Hamburg. Erinnerungen an den Goldrausch einer Kultur-Institution. Wie sich die Hamburger Betreiber zurück in die Zukunft retten wollen.
Auf Knopfdruck werden die Beine in eine horizontale Lage gebracht. Schwupp! Die Zuschauer versinken in breiten Ledersesseln, auf Wunsch bekommen sie von den freundlichen Service-Mitarbeitern Getränke und Fingerfood direkt an den Platz gebracht. Und dann heißt es: Film ab! In Hamburgs jüngstem Kino in der HafenCity wird der Aufenthalt zum Wohlfühlerlebnis. Die Astor Film Lounge am Sandtorkai, Hamburgs erstes sogenanntes Premiumkino mit Garderobe, verstellbaren Liegesesseln, Rundum-Lautsprechern und Bedienung am Platz, ist ein luxuriöser Kinopalast mit großartigem Sound in drei Sälen und insgesamt 417 Plätzen.
Die im November eröffnete Kino-Lounge ist auch der Versuch, dem Zeitgeist ein Schnippchen zu schlagen. Ihr Erbauer heißt Hans-Joachim Flebbe. Der Hamburger Kino-König, der fünf Millionen Euro in dieses Wohlfühl-Theater gesteckt hat und Standorte in Berlin, Köln, München und Frankfurt (Eröffnung im April) betreibt, sagt: „Wir wollen die Menschen wieder weg vom Sofa und hinein in die Kinos holen.“
Manche sagen, es sei der letzte Versuch, das langsame Kinosterben in Deutschland mit seit Jahren sinkenden Besucherzahlen und einer rasend schnell wachsenden Konkurrenz von Film-Plattformen wie Netflix zu verhindern. Sicher ist das keinesfalls. Sicher ist nur eines: Das Kino ist schon sehr häufig totgesagt worden – und immer wieder glanzvoll auferstanden.
Hamburger Kino-König
Es gab schon einmal einen Kino-König in Hamburg. James Henschel eröffnete 1905 das Helios-Theater in der Großen Bergstraße. Es waren Zeiten, als bewegte Bilder in öffentlichen Gebäuden eine Sensation waren. Die sogenannten „Theater lebender Photographien“ wuchsen „wie Pilze aus dem Boden“, schrieb das „Hamburger Echo“ damals. Bereits ein Jahr später eröffnete Henschel sein zweites Kino, das Belle-Alliance-Theater am Schulterblatt 115 – mit 1190 Sitzplätzen, davon 141 Logenplätze sowie 285 sogenannte erste, 413 zweite und 352 dritte Plätze. Zehn Kinos in zwölf Jahren gehörten zum Henschel-Imperium, bevor er 1918 sämtliche Filmtheater an die Ufa verkaufte. Sie standen in Altona und Eimsbüttel, Eppendorf und Wandsbek, in Hammerbrook und in der City.
Die Kinos von James Henschel waren schon damals unterschiedlich in Größe und Ausstattung. Der Kinopionier achtete bereits vor mehr als 100 Jahren auf den richtigen Mix, schreiben Michael Töteberg und Volker Reissmann in ihrem sehr lesenswerten Hamburger Kinobuch „Mach dir ein paar schöne Stunden“ (Edition Temmen, 9,90 Euro). „Henschel rühmte sich 1914, dass er ,zwei ganz vornehme, zwei mittlere Theater und zwei für das allerkleinste Publikum’ besitze“.
Das Belle-Alliance-Theater war oft so gut besucht, dass viele Zuschauer stehen mussten. Die Leinwand war 35 Quadratmeter groß, eine Kapelle mit bis zu 20 Musikern begleitete die Stummfilme. Kellner boten Schokolade, Bonbons, Bier und Limonade an. An manchen Tagen wurden mehr als 8000 Eintrittskarten verkauft, laut „Hamburger Fremdenblatt“ lag die Besucherzahl 1908 bei „750.000, in der kommenden Saison wahrscheinlich bei 900.000“.
