Hamburg. Witzige Story, tolle Musik, gute Sänger: „La Gazzetta“ im Allee Theater ist ein unterhaltsamer Opernabend.

Die Menschen wollten schon immer nur das eine: Liebe. Und wenn sie’s nicht so recht bekommen können, treten Ersatzdrogen auf den Plan: Essen, Trinken, Geld, Macht und heute vor allem das Internet. Liebe kann man dort suchen und finden, per Facebook, Twitter, WhatsApp, Parship, Dating-Apps und mehr. Das Hamburger Allee Theater suchte sich schon immer seine Neuproduktionen auch nach Aktualitätstauglichkeit aus. Diesmal landete es mit der ziemlich unbekannten, aber lohnenden Rossini-Oper „La Gazzetta“ von 1816 einen Volltreffer.

Die quirlige Komödie basiert auf einem Theaterstück von Carlo Coldoni „Il matrimonio per concorso“ (Heirat als Wettbewerb). Damals gab ein gewisser Neapolitaner namens Don Pomponio eine Zeitungsanzeige auf, um seine Tochter Lisetta in Paris lukrativ zu verheiraten. Heute wird die Offerte natürlich im Netz gepostet, in der App „La Gazzetta“. Alle hantieren und kommunizieren in der Inszenierung von Alfonso Romero Moro permanent mit ihren Smartphones und Tablets.

Turbulente Verwechslungen

Der Showdown steigt in einem Pariser Hotel, wo das „Anzeigen-Objekt“ Lisetta präsentiert werden soll. Der Schönling Alberto (Gheorghe Vlad) sucht die schönste Frau der Welt, verliebt sich aber in Doralice – und sie sich in ihn – , sie taucht mit ihrem Vater Signor Anselmo (Titus Witt) auf. Der kriegt aber nicht viel mit. Aktienkurse spuken in seinem Kopf herum, und er hat seine Tochter längst einem reichen Geschäftspartner versprochen, in der Hoffnung sich finanziell zu sanieren.

Kompliziert wird die Sache, weil Doralice (Natascha Dwulecki) da nicht mitspielt, außerdem haben sich der smarte Hotelwirt Philipe (Robert Elibay-Hartog) und Lisetta schon heimlich das Jawort gegeben. Die Väter stellen sich aber finanzkräftigere Schwiegersöhne vor. Zwischendrin zieht Touristenführerin Madame La Rose (Feline Knabe) noch kupplerisch die Fäden. Die verliebten Männer müssen für ihre standesgemäße Heirat historische Stammbäume erfinden, die Heiratsanwärterinnen ihre Väter austricksen. Das führt zu turbulenten Verwechslungen und Missverständnissen, Höhepunkt ist ein Maskenball in antiken griechischen Gewändern.

Hörenswerte Ensembleleistung

Regisseur Alfonso Romero Moro nutzt die winzige Bühne des Allee Theaters geschickt. Für Paris steht eine Attrappe von Rodins „Le Penseur“, der am Bühnenrand sitzt und „denkend“ in sein Smartphone guckt. Die Hotellobby (Bühne/Kostüme: Lisa Überbacher) sieht man hinter einem durchsichtigen und unterschiedlich bunt beleuchteten, oft auch gelüfteten Gazevorhang. Es wird davor und dahinter turbulent szenisch agiert. Meist in der Lobby, aber auch in zwei Hotelzimmern, die nur durch eine mobile Wand in der Bühnenmitte angedeutet werden. Vater und Tochter geigen sich da von Zimmer zu Zimmer per Handy gehörig musikalisch die Meinung. Und wenn Lisetta und Hotelwirt Philippe ihre Missverständnisse geklärt haben, wird die kochende Leidenschaft mit einem heftigen Stelldichein in der Besenkammer gefeiert.

Vor allem aber wird reichlich parliert. Barbara Hass hat den italienischen Text zeitgemäß übersetzt. Und parliert wird noch mehr in Rossinis Musik, die ja berühmt ist für ihren unglaublich schnell und deshalb auch nicht leicht zu singenden „Parlando-Stil“. Sängerisch kann sich das Allee Theater mehr als nur sehen lassen, eine hörenswerte Ensembleleistung! Alle brillierten mit toller Textverständlichkeit. Dann jagt hier ein Quintett das nächste, gefolgt von Quartetten, Terzetten und Duetten. Rossini war ja ein Meister der Opern-Ensembles, jede Figur versorgt er in dem Handlungswirrwarr musikalisch immer mit einem eigenen Charakter.

Unglaublich spritzig

Arien gibt es in „La Gazzetta“ wenige. Hier empfahlen sich besonders Marius Adam als Pomponio mit seinem warm-timbrierten Bariton und seiner ebenso charmanten wie immer wieder ins Pikiert-Affektierte tendierenden Schauspielkunst, genau richtig für die Rolle. Stimmlich herausragend und darstellerisch unglaublich spritzig war Luminata Andrei als Koloraturenkünstlerin Lisetta mit einem wunderbar ausgeglichenen, aber facettenreich gestalteten Sopran.

Rossinis große Orchester-Partitur hat Dirigent Ettore Prandi gekonnt für Geige, Kontrabass, Klarinette, Oboe und Fagott bearbeitet. Das in jedem Instrument solistisch besetzte Allee Theater Ensemble musizierte und begleitete unter Ettore Prandis Leitung unglaublich frisch und engagiert. Alles zusammen ergibt einen tollen und unterhaltsamen Theaterabend mit der grandiosen Musik von Rossini.

„La Gazzetta“ läuft in wechselnder Besetzung bis 9.12., u. a. am 13./14.10., 19.30, 15.10., 19.00, Allee Theater (Max-Brauer-Allee 76), Karten ab 18,50 unter T. 38 29 59