Hamburg. Gemischter könnte dieses Duo gar nicht sein: Bill Murray und Cellist Jan Vogler kommen mit einem Musik-plus-Literatur-Programm.

Bei einem Langstreckenflug vor etwa vier Jahren meinte es das Schicksal gut mit dem Cellisten Jan Vogler, denn der Sitznachbar neben ihm und seinem Cellokasten war Bill Murray. Der Bill Murray, aus „Ghostbusters“, aus „Lost in Translation“ und diversen Filmen von Wes Anderson. Der Bill Murray, der wegen seines ­unberechenbaren, durchgeknallten und tiefenentspannten Humors von Fans in aller Welt vergöttert wird. Wo immer der berüchtigt unerreichbare Murray tatsächlich einmal leibhaftig auftaucht, hinterlässt er „eine Spur der Hysterie“, meinte die Schauspielerin Naomi Watts, denn seine Spezialität sind surreale Alltags-Ausbrüche.

Murray und Vogler freundeten sich an, im Laufe der Zeit entstand die Idee für das Programm „New Worlds“ – Murray singt oder rezitiert, vor allem Texte von US-amerikanischen Klassikern wie Walt Whitman, Mark Twain oder Ernest Hemingway. Dazu gibt es Kammermusik von einem Trio, in dem auch Voglers Frau, eine Geigerin, mitspielt. In wenigen Tagen gastieren Murray und Vogler damit in der Elbphilharmonie. Grund genug für ein nur ganz leicht eigenwilliges Transatlantik-Telefonat mit den beiden.

Herr Vogler, Sie kann ich am ostdeutschen Akzent ja ganz einfach erkennen. Aber damit ich weiß, dass da wirklich Bill Murray neben ­Ihnen sitzt, hätte ich jetzt gern die Sozialver­sicherungsnummer. Man weiß ja nie …

Bill Murray (amüsiert): Tja … Den Trick kenne ich schon. Sie kriegen die Nummer ganz bestimmt nicht von mir, und auch nicht den Mädchennamen meiner Mutter.

Ok, dann werden wir für einen Moment ernst: Woraus besteht Ihrer Meinung nach die künstlerische Kraft Ihres Projekts? Texte zu Musik zu rezitieren ist schön und gut, doch komplett neu als Konzept ist das nicht.

Murray: Das ist wie mit Radio-Shows. Die sind als Idee zwar auch nicht neu, aber man versucht immer wieder, sie so lebendig wie möglich zu machen. Wir bringen in einigen Passagen ­Musik und Text zusammen, in anderen wechseln sie sich ab. Und manchmal wird die ­Magie der Worte durch die Musik vergrößert und erhöht. Manchmal spricht das für sich selbst. Wir experimentieren, ­ändern ständig mit den Zutaten, keine zwei Shows sind bislang gleich ­gewesen.

Jan Vogler: Es ist in keiner Hinsicht ein Literatur-Musik-Programm, finde ich. Als wir mit der Arbeit daran begonnen haben, ist mir gleich aufgefallen, dass Bill fantastisch singt. Das ist das wichtige Bindeglied in dieser Show. Wir erzählen eine Geschichte, die durch diese sehr ungewöhnliche Kombination ­zusammengehalten wird, dass er zwischen Rezitieren und Singen wechselt. Das ist tatsächlich neu.

Wie schwierig war es, Texte auszuwählen, Musik zu finden, und dann beides mitein­ander zu kombinieren? Wer gab da die Richtung vor?

Murray: Jan machte das. Ständig, bei ­allem. Die Show an sich war ja seine Idee. Ich mache nur, was man mir sagt. Ich folge einfach den Befehlen, das kann ich am besten.

Schon klar, dafür sind Sie berühmt.

Murray: Sobald jemand mit einem Plan auftaucht, bin ich immer gern ­dabei. Es ist nett, einen Deutschen dabei zu ­haben. Die haben Pläne ...

… und Übung im Befehlen ...

Murray: Genau! Und auch darin, dass man ihnen gehorcht. Eine Chinesin ist ja auch mit dabei, und die hat Milliarden von Freunden, also benimmt man sich lieber. Und das Mädchen aus ­Venezuela, das dabei ist? She swings.

