Hamburg . Caroline Kiesewetter und Tim Grobe ziehen in der musikalischen Komödie „Tour de Farce“ alle Register ihres darstellerischen Könnens.

Hinter einer Theateraufführung stecken immer mehrere, oft zahlreiche Menschen: Schauspieler, Regisseur und Assistenz, Bühnen- und Kostümbildner. Wenn sich nach einem Zwei-Personen-Stück aber nicht nur die Protagonisten verbeugen, sondern noch vor dem Regieteam vier schwarz gekleidete Damen, hat das eine besondere Bewandtnis. Und so galt der nicht enden wollende Premierenapplaus – einer mit Ovationen, wie er an der Hartung­straße lange nicht zu vernehmen war – in den Hamburger Kammerspielen nicht allein Caroline Kiesewetter und Tim Grobe. Auch Ankleiderin Christiane Kluge, Maskenbildnerin Claudia Gerti, Inspizientin Daniela Dalvai und Hinterbühnen-Koordinatorin Ricarda Lutz wurden gefeiert – vom Publikum und von den beiden Darstellern.

Ohne die Mitwirkung jener Frauen wäre die „Tour de Farce“ – dieses Bild sei erlaubt – womöglich in die Hose gegangen, und Tim Grobe hätte in seinem weißen Bademantel am Ende etwas bedröppelt dagestanden. So aber geriet die von Rollen- und Kostümwechseln geprägte musikalische Komödie zu einem Erfolg, der sich für Kammerspiele-Intendant Axel Schneider, zugleich Regisseur, zum veritablen Sommer-Hit entwickeln könnte. Denn hier stimmt fast alles, vor allem Tempo und Timing.

Mathias Kosel hat acht neue Songs komponiert

Gleich zehn verschiedene Figuren spielen Caroline Kiesewetter und Tim Grobe im 2006 uraufgeführten Stück der US-Autoren Kingsley Day und Philip La Zebnik. In Rotherbaum nun hat Pianist Mathias Christian Kosel für die gesangsstarken Darsteller acht neue Songs komponiert. „Lass dir selber ein klein wenig Spaß, und lass dich ein auf eine Tour de Farce“, umreißt Grobe als ­Hotelpage Bill im Titelsong das Motto.

Mittelscheitel-Perücke und rot-schwarze Uniform hat Grobe sogleich abgelegt, wenn er als Autor Herb Gladney das Hotelzimmer betritt, im Schlepptau seine aufbrausende Gattin Rebecca. Beide sind auf Promotiontour für sein Buch „Ehe währt für immer“. Ihr Glück ist indes nur Fassade.

Verwechslungs- und Verwicklungsspirale

Kiesewetter gibt die auf teures Shoppen fixierte Lady („Nur arme Leute kaufen, was sie wirklich brauchen“) optisch cool mit schwarzer Perücke und Sonnenbrille. Die Kulisse (Ausstattung: Birgit Voß) erinnert an die späten 60er-Jahre: Telefon mit Schnur und Röhrenfernseher, vor allem aber drei Türen zum Hotelflur, zum Bad und Nachbarzimmer sowie ein Wandschrank (mit Doppeltür!) sind in einer Klipp-Klapp-Komödie eben unerlässlich.

In der aberwitzigen „Tour de Farce“ schraubt sich die Verwechslungs- und Verwicklungsspirale in ungeahnte Höhen. Erst kommt die sensationslüsterne TV-Reporterin Pam dem zerstrittenen Paar auf die Schliche und postiert im Wandschrank ihren schwedischen Kameramann Gunnar. Den spielt Grobe als hellblonden Depressiven im Streifenhörnchen-Anzug, der immer wieder von seiner Zeit als Assistent des Star-Regisseurs Ingmar Bergman träumt.

Wandlungsfähige Komödianten

Als dann auch noch der korrupte Senator Grant Ryan, Rebeccas Jugendliebe, die Nachbar-Suite bezieht und irrigerweise sein Schäferstündchen mit dem rothaarigen, öffentlichkeitsgeilen Flittchen Gwenda in Herbs Zimmer abhält, erreicht das Chaos einen weiteren Höhepunkt. „Bald bin ich ein Star“, singt Caroline Kiesewetter als Gwenda mit Quietschstimme, hat aber als verrückte Nonne mit Akkordeon und diebisches Zimmermädchen noch mehr musikalische und komische Auftritte. Szenenbeifall und Lacher erhält sie wie Grobe.

Haltung, Ausdruck, Sprache, Mimik und Gestik – dadurch schaffen es die extrem wandlungsfähigen Komödianten, den Rollenwechsel spielerisch leicht wirken zu lassen. Sogar unterm Bett verschwinden sie, um dann an einer der Türen als neue Person wieder aufzutauchen. Als Senator mit Cowboyhut, dicker Brille, der die Werte der Familie predigt, aber das Sex-Vergnügen sucht, hat Grobe mit rauchiger Stimme bereits eine Paraderolle. Als seine eigene Gattin setzt er nach der Pause noch einen drauf, indem er diese mit rheinischem Tonfall räsonieren lässt.

Mehr als ein Boulevardstück

Indes: „Tour de Farce“ ist mehr als ein Boulevardstück. Das pointenreiche Gag-Feuerwerk hat Hintersinn und Spott. Wer genau hinhört und -sieht, entdeckt hier Medien-Satire und Anspielungen auf die aktuelle US-Politik.

Zudem zeigt Regisseur Schneider Ideen und Mut zu Slapstick-Einlagen und technischen Neuerungen: Immer wenn die Figuren den Fernseher einschalten, sehen die Theaterzuschauer, wie es hinter den Kulissen zugeht – mitsamt der Umzüge. Eine neue theatrale Transparenz. Dazu gehörte auch, dass Schneider vor Beginn erklärte, weshalb bei Tim Grobe Bandage und Manschette am linken Bein zu sehen sein werden: Der Publikumsliebling hatte sich bei einem Fahrradunfall einen Kreuzbandriss mit Fraktur im linken Knie zugezogen. Er hielt dennoch durch – mit Bravour. Wie alle Beteiligten.

„Tour de Farce“ bis 17.9. Kammerspiele, Hartungstraße 9–11, Karten zu 23,- bis 48,- unter T. 413 34 40, Abendblatt-Abonnenten erhalten 20 % Rabatt für ausgewählte Ter­mine; www.hamburger-kammerspiele.de