Luxuriöser Komfort
Auch Henschel setzte im vergangenen Jahrhundert auf luxuriösen Komfort. In seinem Waterloo-Theater in der Dammtorstraße, so beschrieb es der „Kinematograph“, war der Innenraum „in Rokoko gehalten, für das Auge angenehm abgetönt, die Stühle sind gleich denen eines Theaters gebaut“. Insgesamt sei das Kino geeignet, „bald zu einem Lieblingsaufenthalt der vornehmen Gesellschaft Hamburgs zu werden“. Zur Eröffnung liefen Filme wie „Die Rollschuhbahn“, „Agra, die berühmte Affenstadt in Bengalen“ und „Nero oder Der Brand von Rom“.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging der Kino-Boom rasant weiter. Es war die Zeit, als in Hamburg quasi an jeder Straßenecke ein Filmtheater zu finden war. Allein im Bezirk Eimsbüttel gab es 38 (!). Zum Vergleich: Heute sind es noch 25 Kinos in ganz Hamburg. Damals hießen sie Blumenburg (Hoheluftchaussee) und Park-Theater (Eidelstedter Weg), Royal-Theater (Eppendorfer Weg) und Lichtspiele (Schulweg), Reichstheater (Fruchtallee) und Astra-Theater (Müggenkampstraße). In der Osterstraße (Hausnummern 95, 111 und 124) standen unmittelbar nebeneinander drei Kinos mit insgesamt mehr als 3000 Plätzen. Viele wurden im Zweiten Weltkrieg teilweise oder völlig zerstört. Andere überlebten die nächste technische Revolution nicht – die Einführung des Fernsehens in Deutschland.
Hans Albers als Ehrengast
Für das Capitol in der Hoheluftchaussee 52 traf beides zu. 1926 mit dem Film „Der Rosenkavalier“ und Hans Albers als Ehrengast eröffnet, gehörte das Kino mit der markanten Klinkerfassade und zahlreichen Buntglasfenstern lange Zeit mit 1258 Plätzen zu den größten Filmpalästen in Hamburg. Im Juni 1943 fielen 18 Brandbomben auf das Capitol, nach sechs Monaten war es wieder einigermaßen hergerichtet, und am 21. Januar 1944 wurde es wieder eröffnet. Ende der 1950er-Jahre aber kamen mit dem Aufkommen des Fernsehens immer weniger Zuschauer, 1962 war Schluss. Das Gebäude wurde zu einem Supermarkt umgebaut – und in den 1980er-Jahren schließlich abgerissen.
Noch beispielhafter für das dramatische Auf und Ab der Kino-Geschichte ist der Ufa-Palast. 1929 im Deutschlandhaus eröffnet, war er mit 2667 Plätzen das größte Kino Europas mit versenkbarer Unterbühne, in der das 45 Musiker starke Orchester saß. In der Nazizeit wurde das Kino politisch instrumentalisiert, es liefen „staatspolitisch wertvolle“ Streifen von Leni Riefenstahl oder antisemitische Hetzfilme wie „Jud Süß“. 1944 wurde das Kino von Bomben zerstört, 1958 eröffnete der neue Ufa-Palast am Gänsemarkt glanzvoll neu. In den 1970er-Jahren folgte durch Heinz Riech, den „König der Schachtelkinos“, die Aufteilung in acht trostlose Abspielstätten auf vier Etagen. 1997 dann die Wiederauferstehung als Multiplexkino – und 2006 der endgültige Abriss.
Das Auf und Ab spiegelt sich auch in Zahlen wieder. 1938 gab es 23 Millionen Kinobesuche in Hamburg, mitten im Krieg 1942 wurden gar 35,2 Millionen Karten verkauft, und schon kurz nach Kriegsende waren die Kinos in Hamburg wieder voll: 1946 wurden bei insgesamt 110 Filmstarts in 63 Kinos mit knapp 30.000 Sitzplätzen mehr als 22 Millionen Karten verkauft. Laut Statistik ging in jenem Jahr jeder Hamburger mindestens 16 Mal ins Kino.
