Hamburg. Im Programm der nächsten Saison ist die musikalische Bandbreite enorm. Das Abendblatt gibt eine erste Entscheidungshilfe.

Rechtzeitig aussuchen. Rechtzeitig eine Karte kaufen. Sich rechtzeitig auf den Weg machen. So einfach war das hier, normalerweise, wenn man ein Klassik-Konzert besuchen wollte. Seit einigen Monaten ist nun sehr vieles anders, und wenig normal. Aber nicht einfacher, im Gegenteil. Nun hat man – die Elbphilharmonie macht’s möglich – die angenehme Qual der Wahl.

Zwischen zwei komplett unterschiedlichen Hallen und einer rasant größeren Auswahl an Künstlern, Konzepten, Stilrichtungen. Ein echtes ­Luxusproblem. Doch damit sind nicht automatisch die Preise gemeint, denn die sind in aller Regel angemessen, viele sogar günstig. Und der Wahrzeichen-Besuch ist inklusive.

Einzelkarten-Vorverkauf beginnt am 12. Juni

Angesichts des enormen Andrangs sind die W-Fragen „Was, wann, wer, wie viele ­Tickets, wo in welchem Saal?“ theoretisch. Es gilt für viele das Prinzip: Egal was, Hauptsache rein. Aber dennoch: Prinzipiell kann man viel Neues, Bewährtes, Spezielles erleben. Man kann sich für oder gegen etwas entscheiden. Oder sich überraschen lassen.

Der Countdown läuft, am 22. Mai endet die Bewerbungsfrist für die Käufer-Tombola der hauseigenen Abo-Reihen. Am 12. Juni beginnt der Einzelkarten-Vorverkauf in Hamburg – und wohl auch ein wenig um Hamburg herum – um 10 Uhr. Maximal vier Karten pro Konzert, maximal zehn pro Käufer und Kaufvorgang. Acht Stunden, bevor der Rest der Welt sich online ums Durchkommen bemühen darf. Das soll die Lage entzerren, wird sie aber nicht entschärfen. Denn die Schlangen vor den Kartenkassen werden noch länger werden, als sie es bei jedem früheren Verkaufsstart waren. Auch als Internet-Kunde wird man verlässlich durchdrehen können, wenn nur noch da ist, was dann noch da ist. Wobei man noch nicht weiß, welche und wie viele Plätze das sein werden. Vielleicht ein kleiner Trost: Am Ende, wenn die Musik ­beginnt, zählt nur noch die Musik.

Empfehlungen für Einsteiger

Teodor Currentzis dirigiert Mozart und Beethoven
Teodor Currentzis dirigiert Mozart und Beethoven © Mischa Blank | Mischa Blank

Wenn schon, denn schon. Deswegen gibt es auch für die ersten Begegnungen mit klassischer Musik nichts Besseres als zwei der Wichtigsten gleich zu Beginn: Beethoven und Mozart. Eine ideale Einstiegsdroge dürfte das Konzert des Dirigenten Teodor Currentzis mit seinem Orchester MusicAeterna sein, das am 20. April zu erleben sein wird. Und erleben ist nun wirklich nicht untertrieben, denn der Grieche ist reichlich unorthodox beim Umgang mit den ach so hehren Klassikern. Auf seinem Programm stehen Mozarts „Figaro“-Ouvertüre und das G-Dur-Klavierkonzert KV 453, dazu Beethovens 7. Sinfonie. Und wer diese Stücke von ihm hört (und sieht), wird sie womöglich so schnell nicht mehr anders haben wollen (Karten: 23 bis 109,90 Euro).

Auf dem Papier liest sich das Programm, mit dem die derzeit heiß gehandelte Mirga Gražinyte-Tyla und ihr City of Birmingham Symphony Orchestra am 25. November im Großen Saal gastieren, nicht gerade wie harmloses Anfängerglück: Mozarts „Zauberflöte“-Ouvertüre, das Elgar-Violinkonzert, Messiaens Mozart-Hommage „Un sourire“ und Debussys „La Mer“. Doch das täuscht, denn die Kombination macht‘s. Und oft wird Musik für komplizierter und widerspenstiger gehalten, als sie ist (12 bis 98 Euro).

Das Tingvall Trio spielt am 8. November im Großen Saal
Das Tingvall Trio spielt am 8. November im Großen Saal © HA | Sven Haberland

In dieser Saison hat der Jazz-Pianist Brad Mehldau die Messlatte für Klaviertrios ziemlich hoch gehängt. In der nächsten wird das Tingvall Trio am 8. November im Großen Saal hoffentlich nicht nur seine schon vorhandenen Fans beglücken, sondern auch dafür sorgen, dass immer mehr Jazz-Interessierte entdecken, wie abwechslungsreich und modern dieses klassische Besetzungsformat ist (Karten: 10 bis 47 Euro).

