Hamburg. Der Regisseur feiert im Mai 80. Geburtstag. 15 Hamburger Kinos zeigen am Sonntag seinen Film „Nordsee ist Mordsee“.
Was schenkt man einem Menschen, der schon alles hat? Wenn es ein Regisseur ist, zeigt man zum Beispiel sein Werk: Am Sonntag läuft zum vierten Mal die Aktion „Eine Stadt sieht einen Film“, diesmal kommt ein echter Klassiker auf die Leinwand. „Nordsee ist Mordsee“ von Hark Bohm aus dem Jahr 1976. Gespielt wird er in 15 Hamburger Kinos mit zahlreichen Gästen und erstmalig in der frisch digitalisierten und restaurierten Fassung. Die Hauptrollen spielen Uwe Bohm und Dschingis Bowakow. Die Aktion ist ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk für den Regisseur, der am 18. Mai 80 Jahre alt wird.
Als Bohm „Nordsee ist Mordsee“ drehte, war er 36 Jahre, ein „Jungfilmer“. Was bedeutet ihm nun sein demnächst anstehender runder Geburtstag? Hark Bohm blickt nachdenklich auf die Wände in seiner Wohnung, die voll sind mit Fotos von Kindern und Enkeln. „Diese Form von Familie ist auch das Ergebnis von 80 Jahren. Man soll das Wort Glück ja vorsichtig gebrauchen, damit es nicht inflationär wird. Aber gerade ist das meine Grundempfindung.“
Ein Blick auf die 70er-Jahre
In „Nordsee ist Mordsee“, der viel mit Bohms Familienkonstellation zu tun hat, geht es um zwei Teenager, beide tragen ihre tatsächlichen Vornamen. Dschingis wird wegen seines asiatischen Aussehens von seinen Mitschülern gemobbt. Auch von Uwe, der einen trinkenden und prügelnden Vater zu Hause hat. Mit Dschingis‘ Floß machen sich beide auf den Weg in Richtung Elbe, stehlen dann aber doch lieber ein Segelboot um schneller voranzukommen. Die ehemaligen Gegenspieler wollen einfach nur weg und bilden an Bord eine kuriose Zweckgemeinschaft.
Es gibt ein fernes Land in diesem Film zu entdecken, die 70er-Jahre. Das heißt unter anderem: Schlaghosen, Bonanza-Räder und Mädchen in Kniestrümpfen. Hark Bohm hatte 1973 bereits „Ich kann auch ‘ne Arche bauen“ mit Uwe und „Tschetan, der Indianerjunge“ mit Dschingis gedreht. Beide Jungen sollte er später adoptieren. Für die Hauptdarsteller hat der Film autobiografische Hintergründe, Uwe Bohm stammte aus einer Problemfamilie.
Hark Bohm schrieb die Dialoge
Dschingis Bowakow, heute 57 Jahre alt, erinnert sich. „Ich war auf neun verschiedenen Schulen, und immer der Exot. Weil ich mit dieser Situation aber sehr viel Übung hatte, war ich im Vorteil. Ich musste immer ein bisschen schneller, stärker und schlauer sein als die Anderen.“ Längst ist er auf die andere Seite der Kamera gewechselt und arbeitet heute als Produktionsleiter. Schauspieler kam als Beruf für ihn nicht in Frage: „Ich war nicht genügend Rampensau.“
Er staunt, welche Bekanntheit der Film bis heute hat. „Mich sprechen immer noch Leute auf diesen Film an, obwohl er schon so lange her ist. Offenbar hat er sehr viele Leute berührt, besonders in Hamburg.“ Hark Bohm schrieb die Dialoge, seine Darsteller interpretierten die in fettem Hamburger Slang.
