Hamburg. Was hat Hamburg nicht alles an Pop- und Rock-Ereignissen erlebt. Das Abendblatt tourt durchs kollektive Gedächtnis der Musikmetropole.

Wer die 20 denkwürdigsten Konzerte, die Hamburg bislang erlebt hat, zusammenstellt, begibt sich auf dünnes Eis, das ist klar. Irgendwas fehlt immer, und Allgemeingültigkeit kann es bei einem solchen Thema nicht geben. Jeder, der Konzerte besucht, hat ganz eigene Erlebnisse und Empfindungen. Und überhaupt, was macht Konzerte „denkwürdig“? Vielleicht das Mädchen zwei Reihen weiter vorn, vielleicht die fliegenden Bierbecher vor der Zugabe, vielleicht der Adrenalinkick, den eigenen Auf-alle-Zeiten-Lieblingssong das erste Mal live zu hören. Alles möglich und ganz unabhängig von musikalischer Relevanz oder anderen vermeintlich objektiven Kriterien.

Dennoch ist dies natürlich keine wahllose Auflistung. Vielmehr haben wir uns bemüht, die Konzerte herauszufiltern, die auf die eine oder andere Weise besonders waren, die im kollektiven Gedächtnis der Musikstadt Hamburg verankert sind. Das gilt für die Saalschlachten bei Bill Haley und den Dead Kennedys ebenso wie für die Open-Air-Spektakel von Prince und zuletzt den Rolling Stones. Wohlgemerkt, hier geht es nur um Rock- und Popkonzerte, den Jazz haben wir – bis auf Al Jarreau im Onkel Pö, ein Grenzfall – außen vor gelassen. Er hätte eine Extra-Doppelseite verdient.

Also tauchen Sie ein in mehr als 60 Jahre Musikgeschichte – vermutlich sind auch einige Konzerte dabei, die Sie selbst im Club, im Stadion oder auf der Wiese live erlebt haben.

Bill Haley: Rock ’n’ Roll war noch nie etwas für Schwächlinge

Bill Haleys „Rock Around the Clock“ war ein Monsterhit und ein wilder dazu: ein emblematischer Song des Rock ’n’ Roll, der die Jugend entfesselte. Auch in Deutschland, auch in Hamburg: Am 28. Oktober 1958 trat Haley in der ausverkauften Ernst-Merck-Halle auf und spielte statt geplanten 50 nur 35 Minuten. Der Grund? Die pure Energie der 6000 Fans, die sich nicht nur in Gliederzuckungen entlud, sondern am Ende in einer regelrechten Saalschlacht – wie auch auf anderen Konzerten der Tour.

Das sehr schockierte, sehr bürgerliche Feuilleton sprach vom „Rock ’n’ Roll-Wahnsinn“ („Die Zeit“), der sich später am Dammtorbahnhof fortsetzte. „Halbstarke“, Sachschaden (20.000 Mark!), Verhaftungen, und Soziologen und Verhaltenwissenschaftler hatten ihren Spaß. Haley konnte nur die Flucht ergreifen. Elvis verzichtete lieber auf einen Auftritt in Hamburg.


Bruce Springsteen: Erst bei „Badlands“ kochte das Congress Centrum

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Auf der Tour zu „The River“ kamen Bruce Springsteen und die E Street Band erstmals seit 1975 wieder nach Europa. Erster Auftritt: Hamburg, CCH. Pete Townsend hatte den Boss gewarnt, die Deutschen seien das schlimmste Publikum der Welt. Und wie Springsteen in seiner Autobiografie „Born to Run“ schreibt, war dieser 7. April 1981 zunächst wirklich eine lahme Angelegenheit – „alle hockten auf ihren Händen“.

Erst als die Amerikaner „Badlands“ spielten, sprang der Funke über. Der Rest war ein Selbstläufer. Springsteen wusste seit diesem Moment, dass er Europa im Sturm erobern würde, den Kontinent also, wo er bis heute die größten Shows spielt. Der Konzertveranstalter Fritz Rau konnte übrigens kaum glauben, was er sah: „Was habt ihr mit meinen Deutschen gemacht?“, rief er dem Boss backstage zu.