Weniger Besucher
Und heute? Ging 1970 jeder Einwohner noch 3,5 Mal pro Jahr in einen der 61 Kinosäle mit ihren insgesamt 33.000 Sitzplätzen, waren es 2016 nur noch 2,5 Besuche in 80 Kinosälen mit insgesamt 18.000 Sitzplätzen. In absoluten Zahlen sank die Besucherzahl von 6,38 Millionen (1970) auf 3,96 Millionen (2016).
Auch bundesweit stagniert die Zahl der Besucher bestenfalls. In den vergangenen Jahren schwankte sie um die 120 Millionen Kinogäste, mit 105,4 Millionen Zuschauern konnte 2018 der Sturz unter die 100-Millionen-Grenze gerade noch verhindert werden. Das nachlassende Interesse war auch dem Super-Sommer und der Fußball-WM geschuldet. An den Preisen kann es kaum gelegen haben: Im Durchschnitt zahlt jeder Besucher für ein Ticket 8,63 Euro.
Was also sind die Gründe für einen Rückgang, der manchmal schleichend, dann wieder dramatisch ist? Albert Wiederspiel (58) leitet seit 2003 das Filmfest in Hamburg. Und schickt erst einmal vorweg, dass sein Lieblingskino das Abaton sei. „Und das nicht nur, weil es so eng mit dem Filmfest Hamburg verbunden ist, sondern weil trotz des Umbaus die alte vertraute Programmkino-Atmosphäre dort zu Hause ist.“ Dazu komme die unschlagbare Lage: „Von allen Ecken der Stadt ist für mich der Grindelhof das urbanste Stück Hamburg.“
Hat Hamburg genügend Kinos? „Na ja, nicht einmal alle Stadtteile haben ein Kino“, sagt Wiederspiel. „Sogar der große Bezirk Eimsbüttel hat nur noch das Abaton und das Holi.“ Da sei sicher noch Luft nach oben. Aber die jetzt eröffnete Astor Lounge lasse hoffen. „Ja, viele Leute wollen den Luxus. Ein Kino muss nicht weniger komfortabel sein als das eigene Wohnzimmer.“ Und auch von der neuen Leitung des Zeise Kinos verspreche er sich „Spannendes in Ottensen“.
Albert Wiederspiel glaubt fest an das Gemeinschaftserlebnis Kino. „Man hat uns schon so oft totgesagt, aber irgendwie wollen viele doch die Filme zusammen mit anderen erleben können. Denn nicht nur das Lachen steckt an“, sagt er. Und fügt gleichsam prophetisch hinzu: „Eine gestreamte Serie ersetzt ja keinen Film – so wie eine Zeitschrift nie den Roman ersetzen wird.“
In der Friedensallee in Ottensen arbeiten sie seit vielen Jahren daran, dass die Kinos mit wunderbaren Geschichten versorgt werden. In einem alten Fabrikgebäude hat die Filmförderung Hamburg Schleswig Holstein ihren Sitz. Gegenüber in den Zeisehallen wurden früher riesige Schiffsschrauben hergestellt. In diesem verwinkelten Haus aber geht es um andere Stoffe. Starke Geschichten, großartige Schauspieler, kluge Drehbuchautoren, mutige Produzenten, fesselnde Bilder, imposante Töne. Eben alles, was es braucht, damit ein guter Film die Menschen in Scharen in die Kinosessel lockt.
Fehlt ein Premierenkino?
