Hamburg. Tina Turners Manager und Ehemann sprach mit dem Abendblatt über seine Karriere, sexistische Konzertkritiken und das „Tina“-Musical.

Mehr als 30 Jahre schon sind sie ein Paar: US-Soul-Ikone Tina Turner (79) und der in Köln geborene Musikmanager Erwin Bach (63). Seit 2013 verheiratet, leben die beiden seit vielen Jahren zurückgezogen im Château Algonquin in Küsnacht am Zürichsee. „In guten wie in schlechten Zeiten“, das nimmt Bach wörtlich: Er erlebte an der Seite von Tina Turner bis zur rauschenden Abschiedstournee 2009 gigantische Erfolge, in den vergangenen sechs Jahren hingegen begleitete er sie durch zahlreiche gesundheitliche und private Krisen, 2017 spendete er seiner Frau sogar eine Niere.

Interviews gibt Bach nur sehr selten, aber für das Hamburger Abendblatt machte er eine Ausnahme. Wir trafen ihn in den Proberäumen von Stage Entertainment in der HafenCity, wo das „Tina“-Musical, das am 3. März Premiere feiert, derzeit intensiv vorbereitet wird.

Hamburger Abendblatt: Als Tina Turner Ihnen 1985 auf einem Flughafen begegnete, soll sie zwei Schritte zurückgewichen sein, weil sie so verzückt wie eingeschüchtert von Ihrer Erscheinung war. Wie war Ihr erster Eindruck von Tina Turner?

Erwin Bach: Für mich war das tatsächlich nur ein Job: Ich hatte eine Künstlerin der Plattenfirma abzuholen. Für mich war wichtig, dass ein Auto vor der Tür wartet. Ich habe in Tina nicht den Menschen gesehen, sondern die Künstlerin, und das hat sich so schnell auch nicht geändert. Für Tina war es Liebe auf den ersten Blick, für mich war es ein Job. Und ein Job ist ein Job.

Wie ist Ihre Karriere bis zu diesem Zeitpunkt verlaufen?

Bach: Ich hatte eine kaufmännische Ausbildung bei der EMI in Köln gemacht und mich gezielt für die internationale Marketingabteilung beworben. Obwohl mein Englisch noch nicht sehr gut war, hatte ich Glück und durfte ab Mitte der 70er-Jahre unsere lizensierten Label in Europa vermarkten: Motown, RAK und Bell zum Beispiel. So betreute ich Stevie Wonder, die Supremes, die Temptations, die Commodores, Pointer Sisters, Elton John – Meilensteine.

War das nur Geschäft oder auch eine persönliche Leidenschaft für Musik?

Bach: Als ich zur Schule ging, klemmte ich mir immer nur die nötigsten Bücher unter den Arm – aber immer eine LP, „Master Of Reality“ von Black Sabbath zum Beispiel. Das sah besser aus, und so drückte man seine musikalische Identität aus.

1986 wurden Sie und Tina Turner ein Paar. Schränkte das Ihre Karriere ein?

Bach: Nein. Mein persönliches Gleichgewicht ruht auf zwei Beinen. Das eine ist meine Arbeit, das andere ist meine Partnerin. Ich wollte mein eigenes Geld verdienen, selbstständig sein und etwas vollbringen im Leben. Und mir war klar, dass ich das nicht über meine Partnerschaft erreiche. Job first, der Mann gibt der Familie Struktur, Sicherheit und einen vollen Kühlschrank, in der Hinsicht bin ich altmodisch. Und ich habe meine Arbeit gut gemacht – zumindest habe ich das meinen Chefs immer erzählt. 1995 wurde ich nach Zürich geschickt, leitete dort eigenständig die EMI Suisse und habe den Schweizer Markt umgekrempelt und jeden lokalen Künstler unter Vertrag genommen, der es wert zu sein schien. Und das waren viele. So kamen Tina und ich in die Schweiz.