Pink Floyd: Rücksichtslose Wildpinkler und 10.000 Fans ohne Ticket

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60.000 Fans auf der Festwiese im Stadtpark, 10.000 auf den Rasenflächen drum herum – der Auftritt von Pink Floyd­ am 16. Juni 1989 war ein Spektakel. Eines, das Spuren hinterließ. Die Veranstalter zeigten sich „entsetzt“ über die Schäden, die am Grün entstanden waren, übrigens auch durch Wildpinkler. Ein Grund, warum bis heute so selten Großkonzerte an diesem einigermaßen idyllischen Ort stattfinden.

Was die Musik angeht, so erinnern sich Zeitzeugen an einen Top-Sound und eine Setlist, die wenig Wünsche offenließ. Spätgeborene wurden mit den Songs des aktuellen Albums „A Momentary Lapse of Reason“ verwöhnt, für die alten Fans gab es Klassiker wie „Money“ und „Wish You Were Here“. Inklusive Pause eine mehr als dreistündige Show auf der damals weltweit größten Open-Air-Bühnenkonstruktion – natürlich ohne Bassist Roger Waters, der die Band bereits 1985 verlassen hatte.


The Beatles: Ein Konzert? Hunderte! Und (fast) alle auf St. Pauli

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Jaja, die Beatles in Hamburg, kennt ja jeder, diesen Mythos, der für die Stadt vielleicht noch wichtiger ist als für die Band. Abend für Abend spielten sich John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, spielten sich Stuart Sutcliffe, Ringo Starr und Pete Best den Allerwertesten in den stickigen Musikclubs der Reeperbahn ab: im Indra, im Kaiserkeller, im Top Ten, im Star Club. Ein paar junge Engländer, die kaum anderthalb Jahrzehnte nach dem Krieg die international werdende Sprache der Beatmusik auf den Kontinent brachten.

Ins Land der Pickelhauben, wo die Jugend noch mehr als anderswo nach Befreiung durch rockende Gitarren und rollende Trommeln dürstete. Der Verfasser dieser Zeilen würde sein Bea­tles-Boxset, er würde seine ganze Musiksammlung hergeben – im Tausch für die Reise mit der Zeitmaschine an nur einen Beatles-Abend 1960, 1961 oder 1962. 1966 spielten die Beatles noch zwei Konzerte in der Ernst-Merck-Halle. Das war allerdings nicht dasselbe.


Bob Marley: Marihuana-Schwaden in der Ernst-Merck-Halle

„Über 7000 nassgeschwitzte Fan-Leiber schoben und drängelten im stampfenden Rhythmus durch die Halle“ schrieb der Kritiker des Hamburger Abendblatts nach dem Konzert von Bob Marley & The Wailers am 14. Juni 1980. Tatsächlich war es ein drückend-schwüler Tag, als der jamaikanische Superstar in die Ernst-Merck-Halle kam und zwei Stunden lang das Publikum mit seinen hypnotischen Grooves in kollektive Trance versetzte. Überall glimmten die Joints – auch das mag damals zur ausgesprochen entspannten Stimmung beigetragen haben.

Von „Get Up, Stand Up“ über „No Woman, No Cry“ bis „Could You Be ­Loved“ fehlte kein Klassiker, doch die mehr als 30 Grad in der Halle forderten Opfer. Immer wieder brachen Tanzende zusammen – der Kreislauf. 19 D-Mark kostete das Ticket damals im Vorverkauf, im Nachhinein ein Schnäppchen, war es doch die letzte Chance, Bob Marley in Hamburg live zu sehen. Er starb weniger als ein Jahr später an Krebs.


Dead Kennedys, Slime, Napalm, MDC: Vier Punkbands, 30.000 D-Mark Schaden

Das Blaulicht zahlloser Peterwagen flackerte über den feuchten Asphalt, Polizeihunde bellten, als sich 1400 Fans in Richtung Friedrich-Ebert-Halle bewegten. Hier in Harburg fand am 6. Dezember 1982 ein in der Rückschau legendäres Konzert statt: Die Dead Kennedys aus San Francisco spielten, mit Songs wie „Holiday in Cambodia“ und „Nazi Punks Fuck Off!“ eines der Sprachrohre der linksradikalen Szene. Ebenfalls dabei: Slime aus Hamburg, Anarchopunks, deren „Wir wollen keine Bullenschweine“ schon die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hatte.

