Hamburg. Christiane Karg und Thomas Quasthoff erinnerten mit Salon-Musik im Kleinen Saal an Leben und Werke von Louise de Vilmorin.
Um die seligmachende Wirkung abschließend zu erkennen, genügte am Ende dieses schon sehr speziellen Konzertchens im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ein Blick ins Gesicht von Thomas Quasthoff: Der hörte zu, versonnen lächelnd und sanft den durchschimmernden Walzertakt mitwippend, wie sich Christiane Karg neben ihm auf der Bühne die letzte von vielen Salon-Balladen von der Seele sang. Noch ein letztes Gedicht von Lied sang sie dort, Teil einer faszinierenden Hommage an die 1969 gestorbene Lebens-Künstlerin Louise de Vilmorin, die mehrere Komponisten zu Vertonungen inspiriert hatte.
Und was für ein Leben das gewesen sein muss: Autorin, reiche Erbin, mehrmals verheiratet und deutlich öfter Geliebte, zunächst verlobt mit dem Autor des „Kleinen Prinzen“, später unter anderem liiert mit Cocteau, Malraux und Orson Welles, einem britischen Diplomaten und seiner Frau, legendäre Gastgeberin... Man liebe die, die man liebe, nie genug, hatte der Vorleser Quasthoff kurz davor aus einem der letzten Briefe zitiert. Und die zartbittere Musik – elegant schwebend, leicht melancholisch – machte dort tröstend weiter, wo diese Erkenntnis einen mit dem Schicksal allein ließ.
Christiane Karg lässt den Lieder Luft zum Atmen
Was war das nun eigentlich bis dahin gewesen? Das eher deutsch geprägte Genre-Etikett „Liederabend“ mochte nicht an den Poesie-Vertonungen von Francis Poulenc und Claude Arrieu halten, die Quasthoff mit Lebenslauf- und Text-Auszügen aus ihren (inzwischen leicht sepiafarbenen) Gesellschaftsromanen ergänzte und umrankte. Chansons waren es auch nicht, dafür war die Machart zu retro, zu spätromantisch, zu sehr stilsichere Erinnerung ans späte 19. Jahrhundert, an eine Bourgeoisie in Pariser Salons, die Neurosen aufblühen ließ wie Zierrosen im Villengarten und wo die Affären so dezent kamen und gingen wie warmer Sommerregen. Doch gerade das Uneindeutige des Formats passte zum Mehrdeutigen des lyrischen Sortiments.
Vor kurzem erst hatte Karg in einer Serie von Strauss’ Antiken-Oper „Daphne“ an der Staatsoper leuchtende Kondition und Strahlkraft in der Titelrolle bewiesen und sich sogar gegen die Tenorwucht von Andreas Schager behauptet. Jetzt, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie zeigte sie sich von einer anderen, delikateren Seite. Als Liedgestalterin mit Sinn für kluge Zurückhaltung. Überdruck hätte diesen Liedern sofort die Luft zum Atmen genommen.
Eine kluge Distanz zur ernüchternden Realität
Gestalterische Nuancen, subtile Textauskostung, ein Faible für das Fragile dieser Miniaturdramen, all das lag Karg bestens. Sie gurrte, litt, flirtete, schmachtete, und blieb dabei sicher in jenem halbplaudernden, beiläufigen Tonfall, der diese charmant verträumten Lieder auf kluge Distanz zur ernüchternden Realität hält.
Klassisch singen mag der Bariton Quasthoff nicht mehr, formvollendet rezitieren und mit Worten ohne Noten Stimmung erzeugen, das geht, fein sogar. Mit Justus Zeyen – seit vielen Jahren musikalischer Vertrauter – hatten die beiden Stimmen einen Klavierbegleiter hinter sich, der so diskret die passenden Klangfarben und Harmonien anreichte, als wäre es ein leichter, kühler Weißer zum Vorglühen für einen geselligen Abend in erlesener Gesellschaft, an dem alles kann, aber nichts muss. So unkonventionell dieser Abend auch war, so gern darf es mehr davon geben.