Hamburg. Der Schauspieler Ulrich Matthes bewegt sich, sooft es geht, aus seiner „Filterblase“ heraus. Denn er ist nicht nur Künstler.

Ulrich Matthes ist einer der renommiertesten Schauspieler des Landes. Und ein politisch denkender Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Beim Hamburger Theaterfestival ist er gleich zweimal zu Gast.

Wohl kein anderer Schauspieler stand so häufig beim Hamburger Theaterfestival auf der Bühne wie Sie. Das heißt, Sie haben ein Verhältnis zu dem Festival.

Ulrich Matthes: Das Hamburger Theaterfestival bringt mich erfreulicherweise oft nach Hamburg. Ich bin sehr gerne in der Stadt, erstens, weil ich die Nähe zum Meer und die kreischenden Möwen mag. Und zweitens halte ich das Hamburger Theaterpublikum für besonders leidenschaftsfähig. Ich erlebe die Hamburger als sehr zugewandt, ohne diese „Na, dann wollen wir mal sehen, was die da oben so machen“-Haltung mancher Berliner, bei denen ich hin und wieder denke: Mensch, Kinder, ihr könntet euch auch mehr in Richtung Enthusiasmus oder Ablehnung bewegen!

Im November sind Sie mit Bastian Krafts „Tod eines Handlungsreisenden“ vom Deutschen Theater hier, gespielt wird im Thalia. Dort ist ebenfalls ein eigener „Tod eines Handlungsreisenden“ im Repertoire, inszeniert von Sebastian Nübling …

Matthes: Da spielt der von mir hochgeschätzte Kristof Van Boven mit. Das ist … eine ungewöhnliche Besetzung.

Inwiefern ungewöhnlich?

Matthes: Offen gestanden finde ich, dass man ein bestimmtes Alter für diese Rolle erreicht haben sollte. Ich habe grundsätzlich das Gefühl, dass die alternde Gesellschaft sich auch in Ensembles stärker abbilden muss, und ich bedauere die Tendenz, Rollen, die früher 70-jährige Kollegen gespielt haben, mittlerweile mit deutlich jüngeren Schauspielern zu besetzen. Insofern bezog sich meine kleine Verwunderung über die Besetzung mit dem, wie gesagt, hochgeschätzten Kristof nur auf sein Alter und nicht auf seine Qualität.

Peter Laudenbach schrieb in der „Süddeutschen Zeitung“ über Ihren Auftritt im Berliner „Handlungsreisenden“: „Es ist Matthes’ bester Theaterauftritt seit Jahren, in denen er eher durch auskunftsfreudige Interviews als durch bedeutende Theaterrollen aufgefallen ist.“ Ziehen Sie sich den Schuh an?

Matthes: Ich enthalte mich dazu jeglichen Kommentars.

Wenn Sie Ende dieses Monats noch ein weiteres Mal beim Hamburger Theaterfestival zu Gast sind, befragt Sie Kester Schlenz im St. Pauli Theater als Privatmann – unter dem Titel „Na klar sag ich meine Meinung“. Klingt auch nach „Ulrich Matthes, das ist der mit den auskunftsfreudigen Interviews“.

Matthes: Für den Titel kann ich nichts. Aber ich finde es selbstverständlich, dass ich angesichts einer politischen Situation, in der es mit der AfD eine Partei gibt, die ich für demokratiefeindlich halte, mein Stimmchen erhebe. Seit ich einigermaßen denken kann, bin ich durch mein Elternhaus zu einem politischen Bewusstsein erzogen worden. Und deswegen will ich in Interviews nicht nur sagen, warum ich eine Rolle so oder so spiele, sondern ich will meine Gedanken zur Demokratie öffentlich machen. Das mag der eine oder andere wichtigtuerisch finden. Das ist mir aber wurscht. Ich tue das, weil ich das Gefühl habe: Es ist meine Verantwortung als Bürger.

Das ehrt Sie natürlich. Viele Schauspieler und Künstler lassen sich überhaupt nicht von ihrer aktuellen künstlerischen Arbeit weglocken, die meisten wollen über das Stück reden, an dem sie gerade arbeiten. Vielleicht ist das auch nachvollziehbar …

Matthes: Nein, das finde ich nicht! Das finde ich eben überhaupt nicht. Ich versuche grundsätzlich, mich so weit es geht aus der Filterblase der Kantine und des Gesprächs, ob man in der dritten Szene des zweiten Aktes nicht doch ein wenig das Tempo anziehen sollte, hinauszubewegen. Auch, indem ich mich privat nicht nur mit Theatermenschen umgebe. Ich finde es gut, mit Menschen befreundet zu sein, die eben gar nichts mit dem Theater zu tun haben. Und auch mal Gespräche zu führen, in denen sich das Gespräch nur ein Viertelstündchen von fünf Stunden um Theater oder Film dreht.

8700 Unterstützer haben gerade eine Petition von Künstlern und Intellektuellen gegen Innenminister Horst Seehofer unterzeichnet, „Seehofer muss gehen“, auch Sie haben unterschrieben. Nicht nur von rechts kamen da Vorwürfe, dass hier eine Elite demonstrieren würde, die gar nicht von den Entscheidungen des Innenministeriums betroffen sei. Ein ungerechter Vorwurf?

Matthes: Ich habe zunächst gezögert, da zu unterschreiben. Weil ich es problematisch finde, wenn ein Individuum an so eine Art von öffentlichem Pranger gestellt wird. Ich habe mich aber auch wahnsinnig über Seehofer aufgeregt, ich fand sein Verhalten eines Innenministers aus mehreren Gründen unwürdig, und dann habe ich tatsächlich etwas skrupulös und zögernd mitunterschrieben. Das mit der Elite ist ja ein AfD-Vorwurf. Die AfD sagt: Wir vertreten das Volk, und ihr Elitären da oben wisst gar nicht mehr, wie das Volk denkt.

Bei der Bayern-Wahl am vergangenen Sonntag konnten wir sehen, wie erfolglos Seehofermit seinem Verhalten war. Und vorigen Sonnabend fand in Berlin eine große Demonstration unter dem Titel „Unteilbar“ gegen rechts statt – vielleicht ist es ja gerade wichtig, dass eine breite Gesellschaft, zu der Künstler und Intellektuelle natürlich gehören, zeigt, dass sie gegen solche Positionen wie die von Seehofer sind?

Matthes: So ist es. Und angesichts der hohen Teilnehmerzahl, die durch breite Bevölkerungsschichten ging, sah man, dass gegen rechts nicht nur eine vermeintliche Blase demonstrierte. Das bildete einen Großteil der Bevölkerung ab. Schön.