Vogler: Ich muss jetzt mal widersprechen. Es stimmt zwar, dass von mir die Idee zu Musik kam, mit der wir anfangen konnten. Aber von da an passierte alles in Gemeinschaftsarbeit. Das ist die Schönheit dieses Projekts. Wir kommen von unterschiedlichen Kontinenten, ­haben verschiedene Backgrounds. Bill zwingt mich dazu, sehr gründlich nachzudenken, wie er das macht, keine ­Ahnung. Aber am Ende ist das Ergebnis sehr viel anspruchsvoller.

Es gibt viele berühmte Paare in der ­Geschichte des Entertainment: Laurel und Hardy, Batman und Robin, Starsky und Hutch … Wo würden Sie sich einsortieren?

Vogler: Das musst du beantworten, Bill.

Murray: Jerry Lewis und Dean Martin. Jan ist der Jerry Lewis von uns beiden, ich bin so eine Art Dean Martin. Wir sind Kumpel, wir sind Freunde. Aber in diesem Projekt sind wir zu viert. Alle sind großartige Player. Wenn ich darauf angesprochen werde, sage ich immer: Ich hänge mich nur an sie dran, ich fahre Wasserski hinter denen. Das sind ­alles Killer, jede Nacht gehen wir da raus und es gibt diese wunderbaren ­Momente, in denen wir uns ansehen und sagen: Jetzt zeigen wir‘s denen aber. Und so ist es dann auch, ohne dass das Publikum es kommen ­gesehen hat. Wir sind Entertainer. Am Ende sind viele Leute glücklich – und nicht nur, weil wir am Ende sind.

Mit 66 Jahren sind Sie allmählich erwachsen ­genug, der nächste klassische Karriereschritt für Sie wäre also dann das Dirigieren.

Murray: Man hat mich tatsächlich schon darauf angesprochen.

Aber Sie spüren da keinen Ehrgeiz?

Murray: Es ist so wenig Ehrgeiz in mir, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Würde dieser Deutsche hier mich nicht ständig herumschubsen, würde ich jetzt schlafen.

Eine persönliche Frage kann ich Ihnen nicht ersparen, sorry: Wie schwer ist es, ständig Bill Murray zu sein? Sie können ja schließlich nicht NICHT Bill Murray sein.

Murray: Tja, der anstrengende Teil ist es, Bill Murray zu sein. Wenn ich das den ganzen Tag sein könnte, wäre ich sehr viel zufriedener mit meinem ­Leben. Wenn ich wirklich jeden ­Moment als Bill Murray leben könnte - aber nicht so, wie andere es von mir ­erwarten, sondern nur so, wie Bill Murray meiner Meinung nach ist.

Kommt mir gerade so vor, als ob ich mit Yoda spreche.

Murray: Tja. Das hat vielleicht etwas damit zu tun, wie es sich für Sie ­anfühlt, Sie zu sein – Sie bei der Arbeit, beim Ausruhen, beim gedankenlosen Treibenlassen. Die Lichter sind zwar an, aber es ist niemand zu Hause. So ist das dann, wenn man nicht wirklich verbunden ist. Damit kämpfe ich ziemlich stark, und wenn ich nicht ­damit kämpfe, dann bin ich nicht Bill Murray.

Ok ... Themenwechsel. „Home of the brave, land of the free“, heißt es in der US-Hymne. Und nun Donald Trump im Weißen Haus. Und der rechte Terror in Charlottesville. Wie passt all das ­zusammen?

Murray: Ich sprach neulich mit ­jemandem, der einen ziemlich bedeutenden Posten hatte und nun Vorträge hält. Er sagte, er würde eigentlich nur 15 Minuten sprechen, bevor er Fragen stellen lässt. Worüber er spreche, fragte ich. Er sagte: Die Welt hat sich so schnell ­geändert. Grenzen verschwinden. Für viele ist das sehr erschreckend. Das ­erzeugt diesen neuen ­Nationalismus. „Amerika für die Amerikaner“, was ­bedeutet das? Es ist eine Art Angst, eine Unsicherheit, wer man ist. Wir sind alle Menschen, so eng miteinander verwandt. All diese künstlichen Grenzen sind nicht real. Es ging immer um Ideale, nach denen wir leben wollten, aber niemand hat sie ins alltägliche Mitein­ander ­gebracht. Menschen müssen ­weniger Angst voreinander haben. Aber solche Gedanken machen sich nicht gut im Fernsehen oder wenn man als Politiker darüber spricht. Dafür braucht man wirklich Mut. So wird man nicht ­gewählt.

