Hamburg. Nagano, das Philharmonische Staatsorchester und die Chöre von MDR und Staatsoper brachten die „Gurre-Lieder“ in die Elbphilharmonie.
Wer bislang geglaubt hatte, in der trennscharfen Studio-Akustik des Großen Saals der Elbphilharmonie würde die reine Überwältigung durch Klang und Intensität nicht so recht funktionieren, den belehrten Kent Nagano, das Philharmonische Staatsorchester und die Chöre von MDR und Staatsoper am Sonntag eines Besseren. Auf die Worte „Seht, die Sonne“ fluteten die Musiker- und Sänger-Hundertschaften im Schlusschor von Arnold Schönbergs monumentalen „Gurre-Liedern“ den Saal mit reinem C-Dur. Solch einen Klang hört man nicht mehr nur mit den Ohren, man spürt ihn am ganzen Körper.
Wo man aber ausschließlich mit den Ohren hört, behält der Große Saal seine Tücken. Die Präsenz der Sänger und die Textverständlichkeit bleiben ein schwer lösbares Problem. Dass die Solisten nicht neben dem Dirigentenpult platziert wurden, sondern seitlich vom Orchester, brachte in diesem Fall auch keine Besserung. Der Tenor Torsten Kerl als Waldemar ertrank umstandslos in Schönbergs Klangflut, Dorothea Röschmann (Tove), Wilhelm Schwinghammer (Bauer) und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Klaus Narr) hielten sich etwas besser über Wasser. Sogar die meisten Worte des Chores und selbst der Sprechertext von Anja Silja, über Mikrofon und Lautsprecher verstärkt, gingen im Ungefähren verloren.
Nagano ist der Mann für die großen Brocken
Worum es in diesem Riesenwerk geht, musste man also entweder vorher wissen oder sich beim Mitlesen erschließen. Dabei erklärt sich der gewaltige Aufwand an klanglichen Mitteln vor allem aus dem Drama, das hier erzählt wird. Waldemar, der seine Geliebte Tove verloren hat, rebelliert gegen Gott. Um dem Himmlischen seinen Zorn entgegenzubrüllen, braucht man schon zehn Hörner und neun Posaunen. Düsterer Höhepunkt des Stückes ist eine wilde nächtliche Jagd der auferstandenen Toten. Hier kommt ein in drei Einzelchöre aufgespaltener Männerchor zum Einsatz. Und am Schluss steht eine allumarmende Vision der Natur und des Lebens. Dafür sind dann noch mal so viele Frauenstimmen vonnöten.
Kent Nagano hat für die erste Elbphilharmonie-Saison seiner Philharmoniker auf Werke im XXL-Format gesetzt. Neben den „Gurre-Liedern“ gab es seit Januar Jörg Widmanns „Arche“-Oratorium und Mahlers „Symphonie der Tausend“ beim Philharmonischen Staatsorchester zu hören. Seinem Ruf als Experte für die ganz großen Brocken wurde Nagano am Sonntagvormittag voll gerecht. Souverän hielt er den Riesenapparat zusammen. Die am häufigsten zu beobachtende Handbewegung war dabei ein Abwinken und Abdämpfen, mit dem er das Orchester mäßigte, um den Sängern wenigstens eine kleine Chance zu lassen.
Die ganz großen Momente vollster Klangentfaltung sind in den „Gurre-Liedern“ eher selten. Den Damen-Chor etwa setzt Schönberg nur in den letzten Minuten ein. Doch als er dann kam, der Klang, den der Komponist und sein Dirigent so ökonomisch aufsparten, kam er mit der Kraft eines Tsunami.
Das Konzert wird heute am Montag, 20 Uhr, wiederholt.