Hamburg. Verkaufs-Hitparade der Bücher ist schon seit Langem Orientierungshilfe und Erfolgsgarant. Exakte Wahrheit erzählt sie nicht immer.

Auf nichts warten der Schriftsteller und die Schriftstellerin sehnsüchtiger als auf die wöchentliche Hitparade für literarische Gutverdiener. In ihrer Branche heißt sie „Bestsellerliste“, und man darf darauf wetten, dass besonders die Garanten und Dauergäste immer genau wissen, auf welchem Platz sie gerade stehen. Die Bestsellerliste ist auch für die Suters, Zehs und Fitzeks Beleg ihrer Popularität, Arbeitszeugnis und Hinweis auf den Kontostand – und für Verlage eine Richtlinie, wie viele Bücher sie denn drucken ­müssen. Aber wie entsteht die Bestsellerliste eigentlich? Zunächst einmal: Man kann gar nicht von der einen Liste sprechen, wobei die „Spiegel“-Bestseller durchaus die bekannteste Verkaufstabelle sind. Aber eben nicht die einzige: Es gibt auch noch die Bestsellerliste des „Börsenblatts“.

Ein aktueller Bestseller aus Hamburg

Ganz abgesehen von Bestsellerlisten, die theoretisch jede Buchhandlung individuell erstellen kann, und den Amazon-Bestsellern, die im Gegensatz zu den wöchentlich erscheinenden „Spiegel“- und „Börsenblatt“-Listen freilich täglich – und das mehrfach – aktualisiert werden. Extrem wettkampforientierte Autoren klicken deswegen häufig amazon.de. Eher für die Verlage und den Buchhandel bestimmt sind die Listen vom Branchendienst Buchmarkt und dem Logistikunternehmen Libri.

Grundlage aller Listen ist der Verkauf von Büchern – nicht zwingend deren Qualität. Mit dem Scannen des Barcodes an der Kasse wird jeder Kauf eines Titels gezählt. Dennoch arbeiten die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) – die Erstellerin der „Börsenblatt“-Liste – und Media Control – der Ersteller der „Spiegel“-Liste – mit Stichproben. Und weil die Datensammler dabei auf unterschiedliche Pools zurückgreifen, unterscheiden sich die Bestsellerlisten teilweise erheblich.

Unterschiedliche Verkaufsdaten

Anders als mitunter berichtet, beliefert Amazon jedoch nicht nur die GfK mit Zahlen, sondern auch Media Control. Dennoch arbeiten beide Anbieter mit unterschiedlichen Verkaufsdaten. Die „Spiegel“-Liste ist die beim Verbraucher weitaus bekanntere, und so sagt Thomas Wilking dann auch: „Der Begriff ,Spiegel-Bestseller‘ ist zu einem höchst wertvollen Prädikat für Bücher und Autoren geworden, welcher über die Buchbranche hinaus zu einem festen Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs geworden und nicht weiter erklärungsbedürftig ist.“

Listen sind ein Verstärker

Wilking ist Chefredakteur bei „Buchreport“; das Branchenblatt liefert auf Grundlage der Daten von Media Control die Bestsellerlisten an den „Spiegel“ – in den Kategorien Belletristik und Sachbücher, jeweils hinsichtlich der gebundenen Ausgaben und der Taschenbücher. Wilking behauptet, dass Media Control „über die mit Abstand breiteste Datenbasis“ verfüge, nämlich seine Tabelle auf Grundlage von mehr als 4200 Verkaufsstellen erstelle. Dies umfasst laut Wilking den Sortimentsbuchhandel, Onlineshops, Bahnhofsbuchhandel, Kauf- und Warenhäuser sowie Drogerieketten mit Medienangebot.

Dass es derzeit insgesamt noch mehr als 5000 Buchhandlungen gibt, mag die Unschärfe in den verschiedenen Bestsellerlisten verdeutlichen. Die sind im Grunde übrigens einst vor allem deswegen entstanden, weil Verlage und Barsortimenter eine Prognose haben wollten, wie viele Bücher ausgeliefert werden müssen. Darüber hinaus entdeckten Handel und Kunden den Nutzen der Auflistungen schnell für sich: Sie ordnen den Wust an Neuerscheinungen und geben Orientierung. Außerdem sind die Listen ein Verstärker: Wer auf ihr steht, ist sichtbar, und das ganz wörtlich, viele Buchhandlungen positionieren die Bestseller prominent.

Inszenierung des Kulturprodukts Buch

Für die Inszenierung des Kulturprodukts Buch ist die Bestsellerliste ein gutes Instrument – auch wenn es die größten Schätze oft abseits der Bestsellerlisten zu entdecken gibt. Die 20 Topbücher sind nur ein verschwindend geringer Teil (pro Jahr erscheinen 15.000 belletristische Titel auf Deutsch) des Angebots. Aber warum immer auf die Listen schauen oder in den Kulturteil der Zeitung, man könnte doch auch die Buchhändlerin fragen. Daniela Dobernigg etwa, die im Karolinenviertel Literatur verkauft und sagt: „Bestsellerlisten sind nie ein Verkaufsargument in unserem Laden, da sie keinen besonders guten Ruf genießen. Sie funktionieren ab und an beim Sachbuch. Unsere Kunden verlassen sich insgesamt lieber voll und ganz auf uns.“

Gut gebrüllt, sagt man da wohl; das Selbstvertrauen des Buchhändlers ist unerschütterlich. Das der Kritiker sowieso: Die Bestenlisten von ORF und SWR sind seit Langem als von Verkäufen losgelöste Orientierungshilfe eta­bliert. Hier geht es um Punkte, nicht um Euro – aber auch hier gibt es eine Tabelle mit drauf oder eben nicht drauf.