Hamburg. Die Background-Sängerinnen von Ina Müller und Udo Lindenberg überzeugen mit völlig unterschiedlichen Alben.

„20 Feet From Stardom“ hieß der Oscar-Gewinner 2014 für den besten Dokumentarfilm, der die wunderbaren Stimmen in den Mittelpunkt stellte, die sonst sieben Meter hinter Stars wie Bruce Springsteen, Stevie Wonder oder Sting stehen: Backgroundsängerinnen und Begleitsänger, die den Liedern auf der Bühne und im Studio mehr Tiefe, mehr Power, mehr Harmonien verleihen.

Würde man einen ähnlichen Film mit Hamburger Stimmen drehen, dann dürften Sarajane McMinn und Ina Bredehorn auf keinen Fall fehlen. Sie sind seit vielen Jahren mit den beiden größten Hamburger Popstars unterwegs, McMinn mit Ina Müller und Bredehorn mit Udo Lindenberg. Sie kennen ausverkaufte Arenen und Stadien, singen auf Hitplatten oder bei „MTV Unplugged“, und das nicht nur sechs Meter hinter Udo und Ina, sondern auch ganz vorne in Duetten und Solo-Beiträgen. Aber beide machen auch ihr ganz eigenes Ding auf ihren neuen Alben.

Wer Sarajane bereits mit ihrer eigenen Band im Nochtspeicher oder im Knust gesehen hat, der weiß, das „Fuel“ genau der richtige Titel für ihr zweites Album ist. Mitte der 1980er auf dem Land bei Wolfsburg geboren und seit 2005 in Hamburg lebend, hat sie seit Teenagertagen eine wie Benzin brennende Leidenschaft für die großen R’n’B-Showgirls Missy Elliott, Beyoncé, Rihanna oder Lauryn Hill. Singen bei jeder Gelegenheit und Kellnern bestimmen die ersten Jahre in Hamburg, bis sie 2008 um Mitternacht einen Anruf bekommt: Eine Backgroundsängerin von Ina Müller war krank, Sarajane fuhr morgens nach Mannheim, sprang ein und begleitet Müller seitdem zusammen mit Ulla Ihm.

Gut gelauntes Sommeralbum

Auf der Bühne ist Sarajane mit einer fantastischen Stimme und einem überschäumenden Temperament gesegnet, und ihr Talent zeigt sie auch als Songschreiberin in Liedern wie „On Top“, „Diamonds & Pearls“ oder „Pieces“ mit einer modernen, elektrisierten, aber nicht zu sehr polierten Produktion. Der Sommer, der Hüftschwung, der Dancefloor werden mit „The Boss“ bestens bedient, das hymnische „Bullets Out Of Love“ wird wohl auf ewig ihre Konzerte beenden und auch die ungewohnt leisen Töne in den Dream-Pop-Schwebern „Kaleidoscope“ und „Pieces“ oder in der Ballade „Guess Who’s Back“ überzeugen.

Nach dem rockigen Abschluss „Get Up 10“ kann nur gesagt werden: Dieses Sommeralbum macht Spaß und Lust auf ihre kommenden Konzerte am 14. Juni in der Lola (mit Miu) und am 20. November im Knust. Aufgenommen wurde „Fuel“ übrigens neben dem Hafenklang Studio auch in den Boogie Park Studios, eines von Udo Lindenbergs Wohnzimmern.

„Attacke“ ist herrlich laut

Womit wir bei Ina Bredehorn sind. Wie Sarajane wurde sie Mitte der 80er geboren, wuchs auf dem norddeutschen Land – bei Wilhelmshaven – auf und schlug sich nach ihrer Ankunft in Hamburg 2011 ebenfalls als Kellnerin die Nächte um die Ohren. Und natürlich noch viel lieber als Musikerin. Die Hände der ausgebildeten Industriemechanikerin lernten Gitarre und Klavier, und bereits 2014 gewann sie mit ihrer Band den von Udo Lindenberg initiierten „Panikpreis“ für Newcomer. Udo nahm sie direkt in seinem Panikorchester auf, frei nach dem Motto ihres Duetts bei „MTV Unplugged“ im Juli 2018 auf Kampnagel: „Du knallst in mein Leben“.

„Fuel“ von Sarajane ist ab 17. Mai im
Handel.
„Fuel“ von Sarajane ist ab 17. Mai im Handel. © Annemone Taake

Ina ist Udos „Cousinchen“, denn als Deine Cousine veröffentlichte sie jetzt ihr erstes, in den – wo auch sonst – Boogie Park Studios eingeholztes Album „Attacke“: Es ist ein herrlich lautes, vorlautes und ehrliches Album mit direktem Zug zum Ohr, schnörkellos und ungeschliffen. Eins-zwei-drei-vier hieß es vor wenigen Tagen beim Release-Konzert im ausverkauften Logo, am 6. Dezember ist Tourabschluss im Knust.

Musik mit „Bauchgefühl

Deutscher Rock mit fetten Gitarren ist in letzter Zeit wieder im Wortsinn am Aufdrehen, und Deine Cousine zieht sich dazu hörbar Tote Hosen an. Nennt es Punk, nennt es Rock’n’Roll, es ist auf jeden Fall Musik mit „Bauchgefühl“, mitten in den Magen, mitten in die Fresse. „Scheiß auf Ironie“, singt Ina und nimmt in ihren zwölf Liedern überhaupt kein Blatt vor den Mund. So stellt sie sich überspitzt existenzielle Fragen von so manchen Großstädtern in den 30ern ihres Lebens: „Kiez oder Kinder, ist es wirklich schon so weit? Krippe oder Koks? Ich dachte, ich hätte noch Zeit“, singt sie im Video am Fenster des Goldenen Handschuhs.

„Attacke“ von Deine Cousine
erschien am 26. April.
„Attacke“ von Deine Cousine erschien am 26. April. © Ronja Hartmann | Ronja Hartmann

Nicht nur in der berüchtigten Absturzkneipe ist Alkohol „Freund oder Feind“, Problem oder Lösung. Und Liebe ist manchmal leider nur ein vergeblich von einer Zufallsbegegnung erbetenes „Küss mich“ an einem Freitagabend. Aber Deine Cousine gibt sich „Unkaputtbar“, feiert trotzdem in „St. Pauli“ das Viertel, das dich nimmt wie du bist. Immer Vollgas, immer voll, immer in die Vollen. Ist das zu oberflächlich? Oder sind es nicht viel mehr die Fassaden eines Panikherzens?

Früher oder später erwischt es jeden, Udo Lindenberg kann viele Lieder davon singen, und auch Deine Cousine weiß am Ende von „Attacke“ stellvertretend für viele von einer Seele zu berichten, die gesichert scheint wie Fort Knox. Aber jeder Mensch hat seine „Sollbruchstelle“. Ein berührendes, leises Finale.