Maria Köpf ist, noch bis Ende März, Geschäftsführerin der Filmförderung, die jedes Jahr rund 12,5 Millionen Euro zur Verfügung hat, um großes Kino zu realisieren. Drei Viertel davon fließen in die Produktion für die große Leinwand. Von den 48 geförderten Kinofilmen im vergangenen Jahr waren die meisten Spielfilme (30), dann folgen Dokumentarfilme (10), Kurzfilme (6) und Experimentalfilme (2). Gefördert werden alle Schritte des Filmemachens: Vom ersten Drehbuchentwurf über die Produktion, den Verleih, den Vertrieb bis hin zu einer möglichen Festivalpräsentation.
Hat Hamburg die Kinolandschaft, die solch eine Metropole braucht? „Hamburg hat eine sehr bunte und diverse Kinolandschaft“, sagt Maria Köpf. „Das geht los beim Winterhuder Familienkino Magazin über das sehr politische 3001 bis zum Abaton mit seiner hochgelobten Programmvielfalt. Das passt gut zu einer Großstadt – und die stabile Situation der Hamburger Kinos spricht für sich.“
Das einzige, das wirklich fehle, sagt Köpf, sei ein richtiges Premierenkino. „In dem Sinne, dass man ausreichend Platz für einen roten Teppich hat. Selbst vor dem Cinemaxx und vor dem Abaton gibt es zu wenig Platz.“ Und auch der Bürgersteig vor der neuen Astor Lounge sei ein wenig schmal. „Das alte Streit’s am Jungfernstieg vermissen wir schmerzlich.“ Ansonsten existierten weiterhin ein paar weiße Flecken auf Hamburgs Kinolandkarte. „Gerade aus den Außenbezirken müssen viele weit fahren, um zum nächsten Kino zu gelangen.“ Eine tolle Ergänzung wäre zudem ein großes Kino im Umfeld der Reeperbahn. Ist die „Methode Astor“ die Lösung? „Die Astor Lounge ist in jedem Fall eine gute Ergänzung zum Kinoangebot in unserer Stadt.“ Von inhaltlich unbequemen Themen im B-Movie bis zu den luxuriösen Liegesesseln in der Astor Filmlounge gelte: „Je mehr Vielfalt in der Kinolandschaft – auch in der Art der Präsentation –, desto besser ist dies für das Publikum.“
Junge Leute vom Sofa holen
Ihr Lieblingskino liegt gegenüber. „Ich kann durch mein Bürofenster die riesengroßen, handgemalten Filmplakate vorm Haupteingang des Zeise Kinos bewundern.“ Sie mag besonders die gemütliche Atmosphäre, die große Leinwand und die tolle Programmauswahl.
Wie kann man junge Leute vom Sofa herunter, von den Serien weg und wieder ins Kino bekommen? „Ich bin mir sicher, dass man mit einer mutigen Filmauswahl abseits der Multiplexe, besonderen Formaten und Gesprächsangeboten die Leute immer in die Kinos locken wird“, sagt Maria Köpf. Die Kinos müssten noch stärker zu Begegnungsräumen werden. „Die Regisseure und Filmschaffenden kommen in der Regel nicht zu dir ins Wohnzimmer, dafür aber in das Kino in deiner Nachbarschaft.“ Die Hamburger Kinos mit ihrem deutschlandweit einmaligen Aktionstag „Eine Stadt sieht einen Film“, ihren Kinoreihen, Open Airs und Talkveranstaltungen seien auf dem richtigen Weg.
