Hamburg. Autorin Tanja Kinkel eröffnet am heutigen Dienstag auf Kampnagel das 11. Hamburger Krimifestival. Der Reiz von Märchen.
Bereits mehr als sechseinhalb Millionen Bücher hat sie verkauft – historische Romane, Sachbücher, Jugendbücher, zeitgenössische Romane. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie mit 19 Jahren, heute zählt Tanja Kinkel, 1969 in Bamberg geboren, zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen. Morgen eröffnet sie mit ihrem aktuellen Historienkrimi „Grimms Morde“ (Droemer-Verlag) das 11. Hamburger Krimifestival auf Kampnagel. Hannelore Hoger liest Passagen aus dem Buch, das Quartett Salut Salon sorgt für den musikalischen Rahmen. Wir sprachen mit der Autorin.
In Ihrem Roman „Grimms Morde“ lassen Sie die Brüder Grimm und die Schwestern Annette und Jenny von Droste gemeinsam in einem Mordfall ermitteln. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Konstellation?
Tanja Kinkel: Es gab mehrere Auslöser. Die Grimm-Biografie von Steffen Martus rief mir wieder ins Gedächtnis, dass die Droste-Schwestern und die Grimms sich nicht nur kannten, sondern dass die beiden Schwestern mehrere Märchen zu der berühmten Sammlung beitrugen. Dazu kam, dass mich die Schilderung der Persönlichkeiten von Jacob und Wilhelm Grimm ein wenig an Sherlock Holmes und Dr. Watson erinnerte. Außerdem schrieb Annette von Droste-Hülshoff mit der „Judenbuche“ eine der frühesten Kriminalerzählungen in der deutschen Literatur. All das ergab in meiner Fantasie die Gleichung Grimm + Droste = Krimi.
Die Schwestern treten eine beschwerliche Reise aus dem Münsterland nach Kassel an, um kriminalistisch tätig zu werden. Sehr unkonventionell für die damalige Zeit, oder?
Tanja Kinkel: Ja und nein. Sie beachten insofern die Konventionen ihrer Zeit, als sie einen Onkel als männlichen Geleitschutz mitnehmen; von einer George Sand, die in Männerkleidung unterwegs war, sind wir da noch weit entfernt. Außerdem haben sie beide noch weitere Motive für die Reise: Jenny ist in Wilhelm Grimm verliebt, und Annette will eine zutiefst traumatische Erfahrung aus dem Vorjahr bewältigen. Trotzdem: Sie ergreifen die Initiative, und das entspricht in der Tat nicht dem weiblichen Rollenbild der Zeit.
Eine ehemalige Mätresse des Kurfürsten wird in Schloss Wilhelmshöhe ermordet, die Tat geschieht in Anlehnung an Motive eines Märchens. Reizt Sie der grausame Aspekt, der vielen Märchen innewohnt?
Tanja Kinkel: Die Grausamkeit der Märchen und das, was sie über unser Unterbewusstsein sagen: Ja.
Sie haben bereits sehr erfolgreich historische Romanen geschrieben. Was ist das Besondere für Sie an den Reisen in die Vergangenheit?
Tanja Kinkel: Es ist die Realität, aus der sich unsere Gegenwart entwickelt hat. Jede Epoche hat einzigartige Komponenten, doch jede bietet zudem sowohl Parallelen als auch aufschlussreiche Kontraste zur Gegenwart. Es ist diese Mischung aus Fremdem und Vertrautem, die historische Stoffe für mich so spannend macht.
Nun ist die Faktentreue bei historischen Romanen außerordentlich wichtig, Leser reagieren gerade in diesem Genre auf Ungenauigkeiten besonders empfindlich. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Tanja Kinkel: Romane sind keine Sachbücher, und meiner Erfahrung nach verstehen Leser das auch. Was heißt, dass die Interpretation einer historischen Persönlichkeit durchaus als subjektiv begriffen wird, nicht als Anspruch auf eine allgemein gültige alleinige Wahrheit. Die Ungenauigkeiten, die von Lesern tatsächlich übel genommen werden, betreffen eher Alltagsumstände. Wenn etwa vor der Entdeckung Amerikas jemand in Europa Kartoffeln isst, dann liegt ein gewaltiger Schnitzer vor, der jederzeit vermeidbar gewesen wäre.
