Hamburg. Lemi Ponifasio aus Samoa eröffnet das Festival „Theater der Welt“ mit einer Großproduktion. Eine Begegnung.
Es klingt nach Irrsinn. Nach Meilensammeln, Vielflieger-Hektik, Busy-busy. Wer, bitte schön, fliegt einmal um die halbe Welt – und bleibt dann nur zwei Tage? Lemi Ponifasio lächelt. Still und, so scheint es, fast ein wenig nachsichtig, die samoanischen Gesichtszüge zugleich neugierig und vollkommen entspannt. Ganz in Schwarz gekleidet, die Haare streng zurückgefasst. Kein Mönch, natürlich, aber doch ein Mensch, der wahrnehmbar in sich ruht und mit dieser zugewandten Ruhe einen Raum erfüllen und einen Gesprächspartner für sich gewinnen kann.
Vorgestern hat er in Neuseeland ein Flugzeug bestiegen. Heute, an einem sonnigen Frühlingstag, ist er in Hamburg. Morgen fliegt er zurück. Er habe halt die Hamburger Kinder kennenlernen wollen, mit denen er beim Großfestival „Theater der Welt“das Musiktheaterprojekt „Children of Gods“ realisiert, sagt er.
Kein Typ für Superlative
400 Mitwirkende sind bei „Children of Gods“ auf dem Baakenhöft dabei, in einem riesigen, zum Bühnenraum umgestalteten Kakaospeicher, darunter 60 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17, zwölf Chöre und 47 Streichquartette. Konzept, Bühne, Choreografie, Kostüme, Regie: Lemi Ponifasio. Bildgewaltig soll es werden, episch, spektakulär. In weniger als einem Monat wird die Produktion das Festival eröffnen. Sie soll überwältigen, so viel steht fest.
Lemi Ponifasio, der sein Glas Wasser beim Gespräch im leeren Foyer des Thalia Theaters unangetastet lässt, winkt ab. Er ist kein Typ für Superlative. Weniger noch: „Ich bin nicht so interessiert am Theater“, sagt er mit sanfter Stimme, eine verblüffende Feststellung für jemanden, der als ein Star der internationalen Theaterszene gilt. Koketterie liegt Ponifasio allerdings auch nicht. Seine Begründung ist die gleiche, wegen der er kurz nach Hamburg jettet, und die gleiche, die ihn wieder in die Heimat zieht, bevor er zum Probenbeginn zurückkehrt: „Mich interessieren die Menschen, mit denen ich etwas tue, die Gemeinschaft.“
Schon lange hatte András Siebold, der in Hamburg das Sommerfestival leitet und als einer der vier Hauptkuratoren auch das „Theater der Welt“-Programm verantwortet, versucht, Ponifasio für eine Arbeit nach Hamburg zu holen. Bislang erfolglos. Denn Ponifasio ist ein Außenseiter der Kunstgesellschaft. Ihm geht es nicht um Geld, nicht um ein Sendungsbewusstsein, nicht einmal um Eitelkeit.
330 Veranstaltungen in 18 Tagen
Im Theater-Tourbusiness fühle man sich manchmal „wie eine Kiste Äpfel“, findet Lemi Ponifasio stattdessen: „Man wird von einer in die nächste Stadt transportiert und verfault dabei schon nach wenigen Tagen.“ In Auckland – und im noch einmal rund fünf Flugstunden entfernten Samoa – hat er seine Familie, seine Gemeinde. Der Abstand zum Festivalzirkus erdet ihn, „diese Perspektive will ich auch in meine Arbeiten einbringen“.