Gerade hat Maria Köpf allen Grund zur Freude. Im Hauptwettbewerb der Berlinale waren in diesem Jahr zwei Hamburger Filmteams vertreten: Fatih Akins Horrorfilm „Der Goldene Handschuh“ und „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt, die mit ihrem Regiedebüt auf Anhieb den Silbernen Bären gewann. „Zwei Filme im Berlinale-Wettbewerb – das ist eine kleine Sensation und eine große Auszeichnung für unseren Filmstandort“, sagt Köpf. „Hinter dem Drama ,Systemsprenger’ steckt eine ganze Reihe von Hamburger Nachwuchstalenten: angefangen bei Regisseurin und Autorin Nora Fingscheidt bis zu den jungen Produktionsfirmen Weydemann Bros. und Oma Inge Film. Unsere Glückwünsche gehen an das gesamte Team samt Peter Hartwig von der kineo Filmproduktion und der umwerfenden Hauptdarstellerin Helena Zengel.“
Geld von der EU
Die bewegende Story handelt von einem neunjährigen Mädchen, das seine Mitmenschen zur Verzweiflung treibt. Der Film spielt im Umfeld von Jugendamt, Heimen und Pflegefamilien. Das Drehbuch wurde mehrfach ausgezeichnet. Der Großteil der Dreharbeiten fand mit 35 Drehtagen in Hamburg statt.
Denn auch darum geht es der Filmförderung, die „Systemsprenger“ mit 175.000 Euro in der Produktion unterstützt hat: Das Geld soll im Wirtschaftsraum – durch Aufträge an lokale Firmen, Anmietung von Equipment, Locationmieten, Hotelübernachtungen oder Gastrobesuche – nicht nur wieder eingespielt werden. Nein: Aus 100 Prozent Ausgaben sollen 150 Prozent Einnahmen werden. Das hat im vergangenen Jahr glänzend geklappt: Für jeden Euro aus dem Fördertopf haben die Filmteams 2,90 Euro in der Region ausgegeben.
Geld gibt es auch von der EU. Kinos, deren Programm mindestens 70 Prozent europäische Filme beinhalten, können sich für Prämien bis zu 50.000 Euro im Jahr bewerben. In Hamburg profitieren zwölf Programmkinos von der Initiative „Europa Cinemas“.
Natürlich beschäftigt auch die Filmförderung der Besucherrückgang in der jungen Zielgruppe. Was tun? „Ein gutes Beispiel für smarte Unterhaltung für eine extrem medienaffine Zielgruppe ist der Film ,Das schönste Mädchen der Welt’, eine der Kinoüberraschungen des letzten Sommers. Von solchen Filmen brauchen wir mehr“, sagt Maria Köpf.
Branche muss sich bewegen
Die Branche muss sich bewegen, um zu überleben. Und tut das auch. Weil sich ja auch der typische Kinobesucher immer wieder ändert. Heute sind fast vier von zehn Kinobesuchern (38 Prozent) unter 30 Jahre alt, mehr als jeder Vierte (28 Prozent) ist über 50. Im Sechsjahresvergleich sind dem Kino in der wichtigen Altersgruppe zwischen 20 und 29 Jahren mehr als ein Drittel der Besucher, nämlich 36 Prozent, verloren gegangen – während die 50- bis 59-Jährigen wieder häufiger (plus 18 Prozent) ins Kino gehen als noch vor sechs Jahren.
Die eifrigsten Kinogänger waren erneut die zehn- bis 19-Jährigen. Und hier insbesondere die Mädchen: 84 Prozent aller jungen Frauen in Deutschland in diesem Alter waren im letzten Jahr mindestens einmal im Kino. Das Kino braucht also frische Filme, um auch die Jungen zu begeistern.
Und es braucht engagierte Kämpfer wie Hans-Peter Jansen (71), der neben dem Koralle in Volksdorf auch das Blankeneser Kino, das Elbe-Filmtheater in Osdorf, das Studio-Kino in der Bernstorffstraße, das Astra-Kino in Plön und das Burg-Filmtheater auf Fehmarn betreibt. „Für uns gibt es keinen Negativtrend“, sagt er. „Kino ist durch nichts zu ersetzen. Die Gemeinschaft ist der entscheidende Aspekt.“ Die Menschen müssen sich in seinen Kinos wohlfühlen können. „Ich bin kein Cineast, aber ich sorge für den entsprechenden Raum.“ Denn: Die Filme wechseln, der Raum aber bleibe. Und deshalb wird Jansen in Volksdorf auch eine Film-Lounge schaffen. „Eine hochwertige Einheit mit Barbetrieb für kleine Gesellschaften.“ Ziemlich schräg soll es werden, sagt er.