Gesegelt sind die Jungs damals selbst, Dschingis wurde vorher noch zu einer Segelschule nach Cornwall geschickt. „Die einzige Aufnahme, in der Dschingis nicht an der Pinne war, ist die erste große Einstellung als das Boot vom Südufer auf die Elbe fährt“, erzählt Hark Bohm. „Kameramann Wolfgang Treu saß an der Pinne, ich war mit an Bord. Wir haben das Boot dann zwischen einem Container-Frachter und einem Stückgutschiff durchgesteuert. Wolfgang ist dabei über Bord gegangen, später bin ich auch noch gekentert.“
Heftige Auseinandersetzungen um die Altersfreigabe
Insgesamt ist der Film eine ziemlich intensive Familienangelegenheit. Neben den beiden Bohm-Söhnen spielen auch Dschingis‘ Mutter Katja als seine Mutter und Hark Bohms Bruder Marquard als Uwes Prügel-Vater mit. Die Frau des Regisseurs, Natalia Bowakow, die zugleich die Schwester von Dschingis ist, kümmerte sich um das Drehbuch, Dschingis‘ Schwester Nina um die Garderobe. „Der deutsche Film war damals in einer Aufbruchsituation“, erklärt der 79-Jährige. „Es gab noch keine großen Budgets.“
Bevor der Film in die Kinos kam, gab es heftige Auseinandersetzungen um die Altersfreigabe: zwölf oder 16 Jahre? Es geht immerhin um einen Automatenaufbruch, Messerkampf, einen Polizisten, der auf Kinder schießt, und um Prostitution. Am Ende einigte man sich darauf, dass Zuschauer ab zwölf Jahren ihn sehen konnten. Und der Film, der seine Seelenverwandtschaft zu Mark Twains Protagonisten Tom Sawyer und Huckleberry Finn nicht leugnen kann, hat Spuren hinterlassen. In der Bestsellerverfilmung „Tschick“, für die Hark Bohm gemeinsam mit Fatih Akin das Drehbuch schrieb, gehen ebenfalls ein deutscher und ein mongolischstämmiger Jugendlicher auf eine Odyssee. In „Der Goldene Handschuh“ (auch hier verantworteten Bohm und Akin das Script gemeinsam) fährt einer der Schauspieler auf einem Fahrrad mit falsch herum montiertem Rennlenker – wie Uwe in „Nordsee ist Mordsee“.
Udo Lindenberg liefert das Rahmenprogramm
Als Hark Bohm seinen Film kürzlich zusammen sah, sei er beinahe sentimental geworden, gesteht er. „Du hast da etwas gemacht, das wird länger leben als du. Dabei hatten wir zu unseren Filmen eher eine Einstellung wie die Handwerker: Wenn der Tisch fertig war, haben wir ihn abgeliefert.“
Udo Lindenberg liefert am Sonntag das Rahmenprogramm. Zu Beginn aller Vorführungen wird als Ausschnitt aus seiner DVD „Udo Lindenberg MTV Unplugged 2 – Live vom Atlantik“ der Titelsong des Films gespielt, „Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau’n“, der auch am Schluss in seiner ursprünglichen Fassung wieder erklingt. Bohm hatte den Musiker damals im Onkel Pö gehört, mochte seine Texte, fuhr zur „Villa Kunterbunt“, in der auch Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhagen lebten, und fragte Lindenberg, ob er Lust hätte, mitzumachen. „Den Text haben wir dann zusammen an unserem Küchentisch geschrieben. Das ging damals noch einfach so, ohne Agenten.“
Im vergangenen Jahr wurde Bohm mit dem Ehrenpreis der Deutschen Filmakademie ausgezeichnet. Eine seltene Ehre, „aber mindestens so wichtig war mir, dass ich zusammen mit Fatih Akin auch den Drehbuchpreis für ,Aus dem Nichts‘ bekommen habe.“
Der 80. Geburtstag wird in der Familie gefeiert, schon am Tag darauf aber geht es im Kino weiter: Das Zeise zeigt am 19. Mai den Bohm-Film „Yasemin“. Auch eine Art Geburtstagsgeschenk.