Bald beginnt die Fußball-WM. Nie war die beliebteste Sportart so umstritten. Das schlägt sich auch in den Büchern zum Thema nieder.

Die Fans

Wer sein Buch „Alles aus Liebe. Eine Reise ins Herz des Fußballs“ betitelt, der tut gut daran, seine Reiseziele mit Bedacht zu wählen. Der Sportjournalist Alex Raack („11 Freunde“, „Spiegel Online“) hat das getan. Und zwar, indem er konsequent dorthin fuhr, wo der Fußball noch klein, arm, ursprünglich, wo der Fußball simpel statt hochgezüchtet ist. Raack besuchte ein Amateurspiel in Berlin und feuerte dort den Schiedsrichter an, er fuhr nach Bremerhaven, wo im DFB-Pokal für einen Tag der große Fußball zu Gast ist. Er fuhr nach Tschechien, um bei Nieselregen ein Zweitligaspiel zu sehen. Und er ging mit einem Bremer ins HSV-Museum, wo sich dann alle hervorragend verstanden. Das ist nach dem Geschmack des Nostalgikers Raack, der immer wieder die Hauptqualität des Fußballs lobt: Menschen zusammenzubringen. Menschen, die sich ohne ihr gemeinsames Interesse nie kennengelernt hätten. Manche von ihnen hat der Fußball erst zu Außenseitern gemacht und später gerettet. Oder umgekehrt.

Dabei ist dies hier zuallererst auch ein Zeugnis einer großen Fußballmüdigkeit, das den großen Ausverkauf des Volkssports beklagt und die Ware Fußball verdammt. Auf der Suche nach der verlorenen Seele des Fußballs trifft Raack eigentlich ausschließlich auf Menschen, die vom großen Reibach abgestoßen und ihrer einstigen Liebe mehr oder weniger entfremdet sind. Bei Raack, dem erklärten Werderfan, mag uneingestanden freilich auch eine Rolle spielen, dass sein Herzensclub seit Längerem schon eine sportliche Talfahrt hinlegt. Sein sehr persönlicher Text, der das Pathos nicht scheut, ist ein weiterer Weckruf für Fußballfunktionäre. Die kommerzielle Ausschlachtung des „Produkts“ Fußball provoziert, siehe die Aktionen der Ultras in den Stadien, Gegenwehr – und Abwendung. Angesichts vieler ausverkaufter Stadien mag mancher nicht einsehen, dass etwas foul ist im Staate Fußball. Aber es bleibt viel Liebe im Spiel, und davon erzählt dieses Buch.

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Die Verbrecher

Als Fußballfan lebt man notgedrungen in Paralleluniversen. Man feuert seinen Verein an, leidet, jubelt. Man schaut auch das Champions-League-Finale und natürlich die WM. Aber darf man das überhaupt?

Ist das Ende der Aushaltbarkeit aller Widersprüche nicht längst erreicht? Hat man diesen schmalen Suhrkamp-Titel durch, ist man überaus geneigt zu sagen: Ja. „Das wunde Leder“ ist das denkbar größte Spielverderberbuch, ein umfängliches Sündenregister, das die Skandale, die Gesetzmäßigkeiten und die Zusammenhänge rekapituliert. Mehr noch als eine bloße Zusammenschau ist dies hier ein Pamphlet, aufgeschrieben mit der Wut und dem Furor derjenigen, die den Fußball fast schon verloren wähnen.

Dabei ist das, was die Literaturexperten und Hochschulprofessoren Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer zusammentragen, überhaupt nicht neu. Dass der Sport eine riesige Kommerzmaschine geworden ist, dass er von zwielichtigen Agenten der Gier und der Lügen ausgebeutet wird, dass die Fifa mafiöse Strukturen aufweist – all das wissen wir längst. Die Macht des Weltverbandes – die Autoren sprechen von „Fußballfeudalismus“ – bröckelt auch nach dem Blatter-Ende nicht, und wie sollte es auch anders sein: Das Geschäft, das mit dem Fußball zu machen ist, ist einfach zu gut. Gigantische TV-Gelder, Transferspirale, privatisierte Gewinne, auf die Gesellschaft umgelegte Verluste: Unmoral und Zasteritis regieren im Fußball mehr noch als anderswo.