Auch Hans-Joachim Flebbe sagt, dass die Kinobetreiber mehr um die Gäste werben müssten und ihnen in renovierten Filmtheatern einen besseren Service bieten müssten als bisher. „Die Aufgabe wird aufgrund des riesigen Angebots der Streamingdienste in den nächsten Jahren nicht einfacher.“ Hamburgs Kinolandschaft sei aber mittlerweile so vielfältig, wie es einer Großstadt zusteht. Arthousekinos, das Savoy für Originalfassungen, das Astor als Premiumkino. Knapp drei Monate nach der Eröffnung ist Flebbe hochzufrieden: „Der Zuspruch ist enorm. Die Besucherzahlen übertreffen unsere Erwartungen bei weitem. Das Echo ist überwiegend positiv.“
Kino braucht Stars
Was das Kino aber immer gebraucht hat, waren die Stars. Ob es jemals wieder so wird wie vor fast 61 Jahren? Als der Ufa-Palast am 26. Februar 1958 am Gänsemarkt eröffnete, kamen trotz Eis und Schnee 8000 Fans. „Premiere nach Hollywood-Muster“, notierte der Abendblatt-Reporter. „Romy, Romy-Sprechchöre. Als um 20.45 Uhr Romy vorfährt, wird der Trubel frenetisch. Romy in hellblauer, pailettenglitzernder Robe (ohne Mantel!) im Blitzlichtfeuer. Lächelnd, winkend. Fast drei Minuten lang.“
Von dem Film „Scampolo“, der von einem 17-jährigen Waisenmädchen handelt, das sich in den mittellosen Nachwuchsarchitekten Costa verliebt, war nur wenig die Rede. Die Hamburger wollten Romy Schneider sehen.
Und nicht das Kino.
Überschrift
Blankeneser Kino: Teppich, Plüsch und Dorf-Atmosphäre
Verena Fischer-Zernin: Wo sich das Blankeneser Kino in eine Wegbiegung schmiegt, abseits des Marktgewimmels, wähnt man sich beinahe noch in dem Dorf, das der Ort einst gewesen ist. Eintrittskarten und Popcorn kaufen die Leute an einem Tresen aus altem, dunklen Holz, dann schlängeln sie sich die schmale Treppe hinauf zu den beiden Sälen, die auch nicht gerade riesig sind. Teppich und Plüsch inklusive, klar. „A Most Wanted Man“ habe ich dort mit meinem Ältesten gesehen, bevor er Hamburg verließ, mit dem pubertierenden Jüngsten „Boyhood“ und, vor langer Zeit, „Hände weg von Mississippi“ mit meiner Tochter. Jeder einzelne Film ist ein familiärer Meilenstein, ein Erinnerungsstück. Es hat eben alles seine Zeit. Und das Blankeneser Kino sorgt für die richtige Stimmung dazu und den Platz im Programm.
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Metropolis: Ein Schatzarchiv mit 5000 Raritäten
Annette Stiekele: Ein Besuch des Metropolis Kinos in der Kleinen Theaterstraße 10 ist wie eine Reise in vergangene Zeiten. Das liegt nicht nur an der Ausstattung mit den rot-plüschigen Sitzen und den Art-déco-Lampen. Hier wird seit 1979 Film als Kunstform noch zum stilvollen Erlebnis. Reihen und Klassiker aus dem mehr als 5000 Filme umfassenden Schatzarchiv, die sonst nur und eher selten im Fernsehen laufen, sind hier auf großer Leinwand zu erleben. Zur Hälfte sogar noch analog auf 35-Millimeter-Film. Man könnte jeden Tag im Metropolis verbringen, um sich cineastischen Genüssen wie etwa einer ganzen John Cassavetes-Reihe hinzugeben. Seit seinem Umzug in den Neubau ist das Herzstück, der 270-Plätze-Saal, weiterhin historisch, das Foyer aber zeitgenössisch. Denn bei aller Nostalgie ist das Metropolis-Kino vor allem eines: zeitlos.
