Hamburg. Der Einbruch der Wildnis in die städtische Zivilisation. Was diese Werwolf-Show auf Kampnagel sehenswert macht.

Schon auf den Werbeplakaten sah man Ursina Tossis Performance-Ensemble zu „Blue Moon“ wölfisch unterm (Kunst-)Pelzmantel blutrot die Zähne fletschen. Ein Hingucker. Allerdings weckte dies bereits Vorstellungen, die die Premiere auf Kampnagel dann recht überraschungsarm einlöste.

Die Choreografin, die an der Contemporary Dance School Hamburg unterrichtet, ließ ihre Werwölfinnen in Sportkleidung mit Knieschonern los; diese räkelten sich in einer nebligen Bühneninstallation aus von der Decke hängenden Ketten, Knochen und Tierfellen. Eine rohe Schlachthaus-Kulisse, die zugleich auch ein Kellerclub à la Berghain sein könnte. Die fünf Tänzerinnen inklusive der Choreografin fauchen bedrohlich, gehen das Publikum an, umkreisen einander lüstern. Dann wieder marschieren sie über einen imaginären Catwalk, irgendwann fließt ein wenig Blut.

Protest der Werwölfinnen

Es ist der Einbruch der Wildnis in die städtische Zivilisation, gegen die diese Werwölfinnen protestieren, rebellieren. Sie erheben auch ihre Stimmen, sprechen mal auf Englisch, mal auf Deutsch von der Technologie, durch die die Sinne abhandengekommen seien. Das tun sie mit sichtlicher Freude, weshalb es einfach Spaß bringt, diesen Tier-Menschen bei ihrer Selbstbehauptung zuzuschauen.

Denn der Werwolf ist in der Kulturgeschichte bis hin zu Hollywoods Horrorstreifen meistens ein Mann. In der Mythologie seit den alten Griechen bekannt, ist er ein Wesen, das einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Er plündert, raubt, nimmt sich, was er begehrt, ohne Rücksicht auf Verluste. Er verfügt über eine Freiheit, die Frauen meist nicht zugestanden wird. Die Überlegung, das Wölfische auf das Weibliche zu übertragen, macht diese Werwolf-Show sehenswert.

Ursina Tossi: „Blue Moon“ weitere Vorstellungen bis 20.10., jew. 20.30, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten 15,- (erm. 9,-), T. 27 09 49 49