Tina erreichte ungeahnte Sphären des Erfolges, nachdem Sie sich kennengelernt hatten. Die Alben „Break Every Rule“ (1986) und „Foreign Affair“ (1989), Hits wie „The Best“, Stadiontourneen, 190.000 Fans im Maracanã – sie war die Königin von Rock und Pop und Soul. Darauf hatten Sie keinen Einfluss...?

Bach: Der Erfolg, der Misserfolg und in Tinas Fall der gigantische Erfolg, den hat künstlerisch natürlich die Künstlerin zu verantworten. Aber ich kann mich noch daran erinnern, wie ich und zwei Kollegen uns 1983 mit unserem Vertrieb geprügelt haben, um Tinas erste Single „Let’s Stay Together“ zu verbreiten. Wir haben an Tina geglaubt, wir hatten TV-Auftritte organisiert, aber der Vertrieb hat nicht funktioniert, wir waren in den Läden und im Radio nicht präsent. Wir haben uns mit dem Vertrieb bis aufs Messer gestritten, und ich habe gesagt: „Passt auf. Ich hole jetzt 1000 Singles aus dem Lager und stelle sie selbst in den Laden rein.“ Am Ende hatten wir 200.000, 300.000 Singles verkauft. Dann haben wir 1984 das „Private Dancer“-Album nachgezogen und dann lief das. So haben wir damals Hits gemacht: Wir haben sie in den Handel reingedrückt, wir haben sie in die Medien reingedrückt, und manchmal war der Konsument auch so freundlich und hat uns das Produkt abgekauft.

Was machte Tina so außergewöhnlich, dass sie mit Mitte 40 nochmal so durchstarten konnte?

Bach: Sie kann im Gesang und im Tanz Dinge rüberbringen, die auch heutige Künstler nicht mehr erreichen. Wie Little Richard, James Brown oder Mick Jagger hat sie etwas Unerklärliches, Unbeschreibliches an sich, das sie ausstrahlt und damit Menschen bewegt.

Sie ist ein Modell dafür, wie sich eine Frau im Musikgeschäft, das ja immer noch männerdominiert ist, durchsetzen kann. Wären Karrieren wie die von Beyoncé ohne das Vorbild Tina Turner möglich gewesen?

Bach: Ein amerikanischer Freund meinte, dass wir uns nicht vorstellen können, was Tina in Amerika für Frauen erreicht hat, für schwarze Frauen. Und das sogar ohne es zu wissen, das war ja nicht ihr Antrieb. Aber sie hat es vorgelebt und damit die Befreiung von schwarzen Frauen enorm vorangebracht. Die heutigen Künstlerinnen wären sicher auch ohne Tina da, wo sie sind. Aber gewisse Dinge in der Musik, in der Mode, in der Architektur entwickeln sich durch gegenseitige Inspiration, und da war und ist Tina enorm wichtig.

Vor 30 Jahren war Mann vielleicht noch nicht weit genug, um das zu erkennen. Ich zitiere mal aus Konzertrezensionen deutscher Feuilletons 1987: „Oberschenkel, die ein Autochassis zermalmen könnten“, „Wahnsinnsfahrgestell“, „schaumgeborene schwarze Göttin mit dem verzückten Lächeln immerwährender Wollust.“

Bach: Die Journalisten haben damals wohl andere Prioritäten gesetzt und überhaupt nicht erfassen können, was sich da auf der Bühne abgespielte. Das waren nicht die Haare, das war nicht der kurze Rock. Es war der Soul, der die Menschen auch in der letzten Reihe erreicht hat, die Tina kaum sehen konnten. Das ist magische Kraft, unendliche Power. Wie bei Freddie Mercury. Ich lebe mit einer Frau zusammen, die 16 Jahre älter ist als ich und mich manchmal auch heute noch mit ihrer Energie übertrifft.

Am Ende der finalen Tournee 2009 war die Energie aber aufgebraucht?

