, This Guy’s In Love“ oder „I Say A Little Prayer“. Und selbst der kleine Abstecher zu den Rock’n’Roll-Rabauken, die aus dem verunglückten „Little Red Book“ dann doch noch einen Hit machten, hatte Charme.
Beim Weiterblättern durch den eigenen Werkkatalog kam Bacharach an jenem feinen, zartherben Album vorbei, dass er vor nun auch schon gut zwei Jahrzehnten mit Elvis Costello bestückt hatte. Er ließ daraus die Ballade „This House Is Empty Now“ singen; ein weiterer Standard mit Schubert-DNA, der nächste kleine Kloß aus Wehmut im Hals, weil das Leben nun mal nicht ewig ist. Und dann sprachsang dieser hagere Mann mit den schneeweißen Haaren am Flügel, als wäre er innerlich nach wie vor sagen wir mal: Mitte 30 und noch nicht mehrmals geschieden, über „The Look Of Love“. Mit einer Stimme, die so brüchig war, wie sie mit 91 nun mal ist. Und danach kam, Hand in Hand mit „Wives And Lovers“, sein ewiges Lieblingslied „Alfie“: „What’s it all about, Alfie / Is it just for the moment we live / What’s it all about when you sort it out, Alfie.”
Tja. Was die Welt, gerade jetzt, hin und wieder auch gebrauchen kann, sind Auftritte wie dieser, die ganz ohne ironische Brechung mit „That’s What Friends Are For“ enden. Und der Mensch, der bei „Raindrops Keep Falling on My Head“ nicht sofort zu lächeln beginnt, während Paul Newman und Katherine Ross bei strahlendem Sonnenschein im Kino-Paradies Fahrrad fahren, der muss erst noch geboren werden.