Was genau wird „Children of Gods“ nun aber sein, wenn es das Kulturereignis „Theater der Welt“ Ende Mai eröffnet? Eine Performance? Doch Theater? Eine Messe? Es ist nicht ganz leicht, das aus Lemi Ponifasio herauszubekommen. Es wird Lamento-Gesänge geben, ein „Transformationsritual“, manches klingt ein wenig düster. Das sei es aber gar nicht, versichert er und atmet tief ein. Er schätzt es nicht, die Dinge kategorisieren zu müssen. Mit norddeutschem Pragmatismus kommt man bei ihm nicht weit. „Wenn wir morgen sterben, was sagen wir uns heute?“, fragt er lieber. „Was sind unsere letzten Worte, unser letzter Tanz?“
Die Inszenierung „Children of Gods“, deren Höhepunkt das „Credo“ aus der Monumental-Komposition „Apokalypsis“ des kanadischen Komponisten R. Murray Schafer sein soll, will die Situation jener Kinder thematisieren, die weltweit in Krieg, Flucht und Unterdrückung leben. „Wenn du wissen möchtest, wie Gott aussieht, schau in die Augen der Kinder“, erklärt Lemi Ponifasio. „Mit meiner Kunst kann ich keine Probleme lösen. Aber es ist eine Plattform, auf der die Kinder Teil von etwas werden. Das gefällt mir. Kinder leiden in Kriegen am meisten – sie halten aber auch unsere Zukunft in unseren Händen.“ Es ist Ponifasios Ausstrahlung, seine Ruhe, die einen solchen Satz nicht banal wirken lässt.
In den Klang eintauchen
„Theater misst die Temperatur unseres Lebens“, glaubt Ponifasio. Das Publikum solle bitte nicht kommen, um zu konsumieren, Unterhaltung gebe es auf dieser Welt schon genug. Der Zuschauer soll in den Klang eintauchen, soll fühlen, mehr noch: „Ich verlange die Mitwirkung seiner Seele.“
Denn auch das ist „Theater der Welt“: ein sinnlicher, emotionaler Zugang zu anderen Kulturen. Den Zuschauer erwarte „eine Zeremonie“. Aber, seufzt Lemi Ponifasio, den András Siebold einmal einen „philosophischen Regisseur“ genannt hat, auch das treffe es nicht wirklich. „Ich mag keine Worte. Wir sprechen alle zu viel. Ich mag lieber das, was zwischen den Worten steckt.“ Den Hinweis, dass man doch immerhin Worte brauche, um etwas dazwischen zu entdecken, winkt er ab.
„Ich will jenseits von Sprache sein“
Viel zu logisch argumentiert. „Ich will jenseits von Sprache sein. Das ist nicht so leicht, weil die Leute einen Rahmen brauchen. Ich werde oft gefragt, ob ich übersetzen kann, was ich auf der Bühne mache. Genau das möchte ich aber nicht. Es ist eine Chance, anders zuzuhören.“
Dass Lemi Ponifasio „High Chief“ in Samoa ist, keine offizielle politische Position, aber doch ein respektiertes, ranghohes Mitglied der Gemeinde, erklärt vielleicht manches. Seine natürliche Autorität spielt auch abseits der Bühne eine Rolle. Er selbst möchte jedoch auch das am liebsten ganz unerwähnt lassen. Weil er befürchtet, es könnte missverstanden werden: „Es hat ja nichts mit Macht zu tun. Ich bin kein Präsident, kein Richter, niemand, der über anderen steht.“ Er habe keine Privilegien, übernehme aber eine Verantwortung. „Mit einer spirituellen Dimension“, ergänzt Ponifasio und schüttelt sogleich den Kopf. Ach, wieder diese verflixten Wörter.
Teil einer Gemeinschaft
„Ich bin nicht exotisch. Ich bin, was die Welt ist. Ich tue, was ich tue, mir ist es nicht wichtig, in welche Schublade man mich dabei packt.“ Lemi Ponifasio versteht sich als Teil einer Gemeinschaft, zu der die Mitwirkenden ebenso gehören wie das Publikum.
„Regisseur“ will er nicht so gern sein. Oder „Choreograf“. Oder „Dirigent“. Oder der prominente Name auf dem Programmheft. Oder gar, das wäre wahrscheinlich am schlimmsten: der „Boss“. Sondern bloß, sagt Lemi Ponifasio und hält kurz inne, „der Typ, der versucht, jemanden zu bitten, etwas zu tun“. Da muss er dann selbst lachen.