Hamburg. In der Elbphilharmonie begeistert der Hamburger Soul-Star mit Band und Orchester. Und erzählt Geheimnisse aus seiner Kindheit.
„Ich weiß ja, dass der deutsche Mann im Sitzen tanzt“, sagt Stefan Gwildis am Ende eines grandiosen Konzertabends, an dem der Hamburger den Großen Saal der Elbphilharmonie in einen brodelnden Tanzschuppen verwandelt hat. Nach zweieinhalb Stunden und drei Zugaben sitzt am Mittwoch niemand mehr.
Konzert am Geburtstag
Die Zuschauer feiern das Geburtstagskind, dem sie gleich am Anfang mit einem vielstimmigen „Happy birthday“ gratuliert haben. Sie klatschen im Takt, singen jeden Refrain mit und tanzen ausgelassen zwischen den Sitzreihen. 60 Jahre ist Stefan Gwildis geworden. Und hat quasi als Jubiläumspräsent zusammen mit den Kieler Philharmonikern einen orchestrierten musikalischen Rückblick auf mehr als 30 Jahre seines tonalen Wirkens aufgenommen. „Best of – live und philharmonisch“.
Zaubert Lächeln aufs Gesicht
Funktioniert das auch live mit seiner vierköpfigen Band und dem 60-köpfigen Orchester aus Kiel in diesem fünfstöckigen Konzerthaus? Und wie. Schon bei den ersten Songs „Spiel das Lied in Dir“, „Allem Anschein nach bist du’s“ und „Mein Meer“ stimmt der Klang, als hätte dieser Saal nur auf die Kombination aus Klassik und Soul gewartet. Gitarre und Streicher finden zueinander, E-Bass und Kontrabässe ergänzen sich, Pauken und Schlagzeug machen präzisen Druck. Und über allem röhrt diese Stimme von Stefan Gwildis, der man im Grunde chancenlos ausgeliefert ist, weil sie direkt in die Seele kriecht und selbst dem Griesgram in der dritten Reihe irgendwann ein leichtes Lächeln aufs Gesicht zaubert. Passenderweise halten auch die feinen deutschen Texte von nahezu allen Songs gelassen Schritt mit diesem musikalischen Kraftwerk aus Gesang und Instrumenten.
Im Laufgitter groß geworden
Der charmante Gastgeber unterhält die 2100 Gäste, die seiner Einladung gefolgt sind, mit Liedern und kleinen Geschichten. Erzählt, dass er im Laufgitter groß geworden ist, was ihm nicht geschadet habe und seiner Mutter bei der Arbeit in der Küche zugeschaut hat, als im Radio ein Song von Billy Paul lief. „Ich war vielleicht zwei, drei Jahre und dachte, wenn ich groß bin, will ich den auch singen. Und heute geht der Wunsch in Erfüllung.“ Es war zwar 1972, als Billy Paul „Me and Mrs. Jones“ eingesungen hat, da muss Stefan Gwildis etwa 14 Jahre alt gewesen sein, aber egal. Seine deutsche Version dieses Klassikers des Philadelphia Soul „Sie lässt mich nicht mehr los“ waren im Grunde die ersten bemerkenswerten Schritte auf seinem eigenen musikalischen Weg, der da hörbar proklamierte: Soul mit deutschen Texten, natürlich geht das!
Soloparts für Cello und Posaune
Wohin das führen kann, wenn man seinen Weg geht, sich dabei immer wieder auf Neues einlässt und Dinge probiert, die manche für ausgeschlossen halten, beweist Gwildis an diesem Abend. Dabei treten im zweiten Teil nach der Pause die Symphoniker unter der Leitung von Georg Fritzsch, der die Idee für die Zusammenarbeit mit Gwildis hatte, musikalisch noch deutlicher nach vorne. Mit Soloparts für Cello und Posaune bei „Mond über Hamburg“, beim „Regenlied“ oder bei „Durch die Nacht“, dem vertonten Gedicht von Heinz Erhardt „Der Einsame“. Stefan Gwildis lässt seinen exzellenten Mitstreitern auf der Bühne immer genügend Raum.
Gegen Ausgrenzung und Fanatismus
Und er bezieht Stellung, wenn er etwa mehr Respekt und Hochachtung für die Hebammen einfordert. Oder musikalisch allen Menschen, die ehrenamtlich arbeiten, seinen großen Dank ausspricht. Oder „nur ganz kurz“ die Zuwanderung anspricht und dann die Geschichte von seinem Kumpel im Hafen erzählt, mit dem er vor 40 Jahren Kakaosäcke geschleppt hat. Und der ihm, wenn das Thema auf religiösen oder politischen Fanatismus kam, immer ganz trocken entgegnete: „Mach ma, wie du meinst, aber geh mir damit nicht auf den Sack.“ Gwildis setzt gegen Ausgrenzung und Fanatismus seine Songs. „Eine Handvoll Liebe“ oder „Wir haben doch jeden Berg geschafft“. Lieder, für die er sich kräftige chorale Unterstützung auf die Bühne holt. „Young Spirit“, einen Gospel Chor aus Elmshorn. Und den Gebärdenchor „HandsUp“, dem die Zuschauer in der Elbphilharmonie großen Beifall zollen, in dem sie ihre Hände in die Luft heben und sie heftig schütteln.
Dank fürs Mitfiebern
Natürlich lassen sie ihn nach zwei Stunden nicht von der Bühne. Die Party soll weitergehen. Sie rufen ihre Liederwünsche, und das Geburtstagskind ermahnt: „Bitte nicht diese anarchischen Zwischenrufe! Bildet Kreise und wählt einen Sprecher.“ Um sich dann ergriffen zu bedanken: „Für euer Mitfiebern, euer Mitschnippen und eure Beinarbeit.“