Hamburg. Raabe singt Lieder der Weimarer Republik und übt sich bei seinem gefeierten Soloauftritt in der Kunst des Weglassens.
Das Licht im Großen Saal der Elbphilharmonie geht aus. Spot auf zwei Männer, die mit ausladenden Schritten auf die Bühne spazieren. Schmale Gestalten. Fliegende Frackschöße. Pinguingleich. Die Lackschuhe schimmern. Die Mienen sind versteinert. Christoph Israel schiebt sich hinter den Flügel. Max Raabe steht stockgerade am Mikrofon davor.
Sobald er seinen hellen Bariton erhebt, öffnet sich eine andere Welt. „Wenn der Wind weht über das Meer“, singt Raabe. Ohne die Opulenz und den satten Klangkörper seines Palast Orchesters, sondern mit einem feinsinnigen Minimalismus bestreitet der 54-Jährige sein erstes Konzert in der Elbphilharmonie. Die Welt der Weimarer Republik steht wieder auf, als sie noch unbeschwert klang, die Weltwirtschaftskrise sich zwar schon ankündigte, doch das kommende Unheil weit weg war. Es waren die Goldenen 1920er-Jahre. Die Menschen liebten Eleganz und Form. Der Alltag lieferte Komik und die Liebe manch erheiternden Unfall. Ja, die Verruchtheit war ein beliebtes Spiel.
Exzentrischer Gentleman
Max Raabe gibt den stets ein wenig exzentrischen Gentleman von den Lackschuhen bis zum pomadisierten Haupthaar. Seine Kunst besteht darin, seinen grazilen Gesang gekonnt mit albernen, frivolen und burlesken Texten zu verbinden. Und das beherrscht er grandios. Wohltuend setzt er dabei nicht auf bekannte Gassenhauer, sondern Ungewohntes. Raabe nennt brav Komponist und Texter, häufig auch den Titel. „Nach diesem Prinzip wird sich jetzt der ganze Abend gestalten“, sagt er knapp, lässt manieriert das „R“ rollen und verweigert sich – scheinbar – konsequent jedem Publikumswunsch nach Entertainment.
Etliche Lieder aus seinem gemeinsam mit Israel produzierten Soloalbum „Übers Meer“ erklingen. Da schmachtet er „Ninon“ an, die dieses einzigartige Lachen habe. In „Erst sagen Sie Ja“ beschwert er sich über die uneindeutigen Signale der Angebeteten. „Ich habe gedacht, die Sache ist klar. Doch jetzt wird wieder nichts draus.“ Die Liebe ist bei Raabe stets eine Kette von Missverständnissen, Pannen und Herzensdramen: „Sag ich Blau, sagt sie Grün“.
Perfektion im Weglassen
Dennoch: Im Separee der Sängerfigur stapeln sich die Frauen, während der Interpret bei den größten beschriebenen Gefühlswallungen – und beträfen sie auch nur ein Stück Kuchen am Nachmittag – keine Augenbraue hebt. Als einziger echter Mitsing-Hit erklingt „Irgendwo auf der Welt“, jenes Lied, das Lilian Harvey einst im Film „Ein blonder Traum“ (1932) sang und das durch die Comedian Harmonists berühmt wurde. Der Text stammt übrigens von Robert Gilbert, die Musik von Werner Richard Heymann.
Seit 21 Jahren betört Raabe sein Publikum, das er mit schweifendem Blick gern direkt anschaut, sodass es sich auch gemeint fühlt. Angenehm verlässlich wirkt das, das Alte umfassend und doch in der Gegenwart verankernd. Hat er bei anderen Gelegenheiten mehr Wert auf den glamourösen Unterhalter gelegt, sucht er nun die Perfektion im Weglassen des Überflüssigen.
Schrullige Kunstfigur
So erklingt ein wenig aufgereiht und gänzlich unaufgeregt Chanson um Chanson zum federnden Tastenanschlag von Christoph Israel. Von Friedrich Hollaender und von Walter Jurmann, mit wortwitzigen Texten von Fritz Rotter oder solchen von Robert Gilbert. Das Publikum lauscht in Andacht und Konzentration. Kaum rührt sich eine Hand oder zuckt ein Mundwinkel.
Kurzzeitig gerät die Menge dann doch in Wallung, als Raabe den Blick in die Ferne richtet und den „Love Song of Tahiti“ („Das war Englisch“) anstimmt. Mit einer schmissig intonierten russischen Volksweise setzt er noch einen drauf. Beinahe kommt so etwas wie Stimmung auf. Nicht von der Art, dass sie die Frisur zerstören würde, natürlich. Aber Max Raabe stützt sich auch mal auf den Flügel und knickt vorwitzig ein Bein. So balanciert er zwischen tierischem Ernst und knochentrockenem Schalk. Natürlich muss er – erneut mit „Ninon“ – die Akustik der Elbphilharmonie ohne Mikrofonverstärkung testen. Und natürlich besteht er. Ovationen nimmt er mit vollendeter Verbeugung, gereichte Rosen mit Handkuss entgegen.
So unterhaltsam der Abend dieser merkwürdig schrulligen Kunstfigur Max Raabe dann doch verlief, er erinnert an eine Ära, die mit Liedern über kleine grüne Kakteen auf eine Katastrophe zusteuerte. Wenn sich Max Raabe schlicht mit „Lebe wohl, gute Reise“ verabschiedet, so klingt das ungewollt fast wie eine Mahnung.