Hamburg. Hausbank des Hamburger Musikers verzockte das Geld an der Börse. Wie die Geschichte ausging, steht in einem neuen Buch.
Stell dir vor, du rufst bei deinem Bankberater an, um mal zu fragen, was das Geld auf deinem Konto eigentlich so macht. Und dein Bankberater sagt: Welches Geld? Na, die vier Millionen Euro und ein paar Zerquetschte, sagst du. Alles weg, sagt der Bankberater.
Alles weg.
Heute dürften dem Mann, dem diese Geschichte passiert ist, vier Millionen Euro egal sein. Seine Beziehung zu Geld ist inzwischen eine andere geworden und das nicht nur, weil er davon aktuell so viel hat wie nie zuvor in seinem Leben. Es geht ihm grundsätzlich nicht mehr um Geld, es geht ihm ums Leben, um die große Show und dieses eine Ziel: „Den Leuten das Gefühl zu geben, dass die Welt besser werden sollte, nicht schlechter. Weiter, immer weiter.“
Verzockt am Neuen Markt
Dies ist die Geschichte von Udo Lindenberg, und sie ist wahrscheinlich nie so gut erzählt worden wie in dem neuen Buch „Udo“, das der Musiker zusammen mit „Spiegel“-Reporter Thomas Hüetlin geschrieben hat. Die Anekdote mit den vier Millionen Euro, die Lindenbergs Hausbank bei der Krise des sogenannten Neuen Marktes Anfang des 21. Jahrhunderts verzockt hatte, ist dabei nur eine von mehreren, die belegen, wie fertig und erledigt der Mann mit dem Hut zwischenzeitlich war. Genauso wie die Figur im Song „Der Millionär hat keine Kohle mehr“:
Der Millionär hat keine Kohle mehr
Das Leben ist grausam
Und die Taschen sind leer
Haste mal n schlaffen Euro oder ne
müde Mark?
Die letzte Bank, die ihm noch bleibt
Ist die Bank im Park.
Das liest sich wie Lindenberg über Lindenberg. Damals, kurz nach der Jahrtausendwende, als sein Leben zu Ende schien, schrieb er den Song. Jetzt zitiert er ihn im Buch wieder. Und erzählt, wie schlimm das wirklich war, vor diesem Comeback, über das heute alle sprechen. Udo auf Tournee war im Jahr 2000 eine Zumutung, für Fans, für Freunde, für Veranstalter. „Oft schlief er in der Garderobe ein, manchmal mussten Doppelgänger seine Nummern zu Ende singen.“ Er trank Whisky, Absinth, das ganze Zeug, konnte „die eigenen Texte auf dem Teleprompter nicht mehr erkennen“. Ausgerechnet in der Alsterdorfer Sporthalle (!), bei einem Heimspiel. Tage später lieferte sich Udo Lindenberg selbst ins Krankenhaus St. Georg ein. Er hatte 4,7 Promille. An sich nicht mehr zu retten. Ein Zivildienstleistender sagte zu Udo im Krankenhaus: „Alter, ich kann es nicht mehr mit ansehen, was du aus deinem Leben gemacht hast. Eine Schande. Eigentlich hast du hier nichts verloren.“ Tja, der junge Mann hatte recht.
Udo am Tiefpunkt seiner Karriere
Lindenberg schien damals alles zu verlieren, Geld, Gesundheit, Anerkennung. Es war die Zeit, in der ihm seine alte Plattenfirma gekündigt, der große Sänger erstmals keinen Vertrag mehr hatte. Niemand mehr da, der Udos Reisen und Spesen bezahlte. Kaum noch Anfragen für Auftritte, das letzte Album „Atlantic Affairs“ nur 7000-mal verkauft, eine riesige Enttäuschung. „Da denkst du an Rex Gildo“, heißt es im Buch, „der 10.000-mal Hossa gesungen hat, am Ende in irgendwelchen Möbelhäusern, nur um den Tank noch vollzukriegen, bis zum nächsten Möbelhaus.“
Es kam alles ganz anders. Udo begann mit dem Trinken aufzuhören, fing wieder an, hörte wieder auf. Er musste nüchtern werden, um diese Schlappe wettzumachen, dieses 33. Album, das nur 7000 Menschen haben wollten. Er musste abnehmen, sich gesund ernähren, um seinen eigenen Absturz zu überleben. Udo ging wieder ins Studio und vor allem: er fing wieder an zu singen. Richtig zu singen. „Mit der Taschenlampe ganz tief rein in die Seele“, so nannte er das. „Was hat die Zeit mit uns gemacht“ und „Wenn du durchhängst“ zum Beispiel. Zwei neue Lieder, ein neuer Sound, verklärte Gesichter am Mischpult, endlich mal wieder.