Napalm und Million Of Dead Cops rundeten ein auf Krawall gebürstetes ­Line-up ab, das auch vor der Bühne für ordentlich Action sorgte. Mehr als 130 Stühle gingen zu Bruch, Waschbecken wurden aus den Wänden gerissen. Unterm Strich 30.000 D-Mark Schaden, und die Harburger CDU forderte hinterher, die Halle künftig nicht mehr „für derartige Veranstaltungen“ freizugeben. Was den Legendenstatus dieses Abends noch weiter beförderte.


Al Jarreau: Vom Onkel Pö mittenrein in die Weltkarriere

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Von denen, die am 12. März 1976 im berühmten Onkel Pö dabei waren, als der berühmte Al Jarreau (1940–2017) erstmals außerhalb Amerikas auftrat, wird heute jeder sagen, er habe einen geschichtsträchtigen Abend erlebt. Jeder! Aber wussten die glücklich Dabeigewesenen dies damals schon? Sicher, dem später weltweit erfolgreichen Jazzpop-Giganten ging ein Ruf wie Donnerhall voraus.

Dass er mal als einer der besten Sänger seiner Generation gelten würde, konnte jedoch keiner wissen. Am 12. März hatte Jarreau übrigens Geburtstag. Wer ihm damals mit dem Publikum ein Ständchen sang, erzählt davon heute noch – und wähnt sich einem noch exklusiveren Kreis zugehörig als die, die am 13. und 14. März bei Jarreau im Onkel Pö waren.


David Bowie: Open Air im Stadtpark – da blieb Udo nur Beiwerk

1987, als er zum Open Air auf der Festwiese im Stadtpark einflog, war David Bowie 42 Jahre alt und gehörte zur globalen Pop-Prominenz. Was den Berichterstatter des Abendblatts so beeindruckte, dass er leichthändig schrieb: „Unerheblich war das Vorprogramm. Deutschrocker wie Nina Hagen, Udo Lindenberg und Wolfgang Niedecken müssen international erfolglos bleiben – musikalisch berechenbar und unoriginell“.

So oder so, es wurde mächtig aufgefahren. 31.000 kamen an jenem 13. Juni und zahlten damals gewaltig anmutende 55 Mark für ein Ticket, um Bowie zu hören. 2000 Besucher brachen allerdings durch und zahlten nada. Und sonst? Wütende Eppendorfer, die sich über die Lautstärke beschwerten.


Prince: Als „Purple Rain“ bis nach Fuhlsbüttel zu hören war

Ohrenschützer für Polizisten, 1000 Bürgerbeschwerden wegen Lärmbelästigung: Als Prince im August 1988 im Rahmen seiner „Lovesexy“-Tour gleich zwei Konzerte im Millerntor-Stadion gab, war das nicht nur aus musikalischen Gründen Stadtgespräch. Bis nach Alsterdorf und Fuhlsbüttel waren die Shows zu hören, eine 160.000-Watt-Lautsprecher­anlage machte es möglich.

Ursprünglich sollte Prince im Volksparkstadion auftreten, doch nachdem beim Auftritt von Michael Jackson am 1. Juli kleine Schäden am Bau aufgetreten waren, wurde kurzfristig nach St. Pauli verlegt. Wer dabei war, erinnert sich an die grandiose Setlist mit Songs wie „Purple Rain“, „Let’s Go Crazy“ und „1999“ mindestens ebenso wie an die aufwendig choreografierte Show, zu der auch Percussionistin Sheila E und Sängerin Cat einen erheblichen Teil beitrugen.


Smashing Pumpkins: Reeperbahn gesperrt, Kneipen leer gekauft

So kann man sich verschätzen: Mit maximal 5000 Besuchern hatten die Organisatoren beim Auftritt der US-Band Smashing Pumpkins gerechnet. Doch dann kamen am 14. Mai 1998 mehr als 25.000 Fans auf die Reeperbahn. Das Wetter war gut, der Eintritt frei, die amerikanischen Indierocker befanden sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und wollten europaweit an „ungewöhnlichen Orten“ spielen. Einer davon sollte die „sündige Meile“ sein, mit Bühne auf der Höhe der Davidwache.