Was ist bei Ihnen eigentlich zuerst da – das historische Faktum, das Sie fasziniert, oder der fiktive Plot einer Geschichte?
Tanja Kinkel: Ersteres, selbst wenn meine Hauptfigur nicht historisch ist, sondern erfunden, so wie in meinem Roman „Die Puppenspieler“.
Und was ist Ihnen wichtiger – die Historie oder die Story?
Tanja Kinkel: Wenn mein Interesse allein der Historie gälte, schriebe ich Sachbücher. Aber selbst wenn ich mir romanhafte Spekulationen gestatte, versuche ich doch, diese im Rahmen der Wahrscheinlichkeit zu halten, genau wie die Gesamtstory. Im Fall von „Grimms Morde“ heißt das: Über zwei tatsächliche mysteriöse Todesfälle in diesem Umfeld gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, daher ist die von mir beschriebene Krimihandlung erfunden, aber die Motivation für den Mord, der gleich zu Beginn des Romans steht, musste aus realen Umständen der Zeit erwachsen, das war meine Forderung an mich selbst.
Worin besteht die größte Schwierigkeit bei einer historischen Recherche? Vermutlich gibt es eine Vielzahl sich widersprechender Quellen.
Tanja Kinkel: Immer und in jeder Epoche. Schließlich schrieben die Chronisten in der Regel für bestimmte Auftraggeber und spiegelten in ihren Einschätzungen deren Interessen wieder. Als Romanautorin habe ich die Freiheit, nicht ständig eine Fußnote mit der Warnung „es könnte so, aber auch anders gewesen sein“ hinzufügen zu müssen, sondern mich für eine Interpretation entscheiden zu können.
Können Sie sich eigentlich vorstellen, sich einmal ganz vom Genre des historischen Romans zu verabschieden, um sich in Ihren Büchern ausschließlich der Gegenwart zu widmen?
Tanja Kinkel: Nein. Zwar werde ich auch immer wieder Gegenwartsromane schreiben. Aber als Autorin die Freiheit zu besitzen, sich kreuz und quer durch alle Epochen bewegen zu können, ist mir für meine Kreativität sehr wichtig.
Karten und Tipps
Eröffnung mit Tanja Kinkel: Di 7.11., 19.30, Lesung: Hannelore Hoger, Moderation: Heide Soltau, Musik: Salut Salon, Eintritt 20,50/18,50 Euro
Schweden-Power: Bestsellerautorin Kristina Ohlsson („Schwesterherz“) ist gemeinsam mit Joakim Zander („Der Freund“) am Do 9.11., 20.30 Uhr, Gast des Krimifestivals. Sandra Quadflieg liest die deutschen Passagen, Jens Büchsenmann moderiert. Eintritt 16,50/14,50 Euro
Deutsches Doppel: Oliver Bottini und Jan Seghers zählen zu den besten deutschsprachigen Krimiautoren. Seghers’ Kommissar-Marthaler-Romane sind vom ZDF verfilmt worden, Bottinis Krimis mit Kommissarin Louise Boní von der ARD. Die Autoren lesen am Do 9.11., 20.30 Uhr, Eintritt 16,50 Euro.
Südtiroler Dramen: Luca D’Andrea und Lenz Koppelstätter sind eine Entdeckung. D’Andreas „Der Tod so kalt“ ist ein dramatischer Thriller mit eindringlichen Bildern, Koppelstätters „Nachts am Brenner“ erzählt von einer Familientragödie. Do 9.11., 20.30 Uhr, Schauspieler Tim Grobe liest die deutschen Passagen. Eintritt 14,50 Euro
Live-Hörspiel: TKKG kennt jedes Kind – und fast jeder Erwachsene. „Diebstahl 2.0“ heißt ihr neues Kriminal-Hörspiel, das das Quartett mit Geräuschemacher Jörg Klinkenberg am Sa 11.11., 16 Uhr, als Uraufführung zeigt. Eintritt 20,50 (Erw.) und 10,50 (Kinder) Euro
11. Hamburger Krimifestival 7. bis 11. November, Kampnagel, Karten in allen Heymann-Buchhandlungen, in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, und unter Tel. 040/ 30 30 98 98; Infos zum weiteren Programm gibt es online unter www.krimifestival-hamburg.de