Hamburg . Das Internationale Sommerfestival wagt vom 7. bis 25. August auf Kampnagel den Blick in die Zukunft und bietet neun Uraufführungen.

Der Klimawandel ist spätestens seit den Freitagsdemonstrationen das beherrschende Thema der Politik. Jetzt ist er auch beim diesjährigen Internationalen Sommerfestival angekommen. Wie zum Beweis fegt ein kurzer Sturm die Blumendeko von den Tischen des beschaulichen Gartenfrühstücks (Pina-Bausch-Rasen!) auf Kampnagel zur Programmpräsentation. „Daran müssen wir uns wohl gewöhnen“, sagt Festivalleiter András Siebold.

Vom 7. bis 25. August hat er erneut ein Programm zusammengestellt, das vertraute Gesichter und Kontinuitäten zu den überaus erfolgreichen Vorgängerjahrgängen enthält, mit dem er aber auch unbekanntes Terrain betritt. Im vergangenen Jahr zog Siebold mit seinem Mix aus Tanz, Musik, Performance Film und Theorie 33.000 Besucher an, rekordverdächtig. Erfolg macht mutig. Und so fehlen diesmal zum Beispiel die klangvollen Namen berühmter Tanzkompanien. Dafür setzt Siebold auf stolze neun Uraufführungen.

„Unterhaltung für ein aufgeklärtes Trash-Publikum“

Vieles dürfte man in der Tat so noch nie gesehen haben. Etwa wenn die französische Medienkunst-Truppe „(La) Horde“, die im vergangenen Sommer mit ihren Jumpstyles erstmals begeisterte, für „Marry Me In Bassiani“ (7. bis 10.8.) mit ehemaligen Nationalballett-Tänzern georgischen Volkstanz auf rasante Clubkultur-Bewegungen treffen lässt. In „If You Want To Continue“ (8.8. bis 10.8.) zeigt die aus Moskauer Randbezirken rekrutierte Gruppe Vasya Run einen geheimnisvollen Tanz aus subtilen spirituellen Gesten. Die in Berlin lebende kanadische Künstlerin Peaches wird zu ihrem 20-jährigen Bühnenjubiläum neben einer Ausstellung im Kunstverein eine schrille Varieté-Show unter dem Titel „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ (15. bis 17.8.) kreieren. Das sei „Unterhaltung für ein aufgeklärtes Trash-Publikum“, so Siebold.

Das Thema Klimawandel findet sich nicht nur in dem theoretischen Schwerpunkt „3Gradplus“ (17.8.), zu dem etwa der bekannte US-Journalist David Wal­lace-Wells kurz vor Erscheinen der deutschen Übersetzung seines Bestsellers „Die unbewohnbare Erde“ anreist. Das Buch sei „superdeprimierend“, so Sie­bold, aber gleichzeitig sei der Autor Optimist, und darum gehe es auch im Festival: nicht in Lähmung zu verfallen, sondern ein Bewusstsein zu entwickeln und zu handeln. Der Klimawandel hat auch den belgischen Theatermacher Kris Verdonck mit „Something (Out Of No­thing)“ (14. bis 17.8.) zu einem bildgewaltigen Endzeit-Tanz inspiriert.

Subtiler Horror

Von subtilem Horror, der in ein scheinbar ödes Museumswärter-Leben einbricht, erzählt wiederum die Norwegerin Susie Wang in ihrer Performance „Mummy Brown/Mumienbraun“ (15. bis 18.8.). Wang hat in Theaterkreisen einen klangvollen Namen, weil sie sich in den 1980er-Jahren mit der lustvollen Zertrümmerung der Sprechtheatertradition Ruhm – und auch das Gegenteil davon – erwarb. Ihre Arbeit steht für die zweite inhaltliche Schneise, die sich durchs Festivalprogramm zieht: Zukunftsvisionen, positive wie negative, und nicht immer glimpflich ausgehende Begegnungen mit Aliens, Cyborgs und Robotern. Science Fiction diene ja dazu, im Grunde von der Gegenwart zu erzählen, so Siebold. Als Beispiel für eine positive Mensch-Maschine-Begegnung zeigt die Berliner Gruppe Rimini Protokoll in „Uncanny Valley“ (21. bis 25.8.) den unter einer bipolaren Störung leidenden Schriftsteller Thomas Melle als Roboter auf der Bühne und dokumentiert, wie das Humanoide dem Menschen auch helfen kann.

Im Sommer darf das Politische ja gerne mit etwas Leichtigkeit daherkommen. So gibt es es ein Wiedersehen mit dem kanadischen Kollektiv Socalled um Vordenker Josh Dolgin, der mit „Space – The 3rd Season“ (8. bis 11.8.) zum dritten Teil seines Puppentheater-Musicals für die ganze Familie lädt. „Manche Künstler laufen einem einfach so zu“, beschreibt András Siebold seine fruchtbare Verbindung zu Dolgin. Ebenfalls kontinuierliche Festivalbegleiter sind die Hamburger Schauspielerin Iris Minich und der Musiker Arvild J. Baud, bekannt als Duo JAJAJA, die diesmal mit dem „Raumschiff Atopia“ (9. bis 24.8.) und einer Science-Fiction-Show mit Livemusik im Festival Avant-Garten abheben. Und der kanadische Musiker Kid Koala wird mit einem Satellite Turntable Orchestra eine „Turntable Experience“ (21. bis 24.8.) zelebrieren, in der der Zuschauer am Plattenspieler zum Mitakteur wird.

Teenagerträume und alternde Eltern

Die Neugier auf das Sommerfestival wächst schon bei Beschäftigung mit dem Programm. Es erzählt von Teenagerträumen und von alternden Eltern. Von Katastrophen und Aufbegehren. Und zum Abschluss gibt es dann doch noch so etwas wie großformatigen Tanz mit „Where­ There’s Form“ (23. bis 25.8.), das die von William Forsythe geförderte kanadische Choreografin Aszure Barton gemeinsam mit dem Musiker Hauschka entwickelt. Der Sommer kann kommen.