András Siebold hat bereits „Theater der Welt“ mitverantwortet, heute startet sein Sommerprogramm auf Kampnagel – für die ganze Familie.

András Siebold bekämpft seine aktuelle Erkältung mit abendlichem Rotwein und Zigaretten. Erfolg? Mäßig, aber bis zur Eröffnung des diesjährigen Internationalen Sommerfestivals(vom 9. bis 27. August auf Kampnagel) ist sie garantiert weg. Für seinen Leiter ist es bereits das zweite Festival in diesem Jahr. Wie geht so etwas?

Nach dem Festival war und ist für Sie ja vor dem Festival.

András Siebold: Ich merke gerade, wie viel Energie mir das Sommerfestival gibt, es ist fast ein Befreiungsschlag. Und „Theater der Welt“ war ein guter Ansporn, ein Jetzt-erst-recht-Festival im August zu machen. Das sieht man dem Programm hoffentlich an.

Denken Sie noch an „Theater der Welt“, und wenn ja: mit welchen Gedanken?

András Siebold: Auf der einen Seite bin ich total froh, dass das vorbei ist und wir es geschafft haben, das zu stemmen. Gleichzeitig merke ich, wie befreiend es sein kann, das Sommerfestival zu planen, das von der Struktur her kleiner und oft effektiver ist. „Theater der Welt“ war auch die Schnittmenge von zwei unterschiedlichen Welten, einer Repertoire-Theaterwelt, die auf gut gemachter Re-Interpretationskunst mit tollen Schauspielern basiert. Und dann Kampnagel: ein Ort, der immer in internationalen Netzwerken und mit Künstlern arbeitet, die ihre Stoffe selbst und aus dem Jetzt heraus entwickeln.

Hat „Theater der Welt“ den Blick auf die Stadt verändert?

András Siebold: Da stand immer die Frage im Hintergrund: Braucht eine Stadt singulär stattfindende Riesenevents oder sollte sie nicht das, was bereits da ist, stärken? Das Sommerfestival spielt inzwischen in einer anderen Liga als vor 15 Jahren, und trotzdem machen wir das immer noch mit sehr geringen Mitteln und einem sehr kleinen Team. Letztlich braucht eine Stadt kulturelle Kontinuität, anders blüht sie nicht. Sonst haben wir singuläre Großevents und den Rest des Jahres kulturelles Brachland wie ­etwa in Sydney. Deswegen haben wir auch versucht, mit „Theater der Welt“ Kampnagel zu stärken, wie wir es übrigens auch mit den Elbphilharmonie-Kooperationen tun.

Es hat ja nicht alles funktioniert. Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?

András Siebold: Weniger Produktionen, stärkerer Fokus – und weniger Kuratoren. Und bei der Eröffnungsproduktion von Lemi Ponifasio waren wir zu optimistisch, dass wir das wie geplant hinbekommen.

Eine Neuauflage der „Viererbande“ aus Joachim Lux, Sandra Küpper, Amelie Deufl­hard und Ihnen wird es nicht geben?

András Siebold: Das war als Experiment und Signal total gut. Die viel beschworenen Gräben zwischen Kampnagel und Thalia Theater existieren nicht. Aber heiraten werden wir auch nicht, das bleibt eine Affäre.

Wie kuratiert man denn parallel zwei Festivals?

András Siebold: Das hat gut funktioniert, weil wir ja eh relativ viel auf Reisen waren. Tania Bruguera zum Beispiel, die Becketts „Endspiel“ aus der Perspektive der bildenden Kunst in einer riesigen Installation ­inszeniert, haben wir für beide Festivals diskutiert. Das passte dann aber besser ins Sommerfestival, wo wir genau an diesen Perspektivverschiebungen arbeiten, an der Öffnung von Formen und der Zuschauerwahrnehmung.

Gibt es weitere kulturelle Pläne auf dem Baakenhöft?

András Siebold: Zumindest gibt es jetzt schon mal eine größere Diskussion darüber, dass dieses Areal auch kulturell genutzt werden kann. Und auch der HafenCity-Chef Jürgen Bruns-Berentelg ist Projekten wie dem von der Geheimagentur gegenüber weiter sehr offen: Die werden während des Sommerfestivals im Hafen unter ­anderem ein „African-Terminal“ für Kleinhandel afrikanischer Migranten ­eröffnen und eine andere Hafennutzung vorstellen.