Bach: Diese Tour war hart, es waren 140 Konzerte in acht Monaten, sie war damals 69 Jahre alt. Das ist für viele Menschen unvorstellbar, aber sie wollte es einfach wissen. Die letzten beiden Konzerte in London und Sheffield waren besonders schmerzhaft. Da war sie wirklich im orangenen Bereich. Nicht im roten, aber im orangenen.

Vermissen Tina und Sie seitdem die Bühne?

Bach: Nein. Ich sowieso nicht, als Mann der zweiten Reihe brauche ich keinen Applaus. Ich bekomme auch keinen, meine Arbeit wird nicht in Applaus bewertet. Und Tina hat da eine ganz abgeklärte Distanz. Sie empfindet sich als offiziell im Ruhestand und bittet, das zu akzeptieren. Eine weitere Abschiedstour wird es nicht geben und ist gesundheitlich auch unmöglich. Aber sie ist dankbar für ein erfülltes Musikleben und auch dankbar für die letzte Tour damals.

Singt Tina denn noch beim Duschen oder bei der Gartenarbeit?

Bach: Wir singen gern im Auto die Songs aus dem Radio mit.

Wäre es nicht schön, ein Album im Stil der „American Recordings“ von Johnny Cash aufzunehmen? Gitarre, Klavier, Stimme, kein Schnickschnack... Eine ganz neue Tina, sozusagen.

Bach: Das finde ich auch gut, da bin ich Ihrer Meinung. Aber Tina wäre das wahrscheinlich zu ruhig. Obwohl: Einmal hat sie sowas gemacht, 2007 mit Herbie Hancock. „Edith And The Kingpin“, ein toller Jazzsong. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Dafür engagiert sie sich für das „Tina“-Musical, das nach Hamburg kommt, und zeigt sich dafür wieder in der Öffentlichkeit.

Bach: Tina ordnet ihr Vermächtnis, und das muss korrekt und gut aufgearbeitet werden. Und die Leute von Stage machen das ganz hervorragend, zur größten Freude von Tina. Ihr geht das Herz auf, wenn die Mädels ihren Tanz steppen: „Ich will, dass das die Ikettes sind.“ Das lässt sie keinen anderen machen, das kann nur Tina delegieren. Der Erfolg in London ist entsprechend, und das macht sie sehr stolz. Das wollen wir international aufziehen, und Hamburg als erste Station außerhalb des angelsächsischen Raums ist eine besonders wichtige Station dafür. Immerhin ist Hamburg Deutschlands britischste Stadt. Die Speicherstadt und der Hafen erinnerten Tina sofort an London und New York.

Sind Sie weiterhin in das internationale Musikgeschäft involviert?

Bach: Für mich ist das ein schwieriges Geschäft heutzutage, ich blicke da nicht mehr vollständig durch. Aber ich kaufe immer noch jede Woche Alben, zuletzt „Silent Piano“ von Blank & Jones, „Springsteen On Broadway“ und „Down The Road Wherever“ von Mark Knopfler, auch eine sehr gute Platte.

Was ist ihr Lieblingssong von Tina?

Bach: Gute Frage, da muss ich wirklich überlegen ... wahrscheinlich „On Silent Wings“.

Und was hätten Sie vor 30 Jahren gesagt, wenn man Ihnen erzählt hätte, dass Erwin Bach mal eine Figur in einem Musical sein wird?

Bach: „Du hast ‘ne Macke!“ Ich komme damit immer noch nicht klar: Da steht ein Typ auf der Bühne und sieht ganz anders aus als ich, bewegt sich anders als ich – und kann auch noch singen!

„Tina – Das Tina Turner Musical“ Premiere (ausverkauft) 3.3., Previews 23.2. bis 1.3., Karten ab 59,90 in der Hamburger Abendblatt Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32 (Mo-Fr 9.00-19.00, Sa 10.00-16.00) und unter der Abendblatt-Tickethotline T. 30 30 98 98; www.stage-entertainment.de