Hamburg . Der belgische Dirigent Philippe Herreweghe bot das Werk im Großen Saal beseelt – und ohne Mätzchen.
Hamburg Mozart hat sein „Requiem“, das haben wir seit Milos Formans Kinoklassiker „Amadeus“ lebhaft vor Augen, unvollendet hinterlassen. Zahlreiche Bearbeiter haben das Werk seither auskomponiert, instrumentiert, vervollständigt, auch das 20. Jahrhundert brachte immer neue Fassungen. Und doch kehren selbst akribische Originalklangspezialisten immer wieder zur vielgescholtenen Bearbeitung von Franz Xaver Süßmayr zurück – denn der hatte gegenüber all den beschlagenen Wissenschaftlern einen unbestreitbaren Vorteil: Er kannte Mozart.
Auch Philippe Herreweghe hat sich für sein Konzert mit dem Orchestre des Champs-Élysées und das Collegium Vocale Gent für die Süßmayr-Fassung entschieden. Er musizierte das Werk im Großen Saal der Elbphilharmonie so klar, fließend beseelt und ohne Mätzchen, dass man sich gar nicht ausmalen mochte, einer von diesen jüngeren Kollegen aus der hyperaktiven Ecke hätten sich an dem Stück vergriffen.
Wahre Wunder in der Tongebung
Nun ist das mit Sakralmusik in der Elbphilharmonie so eine Sache. Es bleibt hell im Saal, es riecht nicht gerade nach Weihrauch, und ohne den kirchentypischen Nachhall stellt sich nicht so leicht ein heiliges Gefühl ein. Was zu Herreweghes Deutung gar nicht so schlecht passte. Er vertraute auf die Kraft der Musik und ließ den breiten Pathos-Pinsel einfach in der Tasche.
Wahre Wunder vollbrachten die Künstler in der Tongebung: Klarinette und Bassetthorn verliehen dem Ganzen eine irgendwie freimaurerisch angehauchte mystische dunkle Wärme, seidenweich klangen die Geigen, und die Passagen, in denen Chor- und Orchesterstimmen parallel laufen, waren perfekt abgemischt.
Schlicht wie eindringlich: „Lacrimosa“
Die wunderbare Klarheit und Homogenität des Chorklangs zeugten von Herreweghes langjähriger Arbeit. Man verstand sich offenbar blind, und das war gut so – das Dirigat kann nämlich keine wirkliche Hilfe gewesen sein. Trotzdem spielten die Beteiligten unfehlbar zusammen. Die vier Gesangssolisten Emőke Baráth, Eva Zaïcik, Maximilian Schmitt und Florian Boesch bildeten ein wirkliches Quartett, nur Schmitts Tenor trat bisweilen ein wenig zu scharf hervor.
Anrührend kammermusikalisch blies der erste Posaunist das „Tuba mirum“. Und das so schlichte wie eindringliche „Lacrimosa“ stellte Herreweghe einfach hin wie ein Bild. Es wirkte sozusagen von allein. Und wie.