Das Programm ist wieder stark von Popkultur geprägt, häufig in Verbindung mit Musik.

András Siebold: Musik hat bei uns einfach die gleiche Aufmerksamkeit und Stellung wie andere Kunstformen, mit denen sie sowieso vermischt ist. Denn Popkultur ist ja nicht gleich Popmusik, sondern ein ­intelligentes Spiel mit Zeichen, Bildern und der Sprache der Gegenwart. Man könnte genauso sagen, wir sind ein großes Tanzfestival mit Marlene Monteiro Freitas, Radhouane El Meddeb oder der Tanz-Ausstellung von Eszter Salamon im MKG. Von Mariano Pensotti und Forced Entertainment wiederum kommen richtige Theaterhits, „Real Magic“ war gerade erst beim Berliner Theatertreffen eingeladen.

Sie präsentieren ja viele Uraufführungen, die in Hamburg erst entstehen und das ­Risiko des Scheiterns beinhalten. Bereiten die Ihnen schlaflose Nächte?

András Siebold: Uraufführungen sind immer eine Krux. Sie machen viel Arbeit und können auch scheitern, führen aber zu einer tieferen Komplizenschaft mit den Künstlern und erhöhen den Aufregungsfaktor des Festivals und die internationale Aufmerksamkeit. Andererseits gibt es fertige Produktionen, von denen wir zu 100 Prozent überzeugt sind und die auch woanders schon Standing Ovations bekommen haben. Aber ein Programm nur mit bereits bewährten Hits zu machen ist keine kuratorische Arbeit mehr. Die Leute merken auch, dass die Luft hier anders knistert. Dieses Jahr unter anderem mit Juan Dominguez, Eszter Salamon, Annie Dorson und Socalled.

Sie bespielen ja auch die Elbphilharmonie. Kommt man daran in Hamburg nicht mehr vorbei?

András Siebold: Es gibt ja schon eine lange Zusammenarbeit mit Intendant Christoph Lieben-Seutter. Wir unterstützen die Elbphilharmonie darin, ihr Versprechen, für ­alle da zu sein, wahrzumachen. Und mit den Tindersticks, Rufus Wainwright und beim Orchesterkaraoke haben wir Künstler eingeladen, die eine perfekte Brücke zwischen beiden Häusern bilden. Und für die Elbphilharmonie ist es doch auch cool, dass die jetzt durchs Sommerfestival geadelt werden.

Welche drei Produktionen empfehlen Sie absoluten Festivalneulingen mit Berührungsängsten zur Avantgarde?

András Siebold: Auf jeden Fall Socalleds hinreißendes Puppenmusical „The 2nd Season“, da braucht man kein Vorwissen, das ist für die ganze Familie und auch interessant für Leute, die eher Musicals mögen oder Funkmusik oder Hip-Hop. Es dauert nur eine Stunde, ist extrem unterhaltsam, aber auf musikalischem Weltniveau. Auch in Philippe Quesnes „Die Nacht der Maulwürfe“ kann ich bedenkenlos jeden hineinschicken. Man braucht noch nicht einmal Sprachkenntnisse, weil die Darsteller in Maulwurfsprache reden. Das hat totalen Witz, Charme, ist visuell opulent. Die spielen in einer Fabel das ganze Menschenleben durch in einer Mischung aus Bühnenzauber, Installation und Theatergaudi. Und dann empfehle ich natürlich unseren Festival-Avantgarten. Da kuratiert Juan Dominguez in diesem Jahr drei Wochen lang jeden Tag ein Programm mit lebenden Skulpturen und vielem mehr. Am Wochenende gibt es zusätzlich kostenlose Aufführungen, Kino, Raves, Konzerte. Das ist wirklich spektakulär. Man kann einfach kommen – es wird auf jeden Fall etwas passieren.

Internationales Sommerfestival 9.–27.8.
auf Kampnagel, Jarrestr. 20–24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de