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Der Andrang war so groß, dass die Polizei die Reeperbahn für den Verkehr sperren musste, die Kneipen – Kioske gab es damals nur wenige – machten mindestens das Geschäft des Jahres, und die Band erlebte einen Triumphzug, den sie wohl selbst in kühnsten Träumen nicht erwartet hätte. Ein Konzert mit hohem Weißt-du-noch-Faktor, das einfach so passierte, an einem Donnerstagabend, mitten in Hamburg.


Michael Jackson: Der Zauber des ersten Males: „King of Pop“ im Volkspark

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Schwül soll es an jenem 1. Juli 1988 den ganzen Tag gewesen sein. Regenduschen gab es auch. Aber als Michael Jackson (1958–2009), der Pop-Super-und-Über-Star, dann um kurz nach neun auf die Bühne des mit mehr als 50.000 Besuchern voll besetzten Volksparkstadions trat, hatte der Himmel seine Schleusen dicht gemacht. Ehre, wem Ehre gebührt. „Wanna Be Startin’ Somethin’“ war der Opener auf dieser ausgedehnten „Bad“­­Welttournee, logisch – und es begann: eine schweißtreibende Hit-Revue des damals unbestritten größten Entertainers der Welt.

Niemand im Publikum wird so getanzt haben wie Jackson, denn wer konnte das schon. Damals bewunderte man den später Skandalumwitterten übrigens noch vorbehaltlos. Das war auch noch 1992 so, als Jackson auf „Dangerous“-Tour war und erneut im Volksparkstadion vor knapp 50.000 Fans auftrat. Aber da war der Zauber des ersten Males für viele schon verschwunden, und 1993 dann, Jackson war immer noch auf Weltreise, kamen die ersten Anschuldigungen der sexuellen Belästigung. Besser, man sah ihn noch vorher.


Flash Festival: Beginner und Co. packten Hamburg wieder auf die Karte

Wir packen Hamburg wieder auf die Landkarte? Das galt schon vor 18 Jahren, als mit dem „Flash 2000“ das bis dahin größte Hip-Hop-Festival Hamburgs im Millerntor-Stadion über die Bühne ging. Deichkind, Nina MC, Doppelkopf, Eins zwo, Ferris MC, Fettes Brot, Fünf Sterne Deluxe, Dynamite Deluxe und natürlich die Absoluten Beginner um Chefstyler Eizi Eiz waren dabei. Ebenso wie 20.000 begeisterte Hip-Hop-Fans, die ein Sieben-Stunden-Festival fast ohne Verschnaufpausen erlebten – die Umbauunterbrechungen dauerten gerade mal fünf Minuten.

T-Shirts mit „Hamburg City“-Aufdruck fanden reißenden Absatz; kein Wunder, zeigte diese Leistungsschau doch, dass Hamburg in Sachen deutschsprachiger Hip-Hop ziemlich unangefochten auf Platz eins stand. Eine Wiederholung vor Ort gab es 2001, 2002 wurde das Festival auf die Freilichtbühne im Stadtpark verlegt, wo es bereits 1999 stattgefunden hatte.


Rolling Stones: Ein Glücksfall für die Stadt – trotz des Nachspiels vor Gericht

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Ein Konzert mit Folgen: Die Affäre um Kauf- und Freikarten für Mitarbeiter des Bezirksamts zieht bis heute Kreise, auch vor Gericht. 82.000 Fans von Mick Jagger, Keith Richards und Co. kamen am 9. September 2017 in den Stadtpark, wo mehr als 300 Techniker über viele Tage Zuschauertribünen und eine riesige Bühne errichtet hatten. 680 Euro kostete das teuerste Ticket, der günstigste Stehplatz schlug immer noch mit 85 Euro zu Buche. Doch die Begeisterung konnten diese Mondpreise nicht dämpfen.

