Hamburg. Strauß-Operette mit Schwächen, schrägen Walzerrhythmen und Sängern, die einander an Spiellust überbieten.

Besinnen können wir uns doch das ganze Jahr – zu Silvester darf es krachen. Haben sich offenbar Elbphilharmonie und NDR gedacht und lassen an drei Abenden in Folge die champagnergetränkte „Fledermaus“ von Johann Strauß Sohn durch den Großen Saal flattern.

Die Aufführung war im Programmheft „halbszenisch“ untertitelt. Mehr als was Michael Sturmingers Regie anzettelte, brauchte Strauß’ Geniestreich aber auch nicht. Am ersten Abend steigerten sich Spannung und Dichte über drei Akte hinweg bis zur Schlussszene im Gefängnis, jenem Moment, in dem das Verwechslungsgeflecht im Handumdrehen aufgelöst wird, als wäre nichts gewesen.

Sprechszenen zündeten nicht recht

Ein bisschen mehr Fallhöhe hätte aber gerade im ersten Akt nicht geschadet. Die Sprechszenen zündeten nicht recht. Das mochte daran liegen, dass die Dialoge in der Konzertsaalakustik schwer zu verstehen waren, zumal die ersten Sätze von den Rängen aus gesprochen wurden. Aber nicht nur daran. Gabriel von Eisenstein, ein Herr Welt, überlegt mit seinem Notarsfreund Dr. Falke, wie er kurz vor Antritt einer Gefängnisstrafe noch den Ausschweifungen einer Ballnacht frönen kann. Dieses Pläneschmieden hat Sturminger ziemlich bieder in Szene gesetzt. Eisensteins Gattin wiederum erkennt, dass er sie belügt und mutmaßlich betrügt, wartet aber selbst auf einen Verehrer und macht sich auf einen Seitensprung gefasst, ihren ersten wohlgemerkt. Ein explosiver Gefühlscocktail, sollte man meinen. Leider ging Astrid Kessler als Rosalinde darüber ohne den Hauch eines Erschreckens hinweg. Ist die Figur wirklich so farblos wie ihr Businesskleid, dessen schwarz-weißes Muster umstandslos mit dem der durchbrochenenen Bühnenrückwand verschmolz?

Nach der Pause nimmt die "Fledermaus" Tempo auf

Nach der Pause war das vergessen. Da nahm die „Fledermaus“ Tempo auf, und die Sänger überboten einander an Spiellust und vokaler Virtuosität. Bo Skovhus mit seinem hellgefärbten Bariton war ein Eisenstein auf dem schmalen Grat zwischen Verführung und Blamage, der Mezzosopranist Adrian Angelico in Ledermantel und Cul de Paris ein verwirrend androgyner Prinz Orlofsky. Herz und Seele des Abends aber war Katharina Konradi, frisch engagiert an der Staatsoper Hamburg, die aus der Figur der Kammerzofe Adele Funken schlug. Als „Unschuld vom Lande“, mit entwaffnendem Hüftschwung, Schlagfertigkeit und einem runden, mühelos präzise geführten Sopran, müssen ihr sämtliche anwesenden Männer zu Füßen gelegen haben.

Und die Musik! Mit der Ouvertüre empfahl sich das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Manfred Honeck als waschecht wienerischer Klangkörper. Honeck dirigierte die typisch schrägen Walzerrhythmen, dass man sie hätte malen können, und sparte auch sonst nicht mit Stauungen und Beschleunigungen. Die Musiker folgten ihm, als säßen sie tagein, tagaus in einer Muschel im Prater. Im Zusammenspiel mit den Sängern mussten sich die Beteiligten erst einmal finden, aber spätestens im zweiten Akt war man auf der Höhe der Strauß’schen Rasanz.

Wie sehr die Komödie das Tragische braucht, um nicht in puren Klamauk auszuarten, das war leibhaftig und anrührend bei dem Gefängniswärter Frosch zu erleben. Die Schauspielerin Caroline Peters gab ihn zur Abwechslung mal nicht als rettungslos Betrunkenen. Ihr Frosch hatte ein anderes Problem: Ihn plagten Verfolgungsängste der schlimmsten Sorte, so dass einem das Lachen über Peters’ Anverwandlung im Halse steckenbleiben wollte. Und als das Publikum die Künstler nach diversen Vorhängen schließlich gehen ließ, da buckelte und wuselte der Frosch immer noch um die Schleppen der Damen herum. Wie ein Menetekel: Alle Leichtigkeit hat einmal ein Ende. Sogar an Silvester.