Hamburg. Regisseur Gil Mehmert über die Uraufführung „Heiß auf 2. Liga“ und den Reiz, Stücke rund um Fußball zu inszenieren.
Die Saison läuft – im Theater und im Fußball. Auf dem Rasen tritt der Hamburger SV erstmals in der Zweiten Liga an – und sonnt sich derzeit an der Tabellenspitze. „Heiß auf 2. Liga“ heißt auch das Stück, das sich rund um den Traditionsverein dreht, der früher Sitz und Stadion an der Rothenbaumchaussee hatte. Vor der Uraufführung am Montag gleich um die Ecke in den Hamburger Kammerspielen stellte sich Gil Mehmert den Fragen des Abendblatts. Der Regisseur, der in Hamburg auch schon das Musical „Das Wunder von Bern“ inszeniert hat, bezeichnet das zunächst als „Abstiegskomödie“ angekündigte Stück jetzt als „HSV-Komödie“. Nicht zuletzt ist es für ihn aber auch eine „Business-Komödie“.
Herr Mehmert, in Hamburg fragt man immer gern: HSV oder St. Pauli? Sie leben in Essen. Also: Rot-Weiss oder Schwarz-Weiß?
Gil Mehmert: Ich war sogar mal bei einem Spiel von Rot-Weiss, fand Schwarz-Weiß aber immer ein bisschen interessanter, doch der Verein ist sogar nur fünfte Liga. Ich bin eigentlich Gladbach-Fan, sozialisiert in den frühen 70er-Jahren auch durch meine großen Brüder. Da war man halt Günter-Netzer- und auch Borussia-Mönchengladbach-Fan.
Aufgrund Ihrer früheren Inszenierungen in der Stadt ist Hamburg für Sie ja kein Neuland, und nun sind Sie auch noch „Heiß auf 2. Liga“. Wie kam es dazu?
Mehmert: Das ist von Kammerspiele-Intendant Axel Schneider recht spontan initiiert worden. Zunächst waren da nur ein Titel und eine Idee. Zum Glück haben wir mit Jörg Menke-Peitzmeyer einen erfahrenen Autor aus dem Fußballbereich gefunden, der sich super reingehängt hat. Es gab ein paar Dinge, die ich auch noch einbringen konnte ...
Zum Beispiel?
Mehmert: Dass der Spieler, um den es eigentlich geht, der letztlich eine große Projektionsfläche ist, dass der doch am besten gar nicht auftritt. Über den wird ganz viel geredet, aber dafür muss er ja nicht auftreten. Das war mir wichtig. Und dass wir nicht in den typischen Locations landen: Eine VIP-Lounge in den Kammerspielen nachzubauen fand ich nicht so sexy. Stattdessen suchten wir einen Ort, der im weitesten Sinne etwas mit Fußball zu tun hat, aber erst mal unüblich ist. Das ist der Waschsalon geworden, und unser Mäzen ist Besitzer einer Waschsalonkette.
Das ist der zentrale Spielort?
Mehmert: Ja, wir haben noch ein paar andere Locations, die daraus entstehen. Und wir haben eine alte Waschfrau , die als Seele des Vereins gilt. Waschen, reinigen, immer wieder neu bügeln und immer wieder schmutzig machen, das ist ein Prozess, der als Metapher für dieses Geschäft passt.
Apropos. Fußball hat sich zum ganz großen Geschäft entwickelt. Viele Kritiker sagen, dem Fußball seien die Typen abhandengekommen. Aber Typen braucht man doch für ein Stück, das sich um Fußball dreht?
Mehmert: Typen haben wir, so glaube ich, genug auf der Bühne, vor allem in dem Mäzen. Aber bei der diesjährigen Weltmeisterschaft hat man ja gesehen, es dreht sich wieder der Wind: Wenn man mit dem Rücken an der Wand steht, muss es doch jemanden geben, der sein Herz in die Hand nimmt. Deswegen ist Charakter nicht nur im Fußball, sondern in der Gesellschaft gefragt, Und Typen erwartet man ja erst mal bei den Trainern.
Wie sehr sind Sie als Regisseur denn auch Trainer?