Als die Band um 20.30 Uhr auf die Bühne kam und mit „Sympathy for the Devil“ loslegte, war klar: Hier, beim Start der Stones-Europatournee, wird gerade Musikgeschichte geschrieben. „Paint It Black“, „Honky Tonk Women“, „Street Fighting Man“, dazu ein paar Bluesnummern und natürlich „Satisfac­tion“: Wer dabei war, wird diesen Abend nicht vergessen. „Ein Glücksfall für Hamburg“, schrieb das Abendblatt, und das war es auch. Trotz des juristischen Nachspiels.


Helene Fischer: Fünfmal ausverkaufte Barclaycard Arena – und dann ins Stadion

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Fünf ausverkaufte Konzerte hintereinander in der Barclaycard Arena. Binnen sechs Tagen. Das muss Helene Fischer erst einmal jemand nachmachen. Und nach diesem Megaerfolg im September 2017 ein Jahr später gleich der Nachschlag: zwei nahezu ausverkaufte Auftritte im Volksparkstadion. In Sachen Massenwirkung war und ist die Schlagerikone aus Krasnojarsk schlicht unschlagbar. Auch, weil sie ein ausgesprochen heterogenes Publikum bedient.

Ganze Familien kamen in die Barclaycard Arena, Oma und Opa inklusive. Die Prosecco-Fraktion aus dem Büro in der Schanze war ebenso dabei wie das Handball-Team vom Dorf – vereint in Hits wie „Atemlos durch die Nacht“ und „Herzbeben“. Und begeistert von einer sehr kurzweiligen, artistisch-athletischen Show, sexy Gewälze im Wasserbad inklusive.


Frank Sinatra: Bis zu 350 D-Mark Eintritt für die Stimme Amerikas

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Frank Sinatra, einer der wichtigsten und besten Sänger der Popgeschichte? Mindestens. In Deutschland trat er im Laufe seiner langen Karriere nicht oft auf, genauer gesagt: nur ein Dutzend Mal. 1993 kam der damals 77-Jährige auf Abschiedstournee, spielte dabei auch in Hamburg. Im Derby Park in Klein Flottbek sahen und hörten ihn am 2. Juni 13.000 Fans.

17 Songs von „Come Fly With Me“ bis „My Way“, ein alter Mann, der eine Legende ist, mit seinen bekannten Geschichten und zeitlosen Songs – wer will da nicht dabei gewesen sein? Die, die es waren, zahlten bis zu 350 D-Mark für ihre Karte und saßen gebannt vor der Stimme Amerikas. Cool bis zum Anschlag sang die ihre Lieder, und jeder hätte ihrem Besitzer, dem großen Frank Sinatra, am liebsten einen Drink gebracht.



Live-Earth-Festival: Als die Popwelt für die Rettung des Planeten auftrat

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Konzertereignisse müssen nicht unbedingt unvergessliche Musikerlebnisse sein, um zur historischen Angelegenheit zu werden. Am 7. Juli 2007 regnete es im Volkspark – allertypischstes Hamburger Sommerwetter. Kluge Menschen wussten auch damals, dass man ordentlich durchgekühlte Juli-Tage noch schätzen muss, solange es sie noch gibt, nein: dass man dafür sorgen muss, dass es sie noch lange gibt.

Live Earth, das vom US-Politiker und Umweltaktivisten Al Gore angeschobene Klimaschutz-24-Stunden-Konzert, fand deswegen damals nicht nur im Hamburger Stadion statt, sondern auch an zehn anderen Orten. Knapp 30.000 kamen, um Shakira, Silbermond und Mando Diao zu sehen. Keiner der Auftritte hinterließ eine bleibende Erinnerung. Das gilt nicht für den Kontext der Veranstaltung: Es ging live um den Planeten Erde.


Westernhagen: Angst vor den Behörden und Tränen auf der Bühne

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„Bitte schalten Sie den Strom nicht ab, bevor wir fertig sind!“, bat Marius Müller-Westernhagen die städtischen Verantwortlichen am 19. Juni 1999 bei seinem letzten Open-Air-Konzert, und die erhörten den „dünnen Hering“, der fürchtete, aus Lärmschutzgründen könnte Punkt 22 Uhr der Hebel umgelegt werden. Ein hochemotionaler Abend war das, an dem Westernhagen im Verlauf der Show mehrmals die Tränen kamen.

