Hamburg . Kurios: Saša Stanišić schrieb unter einem Pseudonym über sein eigenes Werk. Wie das gelingen konnte, verrät die Schulbehörde.

Der Roman „Vor dem Fest“ war in diesem Schuljahr Prüfungsthema für Hamburgs Deutsch-Abiturienten. Weil der Autor des 2014 erschienenen Werks in Hamburg lebt, gab es im Verlaufe des Schuljahres für viele Abiturienten die Chance, jenen Autor leibhaftig kennenzulernen. Satte 60 Mal kam Saša Stanišić in Hamburger Schulen in den Deutsch-Unterricht. Literatur zum Anfassen quasi, nicht das schlechteste in den in Schulen schon immer herrschenden Zeiten der Lesefaulheit. Zusätzlich gab es noch zwei Großveranstaltungen mit Stanišić auf Kampnagel: „Stanišić für die Schule“.

Womit der 1978 in Bosnien geborene Schriftsteller auch gleich noch das veranstaltende Hamburger Literaturhaus glücklich machte. Die vielen zusätzlichen Besucher machen sich gut in der Bilanz. Bei den Schülern kam Stanišić, nach allem, was man hörte, sowieso gut an. Was auch daran gelegen haben könnte, dass er selbst Spaß bei seiner Literaturmission gehabt haben dürfte.

60 Termine muss man erst einmal schaffen, besonders dann, wenn man eigentlich mit der Fertigstellung eines neuen Buchs beschäftigt ist. Das heißt „Herkunft“ und steht seit März auf der Bestsellerliste. So wenig die Hamburger Abiturienten um den älteren Roman „Vor dem Fest“ herumkamen, so wenig wollte Stanišić von ihm lassen. Wie der Autor jetzt selbst via Twitter mitteilte, habe er unter falschem Namen die Abi-Deutschklausur in Hamburg mitgeschrieben – und 13 Punkte bekommen.

Stanišić holt einen Punkt mehr als 1997

„Freunde! Ich hab im Deutsch-Abi 13 Punkte geholt! ‘Vor dem Fest’ ist in HH Abi-Lektüre, also schrieb ich mit und legte nach den 12 Zählern 1997 mit Goethes ‘Novelle’ einen neuen Highscore hin. Das Ganze unter Pseudonym: Elisabeth von Bruck!“, schreibt Stanišić auf dem Kurznachrichtenportal. Das muss man dann wohl einen äußerst gelungenen Abi-Stunt nennen: Schriftsteller schreibt inkognito Klausur mit. Thema: seine eigener Roman.

Saša Stanišić schrieb als „Elisabeth von Bruck“ das Abitur mit. 
Saša Stanišić schrieb als „Elisabeth von Bruck“ das Abitur mit.  © Twitter | Twitter

Eine Teilaufgabe, so Stanišić, sei gewesen, eine Art neues Kapitel von „Vor dem Fest“ zu schreiben. Die korrigierende Lehrerin habe seinen Text so kommentiert: „Fans von Stanisic wird die Gestaltung des Kapitels ein Lächeln ins Gesicht zaubern!“ Für den geistreichen und selbstironischen Erzähler Stanišić ist ein Medium wie Twitter wie geschaffen – sein Account zählt zu den lustigsten überhaupt. Weshalb man sich über den folgenden, in jederlei Hinsicht entwaffnenden Tweet nicht wunderte: „Fand Goethe übrigens leichter als Stanišić, da es bei Goethe ja immer nur darum geht, die Sekundärliteratur so umzuschreiben, dass es den Lehrern nicht arg auffällt. Bei Stanišić gibt es die so gut wie gar nicht, also muss man richtig selber nachdenken“.

Bleibt nur die Frage – auch für seine vielen Follower –, wie er es geschafft haben will, seine Arbeit unter die regulären Abgaben zu mischen. Auf Abendblatt-Anfrage wollte sich der am Dienstag auf Lesereise in der Pfalz weilende Schriftsteller nicht über das bei Twitter Stehende hinaus äußern. Nur so viel: Es sei alles kein Fake.

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Allzu streng will Schulbehörde den Fall Stanišić nicht sehen

Im Dialog mit seinen Followern spricht Stanišić von „externen Beurteilungsfällen“, die anonym bewertet würden; es sei kompliziert gewesen und habe „natürlich etwas Hilfe und Orga von ‘innen’ bedurft“. Behördensprecher Peter Albrecht erklärte dazu, dass es in Hamburg auch externe, staatlich nicht anerkannte Privatinstitutionen gebe, an denen man sich auf das Abitur vorbereiten könne, „die Prüfungen werden dann aber vom Land Hamburg vorgenommen. Aber die Institution muss natürlich die Identität des Bewerbers einwandfrei feststellen, das ist in diesem Fall augenscheinlich nicht geschehen“, so Albrecht weiter. Allzu streng will die Schulbehörde den kuriosen Fall Stanišić aber nicht sehen und demgemäß auch nicht im Kontext von Betrugsfällen. „Der Schriftsteller zeigt echtes Interesse an der schulischen Bildung, das ist unbedingt zu würdigen“, sagte Albrecht.

Wenn Stanišić bereits vor seinem Streich ein Stein im Brett bei den Schülern gehabt haben sollte, so dürfte er auf der spätestens jetzt existierenden „Literatur ist doch cool“-Skala noch weiter oben rangieren. Seine Aktion resümierte Stanišić mit positiver Stoßrichtung – verbunden mit einem Appell: „Super Erfahrung alles in allem. Der Arm tat nach 5 Stunden & 22 Seiten höllisch weh (warum darf man eigentlich nicht mit Computer schreiben?), das eigene Buch erzähltheoretisch einzuordnen, ist kein Selbstläufer, und: Schulbehörden, traut euch, mehr Gegenwart zuzulassen.“