Mehmert: Fußballtrainer, Orchesterdirigent und Regisseur – das ist ungefähr das Gleiche. Mit anderen Schwerpunkten, aber psychologisch sind das sehr ähnliche Dinge, die interessanterweise auch wegen der #MeToo-Debatte sehr diskutiert werden. Als ich anfing als junger Regisseur, ging es bei den Altvorderen sehr um das Mittel des Schreiens bis hin zum Psychokrieg, da war alles drin. Und selbst wenn man versucht, als Waldorflehrer aufzutreten und pädagogischer zu wirken, gibt es leider Leute, die Widerstand auch wollen oder sogar brauchen, habe ich gemerkt. Ich bevorzuge so weit möglich die sanfte Pädagogik, man muss die Sache im Griff haben. Und mit dieser kleinen Mannschaft von vier Schauspielern – einer spielt ja gleich drei Rollen –, die wir hier für „Heiß auf 2. Liga“ aufgestellt haben, geht es bisher recht harmonisch zu.
Was reizt Sie generell, Stücke zu inszenieren, die sich um Fußball drehen?
Mehmert: Ich suche den Fußball nicht, aber ich freue mich, wenn ich ihn finde. Im Fußball sind die Dramen und Tragödien, auch die Tragikomödie als Parallelgesellschaft intensiv vorhanden: durch die Spieltage, die Spiele, und weil es final immer auch so heiß gekocht wird. Da sind wir in der Dramaturgie nicht weit weg vom Theater.
Intendant Axel Schneider hat „Heiß auf 2. Liga“ auch ein „Stück über das Leben und die Moral“ genannt.
Mehmert: Es geht darum, was alles schiefgehen kann und wie man reingeht in Verhandlungen und wie sich Geschäftliches und Persönliches sowie Sympathien mischen können. Das alles wird aufgehängt an einem Transfergeschäft. Das ist ja genau die Situation wie beim HSV oft von außen hineingebracht. Da ist durch den Mäzen mit einer gut gemeinten Großzügigkeit letztlich doch immer wieder Unruhe ins System gekommen.
Sie lesen offenbar regelmäßig die Sport-Fachpresse ...?
Mehmert: Auf meiner Nachrichten-Webseite gucke ich immer erst auf den Sportteil, erst danach ins Feuilleton. Ich wundere mich über mich selbst, aber ich verfolge den Sport sehr genau und kann davon nicht lassen, obwohl ich durch „Das Wunder von Bern“ so tief in die WM 1954 eingetaucht bin. Das war so eine tolle Zeit, dass ich danach auch erst mal genug hatte. Gut, bei meinem Heimatverein will ich dann doch, dass er gewinnt. Aber vieles stößt mich ab. Das habe ich auch durch dieses Stück noch mal erfahren mit den Hintergründen bei Vertragsgeschäften; das ist schon widerlich, wie viele Leute partizipieren auf Funktionärsebene.
HSV-Fans als Zuschauer brauchen also eine gewisse Distanz?
Mehmert: Wir mussten ja auch die Schauspieler kriegen und haben einigen das Stück geschickt. Die HSV-Fans haben schon speziell reagiert. Natürlich funktioniert eine Komödie so, dass man ein System infrage stellt und auch Witze macht, zwangsweise auch über den Verein. Insofern war es sehr interessant, wie sensibel die HSV-Fans reagiert haben – ein bisschen Selbstironie braucht man schon für „Heiß auf 2. Liga“.
Und was wäre Ihnen im nächsten Jahr lieber: ein Spiel HSV – Mönchengladbach in der Ersten Liga oder FC St.Pauli – Mönchengladbach?
Mehmert: Erst mal kein Spiel HSV – Mönchengladbach in der Zweiten Liga. Ich finde St. Pauli auch toll, der Verein ist einfach sexy. Ich glaube aber, dass St. Pauli von seiner Energie her besser in die Zweite Liga passt, in der Ersten Liga werden die Werte und das System wieder infrage gestellt. Bevor St. Pauli sich korrumpieren lässt in seinen Vorstellungen und sich auf die Erste Liga einstellt, ist es mir lieber, der Club bleibt das Herz der Zweiten Liga. Dann kann der HSV das Viereck in der Ersten Liga sein.
„Heiß auf 2. Liga“ Uraufführung Mo 24.9., 20.00, bis 17.11., Hamburger Kammerspiele (U Hallerstraße), Hartungstraße 9–11, Karten zu 18,- bis 43,- in der HA-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, T. 30 30 98 98; www.hamburger-kammerspiele.de