Und als er den 80.000 Fans auf der Trabrennbahn Bahrenfeld zurief: „Ich werde euch furchtbar vermissen!“, da überlagerten sich auch im Publikum Euphorie und Wehmut. Die melancholische Trinker-Ballade „Johnny Walker“ war der furiose Abschluss eines Auftritts, über den das Abendblatt urteilte: „Am Sonnabend endete ein Kapitel deutscher Musikgeschichte.“


Adele: Erst kannte sie fast niemand, dann kannten sie fast alle

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„Da kam ein kleines, niedliches Mädchen mit herrlichem britschen Bierkutscher-Humor, das aussah, als sei es aus dem Kelly-Family-Bus gefallen. Als wir dann aber Soundcheck machten, flog ich fast vom Hocker. Sie hatte so ein wahnsinniges Organ ...“, erinnert sich Benny Ruess, der für den Sound zuständig war, als Adele ihr Hamburg-Debüt gab: vor 52 Gästen am 23. Februar 2007 im Grünen Jäger auf St. Pauli. Ein knappes Jahr später erschien ihr Album „19“, der Start einer Weltkarriere.

Als Adele im Mai 2016 für zwei Konzerte in die natürlich restlos ausverkaufte Barclaycard Arena kam, war vieles anders. Die Karten: binnen Minuten weg. Der Schwarzmarkt: blühte. Die inzwischen 28-Jährige: ein Superstar. Dass die Auftritte dennoch zu Herzen gingen und lange nachwirkten, lag nicht nur an ihrer Stimme, sondern auch an ihrer authen­tischen Kumpelhaftigkeit, ihrem rauen Bierkutscher-Humor, dem all der Glamour um sie herum tatsächlich nichts hatte anhaben können. Ein Ereignis!


Ed Sheeran: Der singende Hobbit auf der Trabrennbahn

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Zum Sommer des Jahrtausends gehörte auch ein Konzert. Und nicht irgendeines, sondern das des singenden Hobbits Ed Sheeran, der am 25. Juli 2018 vor sage und schreibe 80.000 Fans auf der Bahrenfelder Trabrennbahn auftrat. Eines der größten Konzerte bislang in Hamburg, und als Aufputscher und Bändiger der schieren Masse fungierte einzig: ein blasser Brite mit seiner Gitarre. Wenn das nicht bemerkenswert ist, was dann?

Die Magie der Popmusik zeigt sich in dem Moment, in dem ein 27-Jähriger ganz allein seinen Monsterhit „Shape Of You“ spielt, dabei aber gar nicht allein ist, denn 80.000 singen mit. Wer noch sehr jung ist und wer vor Sheerans glor­reichem Auftritt noch nie auf einem Konzert war, der wird alle nachfolgenden Konzertbesuche mit jenem heißen Juli-Abend vergleichen, als Hamburg in Italien lag und Hobbits durch Bahrenfeld hoppelten. Der Abend wird einmalig bleiben.


Flora-Konzerte: Am heiligen Ort der Gegenkultur: Tocotronic und Co.

In der Tocotronic-Legende steht das Linkssein ganz oben – da passt gut, dass die einst in Hamburg gegründete Band eines ihrer frühesten Konzerte in der Roten Flora verortet: 1993 hatte sie dort einen Auftritt. Damals war das Haus an der Schanze noch nicht von der heute so hochtourigen Symbolik – Anarchie, Antikapitalimus – umweht; als Tocotronic 2009 zum 20-Jährigen der Flora zurückkehrten, dürften sie diese dennoch wiedererkannt haben.

Wer von der Pop-Prominenz in Hamburg etwas auf sich hält, der muss mal hier aufgetreten sein, Solidaritätsadressen an die überzeugt antikommerziellen Besetzer inklusive. Fettes Brot spielten 2013 trotz Hausverbots, und wie auch beim Konzert der Beginner ein Jahr später blieb die Frage offen: War es in oder vor der Flora geiler?