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Magazin: Und an Sonntagen gibt’s Hamburg historisch
Stefan Reckziegel: Ein Kino mitten in einem Wohngebiet, noch dazu in einer von Fritz Schumacher erbauten Anlage? Ein kleines Wunder. Filmkunsttheater nennt sich das Magazin, und Kinobesuche gleichen hier auch einer Reise in die Schulzeit der 70er-Jahre. „Die Rocky Horror Picture Show“, die 1977 im Magazin Deutschland-Premiere hatte, hat Geschäftsführer Arndt Eggers Ende Januar zum 45. Geburtstag des Kinos in Winterhude noch mal ins Programm genommen. Aber im 370-Plätze-Saal mit schön breiter Leinwand lohnen auch neue Filme. Dazu kommen sonntags Wieder- und Neuentdeckungen historischer Hamburg-Filme – nachdem das nostalgisch wirkende Foyer durchschritten ist. Auch das eine Zeitreise mit viel Charme. Und: Statt Nachos und Popcorn gibt es hier handgepackte Naschtüten und ein großes Lolli-Sortiment
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Passage: Hamburgs ältestes Kino lebt von treuen Kunden
Volker Behrens: Das Passage-Kino ist der Dino unter den Hamburger Kinos. 1913 eröffnet, schrieb damals das „Hamburger Fremdenblatt“: „Sehr üppig ist der Vorraum mit seinem breiten Treppenaufgang zum Balkon. Er strotzt von Marmor und echten Hölzern, von Perserteppichen und Lichtluxus.“ Im Zweiten Weltkrieg wurde es von Bomben getroffen, in den 70er-Jahren in drei Kinos aufgeteilt. 2009 wurde es geschlossen. Heute ist das Kino in der Mönckebergstraße wieder schön anzusehen, nachdem Heinz Lochmann es im Art-déco-Stil umbauen ließ und ein Jahr später wieder eröffnete. „Im Kino erwarten die Leute etwas anderes als auf der Couch, hier wollen sie etwas erleben“, sagt Theaterleiter Nils Krüger. Das Passage-Kino habe bemerkenswert viele Stammkunden. Von Kinokrise sieht er in seinem Lichtspielhaus keine Spur.
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Holi: Der handbemalte Vorhang in Saal 1 steht unter Denkmalschutz
Vera Fengler: An den ersten Kuss erinnert man sich. Auch an den ersten Besuch im Lieblingskino? Leider nicht, aber es war sicherlich ein französisches Drama. Schließlich ist das Holi (die Hochhauslichtspiele) in Harvestehude die letzte intellektuelle Bastion im Cinemaxx-Unterhaltungsimperium, und die verspricht seit ihrer Gründung 1951 ein anspruchsvolles Programm: Zehnmal im Jahr werden Liveübertragungen aus der New Yorker Metropolitan Opera gezeigt, ab und zu finden auch noch Premierenfeiern statt. Der handbemalte Vorhang in Saal 1 steht wie die gegenüberliegenden Grindelhochhäuser unter Denkmalschutz. Stets plätschert der Springbrunnen beruhigend im Eingangsbereich. Es ist ein Kino für alle Lebenslagen: Beste-Freunde-Kino, stilvoller Rahmen fürs Date oder auch, um mal ganz allein einen tollen Film zu genießen.