Wenn Sie in Ihrem Programm den Song „America“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ singen, ist das also schon ein Akt kreativen Widerstands?

Murray: So würde ich das nicht nennen. Es gab aber immer eine Form der Unterhaltung, die sich auf dieses Ideal bezog, auf dieses Königreich aus Gold. Amerika ist hart. Deutschland ist hart. Das ­Leben ist nicht einfach. Wenn es so wäre, würden wir alle nur herumlungern. Es ist sehr schwierig, allein zu sein. ­Sogar als gesamtes Land. Es gibt auch eine gewisse Ironie in Sondheims Text: „Everything‘s free in America / Twelve in a room in America“ … Man kann als Einwanderer kommen, aber dann muss man sich wirklich anstrengen.

Dann fügt es sich besonders gut, dass Sie es nun in Ihrem Projekt mit einem in der DDR geborenen Musiker zu tun ­haben, der auch ganz andere Gesellschaftsverhältnisse kennt?

Murray: Das sind alles Kommunisten! Eine Chinesin, eine Venezolanerin …! Ich bin der einzige Kapitalist in der Band!

Sie können jetzt zwei Sätze beenden. Der erste: Gute Musik ist …, und der zweite: Schlechte Musik ist …

Murray: Ich nehme die schlechte ­Musik, damit kenne ich mich besser aus. Also: Schlechte Musik ist eine Herausforderung, wirklich. Sie kann einen aber auch zum Lachen bringen. Als ich Comedy schreiben musste, hat es mich tatsächlich lustig gemacht, ­alberne, seifige Liedtexte auf Light FM zu hören. Auch schlechte Musik ist Musik, irgendetwas ist da drin, das sie am Leben hält. Das muss man herausfinden.

Vogler: Gute Musik, das ist viel ein­facher. Sie erinnert uns an die Schönheit des Lebens, sie hebt die Laune, verändert den Tag, verändert das Leben und macht einen zu einem besseren Menschen.

Eine Runde Kultur-Quiz: Vom wem stammt dieses ­Zitat: „Ich bin so schlecht wie die Schlechtesten, aber, Gott sei Dank, bin ich so gut wie die Besten“? Walt Whitman oder Bill Murray?

(Beide lachen) Murray: Das war ich nicht, das muss Whitman gesagt ­haben.

Stimmt. „Wenn man sich verfügbar zeigt, wird das Leben riesig. Dann lebt man es voll und ganz.“ Ernest Hemingway oder Bill Murray?

Vogler: Ich glaube: Bill.

Murray: Das habe ich wiedererkannt.

Sie müssen es doch wissen, ohne Sie ginge es nicht: Wie steht’s um „Lost in Translation 2“? Das Ende des Erstlings ließ ja alle Fragen offen.

Murray: Sofia Coppola machte diesen Film, sie ist für alles verantwortlich. Mit jedem Film wird sie besser. Aber wir werden bald wieder zusammenarbeiten, darüber sprechen wir gerade. Also eher: Sie spricht, ich höre nur zu und mache dann, was man mir sagt.

Können Sie mir mehr verraten, oder müssten Sie mich danach erschießen?

Murray: Sie erschieße ich sowieso. Aber ich weiß nicht mehr. Und falls doch, ­habe ich‘s schon wieder vergessen.

Zum Abschluss – im Gegensatz zu mir ­haben Sie da drüben in Washington leider nicht ewig Zeit – eine einfache Frage: Welche Musik bringt Sie sofort zum Weinen?

Murray: Ob es wirklich schon Weinen wäre, weiß ich nicht. Aber ich mag den Song „Avalon“ von Roxy Music. Der nimmt mich mit an einen Ort, den meine Gefühle schon einmal besucht ­haben.

Vogler: Ich mag Schubert. Wenn ich den höre, macht es mich weich. Dann versteht man wirklich, was Musik ist.