Aber warum sollte die Welt ausgerechnet beim Fußball schöner, gerechter, klüger sein? Etwas hilflos fragen die Autoren implizit auf jeder Seite, warum das „Wir“ der Fußballfans sich das denn alles gefallen lässt. Die Antwort gefällt sicher nicht jedem: Weil Fußball, auch wenn er kontaminiert ist, immer noch das tollste Spiel der Welt ist, ist es unendlich viel schwerer, dem Boykottaufruf der Autoren zu folgen als doch wieder einzuschalten.

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Arg vs. Bra

So überholt wie die letzte Fußballweltmeisterschaft: Nichts ist altmodischer, als sich über eine Fußball-WM in Briefform auszutauschen. Karl Ove Knausgård, der norwegische Bestsellerautor, und sein schwedischer Schriftstellerkollege Fredrik Ekelund haben genau das 2014 getan. Ekelund befand sich in Brasilien, Knausgård zu Hause in Schweden. Natürlich schreibt er auch in den Mails an Ekelund vom Familienleben (wie in seiner aufsehenerregenden Ego-Saga „Min kamp“), während Ekelund von seinen mondäneren Erlebnissen vor Ort berichtet. Weil beide Künstler sind, tauschen sie sich auch über Literatur, Gesellschaft und Politik aus. Vor allem aber kommentieren sie die Spiele und Geschehnisse des Turniers, wobei der kluge Knausgård zunächst einmal an eine frühere Weltmeisterschaft denkt, die von 2006, und wie er damals die Abendspiele sah, jedes einzelne: „Es war ein perfekter Sommer, so wie alle Sommer mit einer Fußballweltmeisterschaft perfekt sind.“

Die philosophische Sicht der beiden Skandinavier auf die einfache Sache Fußball, die so gerne überhöht wird, ist immer interessant. Fußballstrategien sind Weltanschauungen, mindestens. Und der Fußball nicht immer fair: Laut Ekelund gibt es zwei Geschichten der Weltmeisterschaft, die objektive – sie ist durch Statistik und Resultate verbrieft. Und „die fußballerische parallele WM-Wahrheit“, nach der zum Beispiel Holland und Ungarn jeweils Weltmeister sein müssten und es aber nur im Konjunktiv sind. Deutschland, so Ekelund, sei „ziemlich gut im Indikativfußball“.

Ekelund ist erklärter Brasilien-Fan, Knausgård („Ich bin Protestant bis in die Knochen [...] Brasilien, das ist nichts für mich“) hält zu Argentinien. Das ist der Dualismus, der ihre Korrespondenz durchzieht. Den deutschen Fußball sehen sie wie so viele kritisch. Was okay ist, denn so ist Fußball: Jeder hat seine Favoriten und Abneigungen. Zwei Bälle Abzug gibt es dennoch.

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Ein "Hausbuch"

Im Namensregister stehen neben Christian Wörns und Andreas Möller auch Thomas Brussig, Goethe und Kafka. Außerdem Karl Jaspers, Abba, Udo Jürgens und Marianne Rosenberg. Literatur, Philosophie, Pop, Schlager? Klare Sache: Dieses Buch stammt aus der Autorenwerkstatt Rainer Moritz.

