Hamburg/Berlin. Mit „Am Königsweg“ und der Gaußstraßen-Inszenierung „Odyssee“ sind Schauspielhaus und Thalia nach Berlin geladen.

Das Hauptkriterium lässt der Jury größtmöglichen Spielraum. Vor allem „bemerkenswert“ nämlich sollen sie sein, all jene Inszenierungen, die zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen werden, und das ist zumindest offen für Interpretation. Es kann natürlich schlicht „das Beste“ ­gemeint sein – und als Kartenverkaufs­argument taugt die Auswahlliste ohnehin, vergleichbar mit dem Bestseller-Aufkleber, der Romancover auf Buch­tischen schmückt.

Im Fall der Inszenierungs-Top-Ten, die sieben Theaterkritiker aus mehreren Hundert Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auswählen, wird zusätzlich der Lokalpatriotismus gekitzelt – und hier kann die Theaterstadt Hamburg in diesem Jahr durchaus zufrieden sein. Gleich zwei Hamburger Produktionen sind zum Theatertreffen der Berliner Festspiele eingeladen, gerecht verteilt auf die beiden großen Sprechbühnen. Zum ersten Mal mit einer Thalia-Arbeit dabei ist der Regisseur Antú Romero Nunes, ein regelmäßiger Gast am Alstertor, dessen „Odyssee – eine Irrfahrt nach Homer“ im Mai allerdings in der Gaußstraße Premiere feierte. Ebenfalls ausgewählt wurde eine der relevantesten Schauspielhaus-Premieren der Saison: Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ in der Regie von Falk Richter. Die Uraufführung war am 28. Oktober.

Verschlucken beim lauten Lachen

Eine schrille Spiegelung der auch politisch ziemlich schrillen Gegenwart lieferte Richter da ab. White Trash in optischer Opulenz, Trump („Zwitscher, zwitscher, zwatscher!“) und Kermit, Rechtspopulismus und Superkapitalismus und eine Comedienne mit Migrationshintergrund, die dem Publikum die Wahrheiten derart lässig vor den Bug knallt, dass es sich am lauten Lachen schon mal heftig verschlucken kann.

Zwerchfellstimulierend wirkt auch die mit viel Slapstick und Komik angereicherte „Odyssee“, die Nunes mit nur zwei Schauspielern auf die Thalia-Zweitbühne brachte. Die Jury lobt ausdrücklich die „furiose Emanzipationsfantasie“ und die nur „scheinbar harmlosen Kleinkunstnummern“ von Thomas Niehaus und Paul Schröder. Dass der 35 Jahre junge Regisseur Nunes, dessen starke „Moby Dick“-Dramatisierung noch immer im Thalia-Repertoire steht, der einen fantastischen „Richard III.“ hinlegte und erst am vorvergangenen Wochenende mit Kleists „Michael Kohlhaas“ überzeugte, nun ausgerechnet mit diesem vergleichsweise kleinen Kammerspiel eingeladen wird, ist durchaus eine Überraschung.

Aber zugleich eine sehr verdiente Anerkennung seiner präzisen und lustvollen Arbeit – und übrigens auch der des Thalia Theaters, das in den vergangenen neun Jahren mit immerhin sieben Aufführungen in der Bestenliste stand. Eine zweite Nominierung für Jette Steckels Arbeit „Das achte Leben (Für Brilka)“ wäre denkbar gewesen, man hatte am Alstertor wohl auch ein bisschen damit gerechnet: „Wir nehmen es sportlich“, sagte Intendant Joachim Lux, der sich ansonsten hocherfreut über seinen Treffer zeigte.

Joachim Meyerhoff im Alleingang

Für das Schauspielhaus ist es nach „John Gabriel Borkman“ (2015), „Schiff der Träume“ und „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ (2016) die vierte Einladung zum Berliner Theatertreffen unter der Intendanz von Karin Beier. Beier allerdings dürfte sich auch über die Wahl von Frank Castorfs Volksbühnen-Inszenierung „Faust“ freuen, auf deren Nominierung vorab viele gewettet hatten. Castorf, Nicht-mehr-Intendant der Volksbühne, erarbeitet derzeit am Schauspielhaus die Produktion „Der haarige Affe“, die am 17. Februar Premiere feiern wird.

Auch Karin Henkel gehört (unter anderem mit „Rose Bernd“) zu den Stammregisseurinnen am Schauspielhaus. Sie ist – übrigens als eine von nur zwei Frauen – mit ihrer Zürcher Inszenierung „BEUTE FRAUEN KRIEG“ beim Theatertreffen dabei. Und Joachim Meyerhoff, in dieser Woche sowohl am Thalia (im Wiener Lessingtage-Gastspiel „Ein Volksfeind“) als auch am Schauspielhaus (als Shylock in Karin Beiers „Der Kaufmann von Venedig“) zu sehen, wird das Burgtheater mit dem furiosen Monolog „Die Welt im Rücken“ gewissermaßen im Alleingang vertreten. Die Inszenierung nach dem Roman von Thomas Melle (Regie: Jan Bosse) war bereits im Herbst auf Kampnagel beim Hamburger Theaterfestival zu Gast.

Überhaupt zeigt sich mit diesem TT-Jahrgang erneut, dass die großen Hamburger Bühnenfestivals als hervorragende Möglichkeit taugen, Spitzentheater zu sehen, ohne in ein Bahn­ticket investieren zu müssen. Erst vor wenigen Tagen, am Eröffnungswochenende der noch laufenden Lessingtage, gastierte Nina Hoss am Thalia mit Thomas Ostermeiers Dramatisierung der „Rückkehr nach Reims“. Ein zwar neun Jahre altes soziologisches Werk des Franzosen Didier Eribon, das sich in seiner Analyse der Linken und des europäischen Rechtsrucks allerdings als hellsichtiges Buch der Stunde erweist. Die Produktion ist, wohl auch deshalb, ebenfalls in Berlin dabei, wie auch „Woyzeck“ (Theater Basel) und „Nationaltheater Reinickendorf“ (Vegard Vinge und Ida Müller). Die Münchner Kammerspiele haben es mit „Trommeln in der Nacht“ (Regie: Christopher Rüping) und „Mittelreich“ (Anta Helena Recke) gleich zweimal auf die Liste geschafft.