Hamburg. Kent Nagano dirigierte die Philharmoniker in der Elbphilharmonie, die Autorin stellte einen eigenen “Rosamunde“-Text vor.
Um einen Ur-Wiener- Komponisten, also eine klassische Landratte, für eine Geschichte zu Musik in Küstennähe und im Windschatten Störtebekers auf die offene See zu transferieren, hilft nur viel Fantasie. Generalmusikdirektor Kent Nagano holte für diese Aufgabe die Autorin Ulla Hahn mit ins Philharmoniker-Boot; die gestrige Uraufführung ihres neuen Texts zu Schuberts „Rosamunde“-Schauspielmusik im Großen Saal der Elbphilharmonie war ein sympathischer Versuch der Ehrenrettung für ein Stück Schubert, das schön ist, aber nicht sein stärkstes.
Vom unrettbar verkorksten Schauspiel-Original aus dem frühen 19. Jahrhundert übernahm sie nur den Namen der Titelheldin, für das Traumschiff ihrer Kurznovelle gerade richtig, die sich zwischen den Musikepisoden abspielte. Dramaturgisch gelungen: die Idee, von der „Rosamunde“-Ouvertüre – die ja eigentlich für das ebenfalls gefloppte „Zauberharfe“-Melodram gedacht war – nur die Einleitung zu nehmen, als Klangvorhang, der sich hebt.
Etwas märchentantelnd war die Neuerzählung allerdings hin und wieder auch: Hahn saß am Bühnenrand an ihrem Lesungstisch, vor sich einige Kinder auf bunten Kissen, die niedlich gereimtes Ungereimtes über Kater Karli, rappend, und Pappa Regenwurm, steppend, von sich gaben, denn: „Alles ist möglich/Wunderwelt.“
Wenn schon Lokal, dann auch Patriotismus, war die Devise
Schubert, vom Schicksal gebeutelt, war für Hahn vor allem „der kleine müde Mann“, der, vom Steirischen Silcher berauscht, durch die „Brandung der Träume mitgerissen“ wird, elbwärts, zur „großen stolzen Stadt am Strom“. Pünktlich dort anlandend zur gefeierten Heimkehr von Störtebeker, bei der Hamburgs Kanonen, so viel musikgeografisch verrutschter Schmäh darf offenbar sein, Mozartkugeln in die jauchzende Menge schießen. Wenn schon Lokal, dann auch Patriotismus, das war hier Hahns Devise und Kurs, der wurde stramm beibehalten.
Franzls Musik, die schöne und von Herzen kommende, versöhnt, verbrüdert und verschwestert anschließend alles und alle; auf dem Weg ins Finale wurden noch einige Erwähnungen der bekanntesten Schubert-Lieder in den Zwischentext drapiert, bevor der kleine müde Träumer Franz S. am 19. November 1828 spätnachmittags im Himmel ankommt, wo Mozart „auf weißem Ross mit Klarinette“ für ihn „wirbelt eine Pirouette“. Die Lyrikerin, die Hahn ja auch ist, hat wohl viel Vergnügen mit ihren Endreim-Steilvorlagen gehabt.
Nicht ganz bei der Sache
So weit dieser Text, so nett das Ergebnis. Dass Hahn bei ihrer Lesungs-Premiere in der Elbphilharmonie einen Spitzenplatz hatte, wurde ihr nach dem Schlussakkord bewusst. Sie reagierte, gut hörbar, mit einem staunenden „Wow ...“ auf den philharmonischen Schubert in nächster Nähe. Nach dem gemeinsamen Debakel in der „Fidelio“-Premiere hatten sich Orchester und Chefdirigent wieder gefangen und verwandten nun große Mühen darauf, ihrem Qualitäts-Selbstverständnis gerechter zu werden als vor einer Woche in der Staatsoper. Doch so ganz bei der Sache waren sie zunächst nicht.
Hier hakte und flirrte es in der Einheitlichkeit der Streicher beim Aussingen von Schuberts nur scheinbar einfachen Melodien. Da rutschen immer wieder einzelne Holzbläser aus der fein abzuwiegenden Balance des Stimmengeflechts. Dort schaffte es Nagano nur bedingt, die „Rosamunde“-Musik, die nun ausdrücklich am und auf dem Wasser spielen sollte, auch tatsächlich im Fluss zu halten.
Musiker und Stück hatten zueinander gefunden
Die „Große“ C-Dur-Sinfonie erst war herausfordernd und substanzvoll genug, um dem Phänomen Schubert gerecht werden zu müssen. Je tiefer und bohrender Nagano in das Stück vordrang, desto geschmeidiger verwandelte sich der Orchesterklang in ein Nachdenken über Sehnen und Drängen.
In den tänzelnden Passagen des zweiten Satzes ließ Nagano erahnen, worauf Mahler mit seinen sarkastischen Szenarien Jahrzehnte später seine Trümmerlandschaften aufbauen sollte; im dritten Satz schließlich hatten Musiker und Stück zueinandergefunden, dort fügte sich Schuberts tragische Zerrissenheit mit dem Aufbäumen hinein ins Heroische zu einem reifen Gesamteindruck, der überzeugen konnte. Nun, leider erst dort, kam diese Musik nicht mehr so kleinteilig und halbaufmerksam daher, wie es zu Beginn dieses speziellen Schubert-Programms der Fall war.
Das Konzert wird heute, 20 Uhr, wiederholt, evtl. Restkarten an der Abendkasse