Hamburg. Am Allee Theater hatte Puccinis “La Rondine“ Premiere, ein selten aufgeführtes Stück – glänzend inszeniert. Beispiel für Teamarbeit.
Unbekannte Werke von bekannten Komponisten: Mit dieser Programmidee will der neue Intendant Marius Adam das Profil des Allee Theaters schärfen und wieder mehr Besucher in die Hamburger Kammeroper locken. Als zweite Entdeckung der Saison präsentiert sein Haus jetzt bis Anfang Februar Giacomo Puccinis selten aufgeführten Dreiakter „La Rondine“ („Die Schwalbe“) – und beschert den Besuchern damit einen kurzweiligen Abend.
Regisseurin Ini Gerath, die auch die deutsche Textfassung erstellt hat, verlegt die lyrische Komödie über die Selbstfindung einer flatterhaften jungen Dame namens Magda in einen Pariser Modesalon. Magda und ihre Modelkollegen Lisette und Gobin proben dort für die aktuelle Schau des Stardesigners Rambaldo; sie tanzen und defilieren auf dem Laufsteg und umschwirren sich dabei so luftig und operettenleicht, wie es Puccinis Musik nahelegt.
Ironische Schärfe
Ursina Zürcher hat für dieses erste Bild einen Catwalk gebaut, der zentral aufs Publikum zuläuft, und Kleider aus einem weichen, himmelblauen Stoff geschneidert, der auch als Vorhang im hinteren Teil der Bühne zu Boden fließt.
Ist das die Farbe der Hoffnung? Der Stoff, aus dem die Träume sind? Für Magda eher nicht. Obwohl ihr der Trubel Spaß macht, sie vom Boss Rambaldo verehrt und mit kostbarem Schmuck beschenkt wird, fühlt sie eine innere Leere, eine Sehnsucht nach der Liebe, beziehungsweise dem Verliebtsein.
Und siehe da: Plötzlich taucht Roger im Salon auf, ein schmächtiges junges Bürschchen aus der Provinz, in braunem Cordsakko und großkarierten Hochwasserhosen. Wie er seinen treuen Hundeblick sofort an Magda heftet und gar nicht mehr losreißen kann, wie sie ihrerseits für den obligatorischen Wangenkuss zur Begrüßung einen bis zwei Ticks zu lange braucht: Das ist echt süß gespielt und zeigt, mit welcher Herzenswärme und Präzision die Sänger ihre Rollen ausfüllen.
Ini Gerath führt ihr siebenköpfiges Ensemble sorgfältig und fantasievoll. Sie inszeniert den Ausflug ins Pariser Nachtleben im zweiten Teil mit stilisierten Tanzgesten (Choreografie: Tim Koller) in einem Schattenreich aus Schwarz und Weiß und entlarvt die allzu heile Welt, die Roger im dritten Akt für sich und Magda beschwört, als Karikatur einer Spießeridylle: mit Balkonpflanzen, geblümtem Teeservice und symbiotischer Zweisamkeit. Kein Wunder, dass sich Magda, das junge Vögelchen, am Ende aus dieser Enge befreien und ihrem armen Roger das Herz brechen muss.
Indem Ini Gerath und Ursina Zürcher die Sehnsuchtsbilder charmant überzeichnen, verleihen sie dem süßlichen Stück einen Hauch ironischer Schärfe, der die Weltfluchtästhetik der Oper aufdeckt. Mit der 1914 begonnenen und 1917 uraufgeführten Herzschmerzstory verschließt Puccini beinahe demonstrativ die Augen vor der Realität des ersten Weltkriegs und taucht in eine walzerselige Klangsprache an der Grenze zum Edelkitsch ab.
Großes Opernkino im kleinen Theater
Ettore Prandi, der musikalische Leiter, hat die Partitur für das fünfköpfige Allee-Theater-Ensemble auf Kammerformat verschlankt und einige schöne Klangmischungen gefunden, etwa mit den Unisoni von Klarinette und Geige zu Beginn des dritten Teils. Die nicht immer perfekt getimte, aber beseelte Schwelgerei des Instrumentalquintetts im kleinen Orchestergraben ist die Basis für eine auch musikalisch runde Premiere. Alle Sängerinnen und Sänger, auch in den kleineren Partien, vom Tenor Richard Neugebauer als Prunier bis zur Lisette der wie immer überzeugenden Natascha Dwulecki, tragen ihren Teil zum stimmigen Gesamteindruck bei. Die melancholischen Abschiedsworte von Titus Witt als Rambaldo („Geh nur, meine kleine Schwalbe!“) und Luminita Andreis leuchtkräftiges, legatosattes Porträt der Hauptfigur Magda bleiben als eindringliche Momente in Erinnerung – auch wenn die rumänische Sopranistin Luminita Andrei, ebenso wie ihr hell timbrierter Tenorpartner, der Serbe Ljuban Zivanovic als Roger, mit den deutschen Vokalen etwas fremdelt.
Als musikalischer Höhepunkt ragt jedoch ein hinreißendes Ensemble im zweiten Akt heraus, in dem die Sänger, ausnahmsweise in italienischer Sprache, gemeinsam den Zauber der Liebe beschwören. Das ist großes Opernkino im kleinen Theater – und ein schönes Beispiel für den Geist von Teamwork, der die ganze Produktion auszeichnet.