Hamburg. Vom 20. bis 23. September spielen bei der Konzertsause auf St. Pauli erneut Hunderte Bands. Wir stellen hier zehn der Acts vor.
Seit seinem Debüt im Jahr 2006 hat sich das jährlich stattfindende Reeperbahn Festival nicht nur zum favorisierten Termin im Konzertkalender von Popfans entwickelt. Auch jene, die in der Musikbranche arbeiten, markieren sich die vier tollen Tage und Nächte im Herbst als wichtige Zeit, um Inspiration zu erhalten, Wissen auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und Geschäfte zu machen. Die Nähe der Spielstätten auf St. Pauli erleichtert es enorm, möglichst viele Musik-Momente und persönliche Begegnungen zu sammeln. Gründe genug also, um sich noch rechtzeitig vor dem Start am 20. September eine der Tageskarten oder direkt ein ganzes Festival-Ticket zu sichern – zumal einige neue Highlights warten. Spielorte und Anfangszeiten werden auf der Festivalseite im Internet bekannt gegeben.
In diesem Jahr zählt die Elbphilharmonie das erste Mal zu den Austragungsorten. Zum zweiten Mal wird – neben weiteren Preisverleihungen – der Anchor Award für das vielversprechendste Poptalent vergeben. Mehr als zwei Dutzend Bands spielen für das Gastland Kanada auf. Zudem ergänzen Kunst, Film und Lesungen das Programm. Neu ist unter anderem der „Reeperbahn Festival Dome“, ein Kuppelbau von 20 Metern Durchmesser auf dem Heiligengeistfeld, in dem Elektronik-Künstler Martin Kohlstedt eine audiovisuelle Show präsentiert.
Im Konferenz-Teil des Festivals werden in diesem Jahr verschiedene hochaktuelle Themen verhandelt, etwa das Verhältnis von Protest und Musik, die Stellung der Frau in der Popwelt, der Stand der Technologien, um Musik zu verbreiten, sowie die Globalisierung des Live-Marktes. Doch im Fokus bleibt das direkte Konzerterlebnis. In diesem Sinne: Bühnen frei auf dem Kiez!
Amadou & Mariam
Faszinierendes Duo aus Westafrika
Von Newcomern lässt sich bei Amadou & Mariam nun wahrlich nicht sprechen – auch wenn sie bei uns viele noch nicht kennen. Bereits seit 1980 macht das Paar aus dem westafrikanischen Mali gemeinsam Musik und war schon für einen Grammy nominiert. Die blinden Musiker verbinden Rock- und Pop-Elemente mit den traditionellen Klängen ihrer Heimat, regelmäßig touren sie auch durch Europa. Das letzte Album, „Folila“, liegt allerdings schon eine Weile zurück, um so schöner, dass Amadou & Mariam nun – hoffentlich auch mit ein paar neuen Songs – beim Reeperbahn Festival zu erleben sind. (hot)
Childhood
Betörende Soul-Musik aus London
Es gibt Platten, die lassen sich wieder und wieder hören – und sie lösen jedes Mal ein Glücksgefühl aus. „Universal High“ von Childhood ist ein solches Album (Label: Marathon Artists). Das Quintett aus London verquickt süßen Soul mit entschleunigten Beats und Melodien, die den Hörer betörend umschmeicheln. Der Gesang von Ben Romans Hopscraft führt zurück in die 70er-Jahre eines Curtis Mayfield, ohne angestaubt zu wirken. Tanzbare Funk-Nummern wechseln mit sphärischem Träumer-Pop. Toll. (bir)
Beth Ditto
Zuckersüßes Debüt einer Stil-Ikone
Dass sich die Portland-Rocker Gossip 2016 auflösten, ist schade. Aber die im Mittelpunkt der Band stehende Sängerin Beth Ditto möchte sich nun mal auf ihre Karriere als Modedesignerin und Solo- Künstlerin konzentrieren. So dreht sich ihr erstes, im Juni erschienenes Album „Fake Sugar“ ganz um die Stil-Ikone der LGBT-Bewegung. Es wird viel getanzt, gefühlt und gejauchzt auf „ Fake Sugar“, Pop und Glam schillern um die Wette und die Texte erzählen von einer Frau, die in den Jahren viel Glück und Liebe erfahren hat – 2013 heiratete Ditto ihre Freundin Kristin Ogata. Der romantische Süßstoff, der „Fake Sugar“ den Geschmack gibt. (tl)
The Delta Riggs
Psychedelic-Pop mit Esprit aus Melbourne
Wenn The Strokes auf die Idee kämen, demnächst mal eine Discoplatte aufzunehmen, dann würde die vielleicht klingen wie „Active Galactic“ von The Delta Riggs. Das australische Quartett um den Sänger und Organisten mit dem passenden Namen Elliott Hammond entstand 2009 nach Hammonds Abgang bei den Retro-Rockern Wolfmother, und ebenso rückwärts gewandt klingen auch The Delta Riggs. Psychedelic Pop, Disco und Rock und viel Spaß an der Selbstironie gehen sofort in Herz und Hirn des Hörers. Und wenn ein Discokugel-Helm (wie auf dem Albumcover zu sehen) nicht das nächste Must-have beim Reeperbahn- Festival wird, was dann? Ich will so einen, wer noch? (tl)
