Hamburg. Gerade erst feierte John Neumeier seinen 80. Geburtstag. Nun reist er mit seinem Ballett-Ensemble um die Welt.

Das Hamburg Ballett ist auf einer zweiwöchigen Gastspielreise in Hongkong und Peking unterwegs und tritt zum vierten Mal beim Hong Kong Arts Festival auf. Nach den ersten Vorstellungen ist John Neumeier am Telefon im Theater. Die Verbindung ist schlecht und bricht einige Male ab.

Hamburger Abendblatt: Herr Neumeier, was verbindet Sie mit der chinesischen Metropole Hongkong?

John Neumeier: Das ist unser viertes Gastspiel in Hongkong und wir haben viele tolle Erlebnisse hier gehabt. Das erste Mal war die Stadt noch englisch. Damals war es ein bisschen gesellschaftlicher, es kamen auch Botschaftsmitglieder. Das hat sich verändert. Es ist chinesischer, was ich aber sehr mag. Wenn sie uns einladen – und wir gastieren hier mit drei Produktionen über insgesamt zwei Wochen –, organisieren sie ein großes Rahmenprogramm. Zwei Vorstellungen von „Der Nussknacker“ wurden nur für ganz kleine Schulkinder organisiert. Zu Beginn bekommen sie eine längere Einführung darüber, wie sie sich im Theater benehmen sollen. Es gibt auch ein extra Programmheft, das sollten wir unbedingt auch in Hamburg einführen.

Haben Sie Zeit, sich touristische Höhepunkte anzuschauen?

Bis jetzt nicht. Wenn wir ein Gastspiel haben, bin ich ein sehr schlechter Tourist. Gerade hat ein Tänzer Rückenprobleme und wir müssen ihn vielleicht umbesetzen. Ich unternehme gerne Spaziergänge durch die Stadt, die ja sehr kompliziert ist, aber das wirklich sehr nebenbei. Der Weg vom Hotel zum Theater ist sehr schön, weil es direkt am Wasser liegt und man einen Blick auf die Skyline hat. Das allein gibt mir das Gefühl, ich bin nicht in Hamburg und ich genieße das sehr. Aber es ist eine große Verantwortung, die Stücke Menschen zu zeigen, für die das ein einmaliges Erlebnis ist. Das braucht meine gesamte Zeit.

Klappt es mit der Verständigung?

Ja. Das ganze Team des Hongkong Arts Festivals ist sehr professionell. Außerdem sind wir gleichalt. Es wurde 1973 gegründet, genauso wie das Hamburg Ballett. Wir sprechen davon, dass wir unser 50. Bühnenjubiläum gemeinsam feiern werden. Für komplizierte Dinge gibt es Dolmetscher. Aber hier in Hongkong sprechen die Menschen eher Englisch als im übrigen China.

Wie wurden Sie vom Publikum empfangen?

Sehr gut. Alle Vorstellungen sind ausverkauft. Das Publikum ist interessiert und sehr enthusiastisch. Auch wenn der Applaus nicht ganz so stark ist wie in Hamburg. Wir hatten bereits drei „Nussknacker“-Vorstellungen, darunter eine reine Kindervorstellung, wobei es interessant war, zu beobachten, dass den Kindern die Narrenszene besser gefiel als die sehr anspruchsvollen Grands Pas de Deux.

Gibt es Vor- und Nachgespräche, bei denen Sie auch Kontakt zu Zuschauer haben?

Es gibt ein Rahmenprogramm. Zwei Ballettmeister geben Meisterklassen, ein Solotänzer hält eine Trainingsklasse für Kinder ab und ich führe ein Gespräch, in dem ich über meine Sammlung, meine Kunst und den Tanz spreche. Da können die Zuschauer Fragen stellen. Gleichzeitig läuft ein Kinoprogramm, in dem „Tatjana“, „Nijinsky“ und „Weihnachtsoratorium I-VI“ gezeigt werden. Das alles hilft, um bei einem Gastspiel stärker in die Tiefe zu gehen.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Ballettsprache in Hongkong verstanden wird?

Ich glaube schon. Weil das Festival ausdrücklich den „Nussknacker“ und das „Beethoven-Projekt“ und das Galaprogramm „The World of John Neumeier“ einladen wollte. Es ist ein gebildetes Publikum. Vor 20 Jahren waren wir in Beijing, da war das Publikum mit dem „Sommernachtstraum“ sehr überfordert.

Haben die Chinesen ein besonderes Verhältnis zum Komponisten Beethoven?

Die Musikbranche ist sehr anspruchsvoll. Es gibt Topmusiker hier. Unser Dirigent Simon Hewett leitet ein hiesiges Orchester, das Hong Kong Philharmonic Orchestra. Es gibt auch in Hongkong eine Ballettkompanie, die schon den „Nussknacker“ aufgeführt hat.

Gab es Gespräche darüber, dass Sie bestimmte Teile eventuell nicht zeigen dürfen?

Nein, gar nicht interessanterweise. Aber Hongkong hat besondere Rechte innerhalb Chinas, darauf ist man hier sehr stolz. Es gibt einige sehr gewagte Produktionen innerhalb des Festivals.

Wie ist die Stimmung innerhalb der Kompanie während der Reise?

Wir wohnen alle im gleichen Hotel. Man trifft sich viel häufiger, nimmt das Frühstück zusammen ein. Wir geben ja sehr viele Gastspiele, und das ist ein ganz wichtiger Teil unseres Zusammenhalts, unserer Art miteinander auszukommen. Mit kleinen Krankheiten hier und schlechtem Magen dort. Wir haben eine gewisse Routine damit und geraten nicht gleich in Panik, wenn einer mal bei der Probe ausfällt.

Laden Sie die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Balletts auch mal zum Essen ein?

Selbstverständlich. Auf Tournee werden wir zusätzlich von unseren Gastgebern eingeladen. Ich achte darauf, dass dies möglichst für alle gilt, die mitreisen – für unsere Ballettmeister, das Organisationsteam und die Kollegen aus den technischen Abteilungen. Auch in Hamburg lade ich immer alle gemeinsam ein, wie zu Weihnachten oder an meinem letzten Geburtstag, aber nicht in kleinen Gruppen. Ich bin da sehr demokratisch.

Was genießen Sie am meisten an Gastspielen dieser Art?

Ich übertrage meine Ballette nicht wie eine Konserve eins zu eins, sondern konzipiere sie neu für die jeweilige Bühne. Dabei betrachte ich sie, als ob ich sie noch nie gesehen habe. Auch die Tänzer mögen das sehr gern, zeigen ihre Interpretation so, als wäre es wirklich das erste Mal. Es ist einfach aufregend, an einem Ort mit einer anderen Kultur zu sein, an dem man nicht die eigene Sprache hört und trotzdem durch die wortlose Sprache des Tanzes bewegen und kommunizieren kann.