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Abaton: Wo Regisseure und Schauspieler ihre Fans besuchen
Karin Franzke: Freunde nennen es mein zweites Wohnzimmer. Kein Wunder, von meinem ersten Wohnzimmer zum Abaton sind es nur fünf Minuten zu Fuß. Kein Fernsehprogramm, kein Streaming-Dienst übt auf mich diese Faszination aus wie das mehrfach ausgezeichnete Programmkino im Grindelviertel. Es ist die Mischung aus europäischen Filmen und anspruchsvollen Movies, vorzugsweise im Original mit Untertiteln, und aus Dokumentationen. Ganz besonders interessant sind die Abende mit Regisseuren, Schauspielern, Autoren. Mit einer klugen Auswahl an Kinderfilmen wird auch die nächste Generation für bewegte Bilder begeistert. Die drei Säle sind behutsam renoviert, und nachdem vergangenen Sommer auch die Bar aufgehübscht wurde, macht es Ignatio, seiner Frau Andrea und ihrem Team am Tresen noch mehr Spaß.
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3001: Die Reihe Bambino lockt schon die Kleinsten
Heinrich Oehmsen: Im Schanzenhof zwischen Susannen- und Schanzenstraße liegt das Kino 3001. Obwohl es nur einen Saal mit 91 Plätzen hat, bietet das Programm große Vielfalt durch seine Reihen und Specials. Regelmäßig laufen im Cine Club Español Filme von jungen spanischen Regisseuren, das Cine Cubano widmet sich der Szene in Kuba, im Cine Club Obscura laufen artifizielle Horrorfilme. Die Reihe Bambino wendet sich an Kita-Kinder, die über Kurzfilme erste Erfahrungen mit der großen Leinwand machen sollen. Denn das ist das 3001 auch: ein sympathischer Ort für Kinogänger, die an Arthouse-Filmen interessiert sind, die meistens im Original mit Untertiteln gezeigt werden. Nach den Vorstellungen kann man im Sommer im idyllischen Innenhof bei einem Glas Wein über den gerade gesehenen Film diskutieren.
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Savoy: Filme in Originalfassung und Sitze zum Versinken
Holger True: Der Weg ist das Ziel? Stimmt im Fall des Savoy Kinos sicher nicht; es gibt definitiv angenehmere Gegenden als den schmuddeligen Steindamm, an dem es auf halber Strecke zwischen Hauptbahnhof und Lohmühlenstraße liegt. Aber: dieses großartige Filmprogramm! Fast ausschließlich Originalfassungen, dazu der Filmclub, in dem Klassiker wie „Der Exorzist“ oder „Das Leben des Brian“ noch einmal in voller Pracht zu genießen sind. Auf einer 18 mal 8 Meter großen Leinwand, im 7.1. Dolby Surround Sound. Herrlich! Doch Optik und Klang sind im Savoy nur die halbe Miete. Nirgendwo sitzt man so bequem wie in einem der 324 kuscheligen Ledersessel mit breiten Armlehnen und endlos Platz auch für XXL-Beine. Economy war gestern, im Savoy ist alles Business Class. Und das für ziemlich faire 9 (Parkett) oder 11 Euro (Loge).
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Zeise: Hier fühlt man sich auch ohne Begleitung nicht allein
Maike Schiller: Ein Kino wird erst dann zum Stammkino, wenn man sich dort auch ohne Begleitung nicht allein fühlt. Das trifft für mich aufs Zeise-Kino in Ottensen zu. Obwohl es mitten im Viertel liegt, in Fußnähe zu zahlreichen Kneipen, Cafés, Restaurants, wirkt es in den Zeisehallen, einer ehemaligen Schiffsschraubenfabrik, manchmal fast versteckt. Dabei prangt über dem Haupteingang der Hallen ein stets aktuelles, drei mal drei Meter großes und handgemaltes (!) Filmplakat. Erst kürzlich hat Matthias Elwardt die Leitung übernommen und der Cineast führt in drei Sälen fort, was er im Abaton begonnen hat: eine anspruchsvolle Filmauswahl (am liebsten im Original oder OmU), regelmäßig sprechen Gäste über ihre Arbeit: Regisseure, Autoren, Schauspieler. Es gibt Popcorn, aber keine käsigen Nachos – und genau so muss es natürlich sein.