Hamburg. Schauspielerin las in der Laeiszhalle Texte syrischer Autoren mit viel Ernst. Meisterpianistin Marianna Shirinyan begleitete sie.
Die Pianistin Marianna Shirinyan spielte Werke von Schumann über Schönberg bis Pärt, die Schauspielerin Katja Riemann las Gedichte und Geschichten von geflüchteten Autorinnen und Autoren aus Syrien. Weswegen war die Laeiszhalle vergangenen Sonnabend nur so erbärmlich schlecht besucht? Wegen des Themas? Wohl kaum – wenn man der Politik glauben schenkt, bewegt nichts die Bevölkerung so sehr wie Migration und Flüchtlingsfragen. Wegen Shirinyan? Sicher nicht – die armenische Musikerin zählt zu den unangefochtenen Meisterinnen auf ihrem Instrument, spielt unter anderem mit Orchestern wie dem dänischen Nationalorchester und den Münchner Symphonikern. Wegen Riemann vielleicht?
Ach, Katja Riemann. Anfang der Nullerjahre war die heute 55-Jährige einerseits eine der meistgebuchten Filmschauspielerinnen der Republik, andererseits eine Art Kassengift – wer damals cineastisch halbwegs etwas auf sich hielt, schaute sich Filme alleine deswegen nicht an, weil Katja Riemann mitspielte. Dabei ist sie sicher keine schlechte Schauspielerin, sie ist nur eine Künstlerin, die alles, was sie anfasst, mit heiligem Ernst macht. Und heiliger Ernst ist in Zeiten allumfassender Ironie ein tödliches Vergehen. So was wollen viele nicht sehen, und das erklärt vielleicht, weshalb ganze Reihen am Sonnabend leer blieben.
Den Krieg beenden, das schafft nicht mal ein Geist
Ernst ging Riemann auch ihre Performance in der Laeiszhalle an. Hochkonzentriert, barfuß, mit strengem Blick las sie Geschichten: Aref Hamzas „Wie der Tropf an ihrer Hand“, eine Erzählung von Entwurzelung und Heimatverlust zwischen Mersin und Buchholz, der letzte Satz lautete „Ich bin einsam“. Oder Kenan Khadajs „Ich und die Wunderlampe“, hintergründig humoristisch, ein Müllmann findet eine Wunderlampe im Abfall und weiß nicht so recht, was er sich wünschen soll. Der Lampengeist rät: „Wünsch dir bloß nicht solche Sachen wie die Beendigung des Kriegs in Syrien und im Irak“, klar, so was kriegt auch kein Geist hin. Oder Gedichte von Yamen Hussein: „Deine Koffer werden nie ausreichen“, hieß es in „Zwischenräume“. Migrationsschicksal.
Riemann faltet Techniker zusammen
Dass Riemanns Mikroport dabei immer wieder zickte, war angesichts ihres strengen, ernsten Vortrags durchaus störend. Zumal die Verstärkung überhaupt nicht nötig gewesen wäre, ihre voluminöse Intonation füllte den Saal problemlos. Und, sicher, es war nicht unbedingt sensibel, dass ein Techniker ihr mitten im Vortrag der dunklen Erzählung „Am Rande der Rettung“ von Lina Atfah ein Handmikro überreichte – aber dass Riemann den armen Mann dann vor Publikum zusammenfaltete, hätte auch nicht sein müssen. Diese Reaktion verdeutlichte, woher die Schauspielerin den Ruf hat, etwas „schwierig“ zu sein. Andererseits: Sie nimmt ihre Aufgabe ernst, vielleicht zu ernst. Und bei ernster Arbeit sollte man einfach nicht gestört werden.
Von der Spiellust der Musikerin ins Chaos gestürzt
Den Kontrast zu Riemanns manchmal gehörig unter Bedeutungsschwere ächzendem Vortrag lieferte Shirinyans Klavierspiel. Sanft perlend bei Robert Schumanns „Am Abend“, lebendig springend bei Béla Bartóks „Rumänischen Tänzen“. Shirinyan beherrschte unterschiedliche Phrasierungen, einen ganz eigenständigen Ton fand sie allerdings im harten Anschlag, wenn Rhythmus und Anarchie die Kompositionen kaperten: bei Alexander Arutjunians „Armenischem Tanz“ oder bei Tigran Mansurians „Drei Stücke in dichten Tönen“ etwa. Hübsch auch wie ein eigentlich ohrenfreundliches Werk wie Frédéric Chopins „Ballade Nr. 4, f-Moll, Op. 52“ zwar konventionell begann, aber gegen Ende dann doch noch von der unbändigen Spiellust der Musikerin ins Chaos gestürzt wurde.
Das Publikum jedenfalls ließ sich begeistern von Shirinyans Spiel. Und ebenso nötigte einem Riemanns zutiefst ernsthafte Auseinandersetzung mit der Literatur Respekt ab – der Schlussapplaus war trotz lichter Reihen tosend. Und, wer weiß: Vielleicht ist die künstlerische Haltung des Abends ja nicht die schlechteste, vielleicht sollte man sich angesichts des Erfolgs rechtspopulistischer Politik und angesichts des Massensterbens im Mittelmeer tatsächlich einen Umgang mit der Realität angewöhnen, der nicht ironisch ist. Und vielleicht sollte man Katja Riemann noch einmal eine Chance geben. Zumal, wenn sie mit einer Weltklassemusikerin wie Marianna Shirinyan auftritt.