Hamburg. Eines der ältesten Musik- und Tanzlokale der Stadt hat eine wechselvolle 130-jährige Geschichte – und viele Gründe zum Feiern.
„Manchmal“, sagt Robert Hager, „manchmal denke ich, dass wir auf dem Kiez gar kein Bewusstsein dafür haben, was das hier für ein besonderer Ort ist.“ Das Gruenspan, dieser erstaunliche Kuppelsaal am Rand der Reeperbahn. Ein historisches Konzerthaus, das jeden Wandel auf St. Pauli überlebt hat. Ein Musikclub, der jetzt 50 Jahre alt wird und allen Grund zum Feiern hat. In einem Gebäude, das vor beinahe 130 Jahren erbaut wurde – als einer der ersten Tanz- und Vergnügungssalons in Hamburg. „Ich war vor einiger Zeit in Nashville und in Memphis“, erzählt er. Orte, die nach Musik klingen, nach Country und Rock ’n’ Roll. „Und da habe ich erst verstanden, was für einen großartigen Schatz wir hier auf St. Pauli haben.“ Manchmal braucht man den Abstand, um den Glanz neu zu entdecken.
Als Robert Hager das Gruenspan vor zehn Jahren übernommen hat, war der Musikclub in keinem glänzenden Zustand. „Der Laden war ziemlich kaputt“, sagt er. Hager kannte das Gruenspan und seine Geschichte bis dahin gar nicht. Dieses prägnante Bauwerk an der Großen Freiheit, das 1889 erbaut wurde. „Das war dann erst einmal ein spannender Geschichtsunterricht für mich.“
„Palmengarten“ hieß der Laden mit seiner von Säulen getragenen neun Meter hohen Gewölbedecke, die dafür sorgte, dass die tanzwütigen Gäste die Musik der damals üblichen Streichquartette von jeder Stelle aus gleich gut hören konnten. Aus dem Palmengarten wurde 20 Jahre später ein Hippodrome. Mit Orchestergraben und Manege, in der wohl leicht bekleidete Damen zur Musik auf Pferden im Kreis ritten. 1919 wurde das Gebäude in ein Kino mit 800 Sitzplätzen umgewandelt. Und rund zehn Jahre später wurde daraus eine Badeanstalt mit Sauna und Dampfbad.
Zahlreiche Superlative
Seit 1963 aber wird hier wieder getanzt. Fünf Jahre später eröffneten Karl Lehwald und Dervis Börü das Grünspan – damals noch mit „ü“. Sohn Timur Börü ist heute noch Gesellschafter, das Gruenspan ist ein 50 Jahre alter Familienbetrieb. Der Name erinnert an den jüdischen Widerstandskämpfer Herschel Grynszpan aus Polen.
Der Laden lockte fortan die jungen Leute mit zahlreichen Superlativen. Größer, lauter, schriller. Draußen an der Fassade hatten Dieter Glasmacher und Werner Nöfer Europas größtes Pop-Gemälde gestaltet. Drinnen gab es psychedelisches Flackerlicht und die weltweit erste eigene Lasertechnik in einem Musikclub. „Hamburg hat seine Superdiskothek. Pophölle Grünspan“, schrieb das Hamburger Abendblatt 1968.
„Wir haben damals mit Argusaugen beobachtet, was gegenüber im Grünspan passierte“, sagt Kuno Dreysse, der 1969 zusammen mit Achim Reichel und Frank Dostal den Star-Club leitete. Dort wurde es nämlich immer leerer. Die Bands verließen den Kiez. Silvester 1969 war Schluss – und im Grünspan steppte der Bär. Ahmet fing dort 1973 als Kellner an: „Die schönste Zeit war zwischen 1976 und 1980. Der Laden brach sonnabends mit 2000 Besuchern fast zusammen. Freitags waren es immer so um 1600 Besucher.“ Ähnlich voll war es donnerstags beim „Opera House“. Von 1995 an wurde aus dem reinen Tanzschuppen dann immer öfter auch wieder ein Konzerthaus.
„Es war vielleicht auch ganz gut, dass ich das alles nicht kannte“, sagt Robert Hager, der vor 43 Jahren in Regensburg geboren wurde. So konnte er unbefangen an die Aufräumarbeiten gehen. Sein Vater ist Bayer, seine Mutter Hamburgerin. „Meine Oma hat in Hamburg im Alsterpavillon gelernt und im Austernkeller als Köchin gearbeitet.“
100.000 Besucher im Jahr
Mit 27 Jahren kam Robert Hager an die Elbe, betreibt seitdem auch den Stage Club im Theater Neue Flora. Als sein Freund Uriz von Oertzen ihm das Gruenspan ans Herz legte, hat er mitgemacht. „Ich habe instinktiv gespürt, dass das hier ein ganz besonderer Ort ist.“ Das Risiko aber war groß. 2009 fanden dort nur noch rund 30 Konzerte im Jahr statt. Es gab weniger Besucher und einen großen Investitionsstau.
Der Innenbereich wurde entstaubt, Bühne, Beleuchtung und Tonanlage wurden erneuert, Säulen und Decke wieder freigelegt. Zehn Jahre später gibt es im Gruenspan rund 150 Veranstaltungen mit 100.000 Besuchern im Jahr. Sämtliche Musikrichtungen sind hier vertreten. „Wir haben den Club aber auch für Lesungen, Comedy oder größere Firmenveranstaltungen geöffnet“, sagt Hager, „und wir haben wieder eigene Formate ins Leben gerufen.“ Wie zum Beispiel den Savage-Club. Alle zwei Monate spielt eine elfköpfige Band mit stadtbekannten Musikern nicht auf der Bühne, sondern in einem großen Kreis rund um das Publikum. Dann gibt es tanzbaren Soul und Funk.
40 Beschäftigte sorgen für einen reibungslosen Ablauf. „Noch heute wird alles, was wir verdienen, wieder in den Club investiert.“ Staatliche Unterstützung für diese Hamburger Kultureinrichtung gibt es nicht.
Leidenschaftliches Team
Wenn Robert Hager auf eines stolz sei, so sagt er, dann „darauf, dass wir mit unserem leidenschaftlichen Team diesen Ort wieder belebt haben“. Mit Kreativität und reichlich Livemusik. Was ist gute Musik für ihn? „Wenn sie friedlich ist. Und handgemacht. Wenn die Künstler da vorne auf der Bühne etwas zu sagen haben und zugewandt sind.“ Künstler wie Bryan Adams oder Jack Johnson, Morcheeba oder die Pet Shop Boys, die alle schon im Gruenspan gespielt haben. Und natürlich R.E.M mit einem legendären Hamburger Liveauftritt für den Rockpalast vor 20 Jahren.
Was Robert Hager antreibt, sind Momente wie jene im Oktober vor sechs Jahren. Damals sollte Seeed im Gruenspan spielen, eine Art Geheimkonzert. Vormittags wurde der Gig im Radio angekündigt. Nur 10 Euro sollte der Eintritt betragen, die Schlange der Zuschauer reichte die ganze Simon-von-Utrecht-Straße hoch. Kurzerhand überlegten sich die Herren aus Berlin um ihren Sänger Pierre Baigorry alias Peter Fox, dass sie doch für die Wartenden, die keine Karten mehr bekommen hatten, vor dem Club ein bisschen spielen könnten. Auf der Straße. Ein legendärer Moment. „Da weißt du, wofür du das alles machst“, sagt Robert Hager.