Triumph mit "Star wie zwei"
Als Udo einen Rückfall bekommt und aus irgendeinem Grund hochprozentigen Alkohol mit ins Studio bringt, trinken ihn die Produzenten um Andreas Herbig einfach selbst aus. Udo muss trocken, Udo muss sauber bleiben. Er bleibt sauber – und wie: Als sein 34. Album „Stark wie Zwei“ erscheint, hoffen alle auf zehnmal so viele Verkäufe wie bei Album Nummer 33. Aber: „Vier Wochen nach der Veröffentlichung erreichte es Platz eins der Charts. Noch nie hatte Udo diesen Triumph geschafft. Er würde in diesem Jahr am Ende über 600.000 Alben verkaufen.“
Fit wie nie mit über 70
Der Rest der Geschichte ist bekannt, denkt man. Ist er aber gar nicht. Udo nimmt den Lesern in „Udo“ mit hinter die Bühne eines der Stadien, in denen er jetzt vor 40.000 Fans wieder singen darf. Er, das heißt, der neue Lindenberg. Der, der jeden Morgen um drei Uhr einmal um die Alster läuft, acht Kilometer. Der viel Gemüse isst und wenig Fleisch. Der inzwischen die Hosengröße 28 hat, wie Mick Jagger, bisschen spiddelig, aber fit wie nie, mit über 70. „Das Alter ist kein wirkliches Problem mehr im Rock ’n’ Roll. Der Hüftumfang ist es“, schreibt Udo, und dass er bei seinen Konzerten immer ein paar Spezialisten dabei hat: „Ärzte. Drei stehen hier mit dir in deiner Garderobe. Dr. Partenheimer, der Orthopäde, Dr. Behrbohm und Dr. Pauly, der eigentlich immer dabei ist, eine Art Leibarzt.“ Udo muss in seinen Konzerten bis zu zwölf Kilometer laufen, 34 Songs singen. Früher hätte er dafür ein Dutzend Doppelgänger gebraucht.
Zum Ende des Buches spürt man die Dankbarkeit, die der Hamburger über den Verlauf seines Lebens empfindet, darüber, die entscheidende Kurve gekriegt zu haben. Denn es sind ihm ja nicht nur die erniedrigenden Auftritte in Möbelhäusern erspart geblieben. Sein MTV-Unplugged-Album verkaufte sich 1,2 Millionen Mal, doppelt so viel wie das der „Ärzte“. Nummer zwei erscheint Mitte Oktober. Das Lindenberg-Musical war ein gigantischer Erfolg, nahezu alle Tourneen und Auftritte sind ausverkauft. Es gibt ein Museum 2.0, die „Panik City“ auf der Reeperbahn, die neue Biografie, bald einen Film. Benjamin Stuckrad-Barres Buch „Panikherz“, nicht nur, aber auch eine Liebeserklärung an Udo, war Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Und als würde das nicht reichen, ist Hamburgs Politik fest entschlossen, dem Herrn Lindenberg die Ehrenbürgerwürde zu verleihen.
Und wo sind die Millionen?
Bleibt die Frage, was mit den vier Millionen Euro passiert ist, von denen am Anfang dieses Textes die Rede war und die Udo bei seiner Bank in guten Händen geglaubt hatte. Schließlich hatte er seinem Berater aufgetragen, mit der Kohle ganz vorsichtig umzugehen, für den Fall der Fälle, kann ja auch mal bergab gehen in Leben und Karriere. Und dann das. Alles weg. Das lässt sich einer wie Udo nicht gefallen. Aber lesen Sie selbst, wie das Treffen des Kunden Lindenberg mit seinem Berater ausging:
„Ich habe viele Freunde“, sagte Udo, „denen kann ich das gar nicht erzählen, was ihr mit mir gemacht habt. Die würden da nicht stillhalten können, egal, ob ich mit meinen Freunden auf der Reeperbahn oder mit denen im Kanzleramt spreche. Ihr seid gesunde, vermögende Menschen hier bei eurer Bank, steht in der Blüte eures Lebens. Also seid vernünftig. Ich will, dass es euch gut geht, und damit dies so bleibt, wäre es vernünftig, wenn ihr mir drei Millionen Euro zurück auf mein Konto zaubert. Ihr habt das Geld verzockt, darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber ich will nicht kleinlich sein oder nachtragend. Deshalb gebe ich mich, sagen wir mal, mit 70 bis 80 Prozent der ursprünglichen Summe zufrieden.“
Udo verabschiedete sich und wies noch auf seine Kosten für Hotel und Entourage hin:
Ein paar Wochen später geschah das, wovon Millionen in der folgenden Finanzkrise Geprellte bis heute träumen. Der geforderte Betrag fand sich wieder. Auf Udos Konto.
Udo Lindenberg: „Udo“ (Mitarbeit: Thomas Hüetlin), 352 Seiten, 24 Euro, Kiepenheuer & Witsch, erscheint am 4. Oktober.