Der ist im Hauptberuf Chef des Hamburger Literaturhauses und pflegt sowohl mit seinen Büchern als auch mit Veranstaltungen seine Leidenschaften. Im WM-Jahr ist deren erste ausnahmsweise nicht der Schlager, sondern Fußball. Als „Hausbuch des deutschen Fußballs“ will Moritz seine neue dem größten Sport der Welt gewidmete Publikation verstanden wissen. Und da gehen wir mit, denn „Als der Ball noch rund war“ ist die nahezu perfekte Sammlung der bekanntesten Anekdoten und Histörchen, die durch den launigen Moritz-Filter den ein oder anderen neuen Drall bekommen.

Moritz hat die Gabe, unterhaltsam zu sein, ohne ins Banale abzugleiten. Das ist besonders beim Thema Fußball nicht unwichtig. Man begegnet hier dem Wembley-Tor, dem Mythos von 1954 („Das Wunder von Bern, Sie wissen schon“), dem Pfostenbruch von Mönchengladbach, die Selbsteinwechslung von Netzer und den VfR Heilbronn, dem Verein aus der Heimatstadt des Autors. „Als der Ball noch rund war“ ist ein persönliches Buch, das den Fußball und seine kuriosesten, wunderbarsten und furchtbarsten Momente streift, und was Letzteres angeht, verheimlicht Moritz seine Abneigung nicht. Auch er fühlt sich abgestoßen vom Kommerz – und überdies den Kommentaren und Salbadereien alter Helden, heißen sie nun Berti Vogts oder Rudi Völler.

Wie alle klugen Männer schaut Moritz in tristen Momenten die großen Fußballspiele noch mal, und er zitiert Christoph Biermann: „Fußball leert den Kopf. Radikal und komplett. (...) Nur im Fußball gehe ich verloren.“ Hat hier tatsächlich jemand gesagt, dass Fußball wie Sex sei?

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Das Spiel der Nerds

Fußball ist auch deswegen eine faszinierende Sportart, weil längst nicht immer die bessere Mannschaft gewinnt. Und Fußball ist die Sportart, für die einst der Satz „Die Tabelle lügt nicht“ erfunden wurde. Das ist ein Satz, der gar nicht wahr ist. Das Fußballspiel ist längst entschlüsselt, es gibt Statistiken, die das Geschehen aus dem Feld sezieren. Wer braucht wie viele Chancen, um ein Tor zu erzielen? Von welchen Positionen auf dem Rasen trifft man am ehesten? Wer kommt wie oft in eine solche Position? All das lässt sich berechnen, und daraus ergeben sich Wahrscheinlichkeiten für den Ausgang von Spielen. Und dennoch stehen bisweilen Mannschaften viel höher in der Tabelle – weil keine Statistik misst, dass der Faktor Glück (oder Pech) eben auch eine Rolle spielt.

Der passionierte Fußballtheoretiker Christoph Biermann, gleichzeitig einer der profiliertesten Sportjournalisten des Landes („11 Freunde“), beschäftigt sich in seinem neuen Buch „Matchplan“ mit dem Zahlenfetisch des Fußballs, auch er eine Folge der digitalen Revolution. Wenn man wieder einmal bedenkt, dass Fußball und Geld heute mehr denn je zusammengehören, dann verwundert nicht, dass etwa die Geschichte des Matthew Benham so gut in diese Zeit passt wie keine andere. Den ehemaligen Derivatehändler nennt Biermann einen „Ingenieur der Wahrscheinlichkeiten“.

Benham baute sich in England eine Art Wettfabrik auf, in der er auf Fußballspiele in der ganzen Welt wettete und damit reich wurde. Er erforschte die Spiele und wettete mithilfe mathematischer Modelle. Er beschaffte sich all die Fakten, die modern arbeitende Fußballclubs heute auch haben. Zum Beispiel der FC Midtjylland aus Dänemark, der früher als andere Vereine anfing, mit Fakten zu arbeiten. Auch ihn besuchte Biermann auf der Reise durch die schöne, neue Fußballwelt. Die Entzauberung des Spiels? Vielleicht. Der Fußball wird insgesamt immer transparenter und besser, aber ein wenig Anarchie bleibt.