Hamburg. Dem Open-Air-Konzert der Hamburger Philharmoniker in der Innenstadt folgen vier Spezial-Konzerte im Rathaus.

Sommerzeit – und das Leben ist easy auf dem Rathausmarkt: Routinierte Touristenführer führen staunende Touristen herum. Andere Touristen stehen fast direkt vor dem Hamburger Rathaus und fragen amüsierte Hamburger, wie man denn wohl von hier aus am besten zum Hamburger Rathaus kommt. Und dann ist da aber noch diese riesige Bühne, ­unübersehbar mitten auf dem nicht gerade kleinen Rathausmarkt.

Am frühen Mittwochmorgen wurde dort alles angeliefert, was man als gut eingespielte Bühnenbauer-Truppe so braucht für die Installation eines ebenso amtlichen wie klassischen Open-Air-Konzerts. Acht Lkw-Ladungen waren es, berichtet Produktionsleiter Martin Wessel. Die Bühne, 17 Meter breit und 13 Meter tief, ist ein Zwilling der Bühne bei den Stadtpark-Konzerten, auf ihr werden an diesem Wochenende etwa 90 Orchestermusiker, ein Dirigent, insgesamt drei Solisten und eine größere Menge Musik Platz finden. Dazu kommen zwei Lautsprecher-„Bananen“, die über der Bühne landeten, zwei große Lautsprechertürme, die den hinteren Bereich des Platzes beschallen sollen.

Großer Bahnhof und dezente Kritik

Acht Zelte werden im Bühnenumfeld eingerichtet, alles in allem: Catering, Garderobe, Künstler-, Lager- und Regie-zelte. Ziemlich großer Bahnhof für ein reichlich außergewöhnliches Musikereignis. Insgesamt waren rund 100 Menschen mit der Vorbereitung ­beschäftigt. Nur gut 150 Meter entfernt, von einer Plakatsäule am Großen Burstah, lächelt Generalmusik­direktor Kent Nagano (Foto) überlebensgroß und verrät den Grund: „Dieses Konzert ist ein Geschenk an die Menschen in unserer Stadt.“

Kent Nagano
Kent Nagano © Felix Broede

Die Ansage zwischen diesen Zitat-Zeilen ist klar. Das NDR-Orchester spielte im Juli 2016 einmal draußen, aber nicht umsonst in der HafenCity in Sichtweite der Elbphilharmonie, wo es Residenzstatus hat. Die Symphoniker sind während der Sommerpause der anderen traditionell mit ihren Rathauskonzerten im Innenhof oder bei schlechtem Wetter im Börsensaal der Handelskammer, ebenfalls nicht für Gotteslohn. Die Philharmoniker, seit 1828 das Orchester der Stadt und inzwischen auch der Staatsoper, spendieren nun als Auftakt ihrer Spielzeit ein Gratis-Konzert vor dem Rathaus. Die Kosten dafür – rund 200.000 Euro tutto completo, von der Security über die Verpflegung bis zu den Solisten-honoraren – werden, für solche ­Anlässe ist sie schließlich gedacht, aus der Kultur- und Tourismustaxe bezahlt, berichtet Philharmoniker-Sprecher Hannes Rathjen.

Gespielt werden anspruchvolle Publikumslieblinge

Zentraler geht es nicht mehr in der gerade bunt aufblühenden ­Musikstadt Hamburg, demonstrativer wohl auch nicht. Der barocke Komponisten-Superstar Georg Philipp Telemann, in Notenwurfweite von der Bühne unter dem Rathaus begraben und als städtischer Musikdirektor einer von Naganos historischen Amtsvorgängern, kann zufrieden sein und das Rotieren wegen früherer kulturpolitischer Versäumnisse für einige Stunden einstellen.

Auf dem Programm stehen launige bis anspruchsvolle Publikumslieblinge: Es sind Rossinis „Guillaume Tell“-Ouvertüre, Rachmaninows ­Paganini-Rhapsodie, zwei Ungarische Tänze von Brahms, Bernsteins „Candide“-Ouvertüre und einiges aus der „West Side Story“, als Absacker Ravels „Boléro“. Die Zusammenstellung stammt von Nagano, der noch mit ­jedem seiner Orchester immer wieder die angestammte Spielstätte der ­jeweiligen Stadt verlässt. Die Idee für das Konzert ist ebenfalls von ihm.

2400 Stühle warten auf Besitzer

Jede seiner bisherigen Hamburger Spielzeiten begann mit einem „Philharmonische Akademie“-Extra, ­zunächst im Michel, dann im Planetarium und nun eben in der besten guten Stube im Herzen der Hansestadt, auf einer Fläche, die etwa so groß ist wie die Plaza der Elbphilharmonie. Da darf es schon mal etwas größer sein: Etwa 2400 Stühle warten darauf, an diesem Sonnabend um 18 Uhr, zwei Stunden vor Konzertbeginn, besetzt zu werden. Wer zuerst kommt, sitzt am besten. Dazu ist Richtung Bucerius Kunst Forum Platz für schätzungsweise rund 3000 weitere Zuhörer.

Neben der Bühne liefert eine 6 x 3 Meter große Videoleinwand das Bild zum Ton. Am Freitag um 19 Uhr ist die erste Probe angesetzt, für Sonnabend (10 Uhr) die Generalprobe. Für die Philharmoniker ist es das erste Freiluft-Konzert seit anderthalb Jahrzehnten: 2001 spielten sie erstmals, unter Leitung des damaligen Generalmusik­direktors Ingo Metzmacher, im Hof vom Museum der Arbeit. Auch damals lag Musik von Bernstein auf den Pulten, Fortsetzungen mit Operetten- und Filmmusik folgten in den nächsten Sommern.

Auftakt zu weiteren Konzerten

Im hinteren Bereich der Rathausmarkt-Spielfläche befindet sich das gastronomische Angebot und ein Werbestand für die Spielzeit-Aktivitäten der Philharmoniker. Hoffnungen auf größere Elbphilharmonie-Kartenkontingente oder Abonnements, die zur Feier des Tages überraschend in den Verkauf gehen würden, kann man ­allerdings getrost zu Hause lassen. Wer in den nächsten Monaten mehr von den Philharmonikern hören will, muss das im Opernhaus an der Dammtorstraße tun.

Das Freiluftkonzert ist aber auch Auftakt für eine umfangreiche Spezial-Bespielung des Rathaus-Inneren: Gleich vier Akademiekonzerte sind am Sonntag und Montag geplant. Das letzte, am Montagabend, wird Nagano dirigieren; er muss allerdings zwischen Rathausmarkt am Sonnabend und diesem Konzert noch die letzte von vier Vorstellungen von Henzes Oper „Die Bassariden“ bei den Salzburger Festspielen leiten. Man könnte eine Saison mit weniger Terminstress beginnen, doch so ist das nun mal in dieser Branche, die sich auch nach Flugplänen richtet. Die Philharmoniker jedenfalls wären jetzt so weit für ihren ersten großen Einsatz nach der Sommerpause. Jetzt muss nur noch das hiesige Wetter mitspielen.