Heartbeast
Starke Fusion aus Hip-Hop und Pop
Als Wohnort gibt die Hamburger Formation Heartbeast schlicht „World“ an. Und wer ihre äußerst einnehmende Fusion aus Hip-Hop und Pop hört, der ist sich schnell sicher: Dieser Sound ist tatsächlich überall auf der Welt zu Hause. Sängerin Nala Lakaschus sowie Gitarrist und Produzent Helge Hasselberg erzählen in den Songs ihres Albums „Zero“ von nächtlichem Driften und leeren Tagen, von Nomadentum und Suche. Die beiden erschaffen mit analogem Musizieren und elektronischer Tüftelei einen Mix, der seine hypnotische Wirkung unter der Discokugel ebenso entfalten dürfte wie auf extralangen Autofahrten. (bir)
Ella Eyre
Der Sound von London bringt auch Hamburg zum Tanzen
Die bisherigen Verbindungen nach Hamburg waren noch nicht so ergiebig für die britische Sängerin und Songschreiberin Ella Eyre: 2015 schrieb sie „Black Smoke“ den ESC-Song für Ann Sophie ... In der Heimat aber hat die 23 Jahre junge Londonerin bereits respektabel abgeliefert: Als Sängerin für Rudimental und DJ Fresh hat sie zwei Hitsingles auf der Habenseite und ihr erstes Album „Feline“ kletterte 2015 auf Platz vier der UK-Charts. Dieses Niveau hält sie auch dieses Jahr mit dem Song „Came Here For Love“, der modernen und eingängigen Großstadt-Sound präsentiert. Pop trifft R ’n’ B, Neo-Soul und Drum ’n’ Bass, die vier Säulen, auf der die Musik-Metropole London steht. Und tanzt. (tl)
Marlon Williams
Dunkler Country aus Neuseeland
Zu seinem Lied „Dark Child“ hat der Neuseeländer Marlon Williams eines der schönsten wie rätselhaftesten Videos der vergangenen Jahre produziert. Der Singer- Songwriter singt wie ein gefallener Engel. Und er versteht es vorzüglich, seine Gitarren-Oden mit dunkler Energie aufzuladen. Doch der 26- Jährige gibt sich nicht bloß als mysteriöser Wiedergänger von Künstlern wie Johnny Cash. Wenn er mit seiner Band The Yarra Benders auftritt, interpretiert er munter Klassiker des Country und Bluegrass. Mit seinem selbst betitelten Debüt (Dead-Oceans- Label) ist er down under ein Star. (bir)
Youngblood
Mit Synthies zurück in die Zukunft
Synthiepop wird niemals alt, er muss nur immer wieder von jungen Leuten gespielt werden – Leuten wie der Sängerin und Songwriterin Alexis Young, die mit ihrem Projekt Youngblood nach Hamburg kommt. Über Young heißt es, sie sei mit der Musik von Air und Portishead aufgewachsen. Was fraglos tolle Referenzen sind, aber irreführende eben auch – die Songs von Youngblood sind, um mal das Mindeste zu sagen, vor allem schneller als die der Vorbilder. Das Youngblood-Debüt trägt den Titel „Feel Alright“ und steckt voller Melodien. Vielleicht ist „retro-futuristisch“ tatsächlich eine gute Vokabel, um den Sound des Quintetts zu beschreiben ... (tha)
Ilgen-Nur
Cooler Indie-Rock aus Hamburg
In manche Songs verknallt man sich sofort. So geschehen bei der Indie-Rock- Nummer „Cool“ von Ilgen-Nur. Ihren Vornamen hat Frau Borali, die singt und Gitarre spielt, direkt zum Bandnamen erkoren. Zu viert, unter anderem mit Trümmers Paul Pötsch am Schlagzeug, erzeugen sie einen famosen Schlenderund Slacker-Sound. Als sei die gute Seite des 90er-Jahre-Grunge im heutigen Hamburg gelandet. Erste Songs veröffentlichte Ilgen- Nur unter dem Titel „No Emotions“ auf Kassette (Label: Sunny Tapes). Sehr cool. (bir)
Maximo Park
Sie sind so gut wie schon lange nicht mehr
Als Entdecker-Festival verzichtet die Chose auf der Reeperbahn dennoch nicht auf bekanntere Interpreten – in diesem Jahr könnte man Maximo Park als Headliner bezeichnen. Der deutsche ist nach dem Heimatmarkt der wichtigste für die Band aus Newcastle, die 2005 ganz groß war: Damals eroberte ihr dynamischer Indierock die Tanzflächen der Studenten-Partys. Zuletzt schien die Band um Sänger Paul Smith ein wenig erschöpft und ratlos, aber nach schwächeren Alben wurde das neue und sechste, „Risk To Exist“, zu Recht einhellig gelobt. (tha)
Reeperbahn Festival Mi 20.9. bis Sa 23.9., St. Pauli,
Karten im Vvk. von 30,- (Tagesticket Mittwoch) bis 95,- (4-Tages-Festival-Ticket); www.reeperbahnfestival.com