Murray Perahia spielt mit der Academy of St. Martin in the Fields Beethovens Klavierkonzerte
Murray Perahia spielt mit der Academy of St. Martin in the Fields Beethovens Klavierkonzerte © Felix Broede | Felix Broede

In den fünf Klavierkonzerten, die Ludwig van Beethoven schrieb, ist genügend Stoff für Fragen und Antworten, die auf Sinn und Zweck von Musik und dem Rest der Welt abzielen. Dass Murray Perahia diesen Konzertzyklus mit der Academy of St. Martin in the Fields vorstellt (31. Oktober bis 5. November) ist ein Glücksfall. Dort kann man sich fern von adrett aufstrebenden Talenten auf Wesentliches konzen­trieren (Karten: 28,50–138,50 Euro).

Empfehlungen für Fortgeschrittene

Der Komponist Karlheinz Stockhausen ist Musikfest-Thema im Mai 2018
Der Komponist Karlheinz Stockhausen ist Musikfest-Thema im Mai 2018 © dpa | Roland Scheidemann

Die Elbphilharmonie ist ein Konzerthaus des 21. Jahrhunderts, was auch bedeutet, dass die Klassiker des 20. Jahrhunderts, weil sie inzwischen Klassiker sind, dort einen prominenten Platz bekommen sollten – schon, weil sie oft spezielle Raumbedingungen benötigen. Deswegen ist es konsequent, dass beim Musikfest im Mai 2018 Werke von Karlheinz Stockhausen geplant sind. Was ­genau, wird noch nicht verraten. Doch was auch immer kommen wird – es sind Pflichttermine für die Horizonterweiterung.

Der kompromisslose Geiger Gidon Kremer spielt Musik von Luigi Nono
Der kompromisslose Geiger Gidon Kremer spielt Musik von Luigi Nono © Angie Kremer | Angie Kremer

Radikales Kontrastprogramm zu Stockhausen Klangmassen: ein Musiker, eine Violine. Am 27. November wird der in vielerlei Hinsicht kompromisslose Geiger Gidon Kremer die Bühne im Kleinen Saal betreten. Klingt nach Bachs Solo-Werken, könnte man meinen, was man dann halt so erwarten würde. Doch Kremer spielt nichts Barockes und nichts Erwartbares. Sondern würdigt den Italiener Luigi Nono, dessen Musik jahrelang in Hamburg viel zu ungespielt und viel zu unbekannt blieb, seit Ingo Metzmacher ihn mit einem Musikfest-Schwerpunkt betonte. „La lontananza nostalgica utopica ­futura“ ist ein Stück für Violine, Live-Elek­tronik und Raumwirkung, eine Expedition in eine andere Klangwelt, ergänzt durch einige Präludien des Russen Mieczysław Weinberg, für dessen Musik er sich stark macht wie kein anderer. (Karten: 9 bis 42 Euro).

Die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan dirigiert auch
Die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan dirigiert auch © HA | Elmer de Haas

Schon als Lulu an der Staatsoper war Barbara Hannigan brillant. Doch die kanadische Sopranistin kann mehr als singen, seit einigen Jahren dirigiert sie auch, mit packender Eindringlichkeit und Intensität. Am 11. Dezember wird sie das eine tun und das andere nicht lassen: Bei einem Konzert mit dem Ensemble „Ludwig“ singt und dirigiert sie Berg, ­Debussy, Schönberg und Gershwin. (12 bis 78 Euro).

Das Programm ist nicht neu, doch akut: „Behind The Lines“ hat Sopranistin Anna Prohaska ihren Liederabend genannt, den sie am 18. April gibt. Ein unbequemer Abend, der den Ausbruch des Ersten Weltkriegs thematisiert, bei Beethoven ­beginnt, Mahler, Schumann, Schubert und Ives streift und bis zu Eislers „Kriegslied eines Kindes“ reicht. (Karten: 10 bis 47 Euro).

Empfehlungen für Wagemutige

Schauspielerin Sophie Rois liest Jelinek im
Schauspielerin Sophie Rois liest Jelinek im "Winterreisen"-Sortiment © Thomas Aurin | Thomas Aurin

Platz für Radikales ist selbst dort, wo man es nicht vermutet hätte. Deswegen dürfte das von November 2017 bis März 2018 im Spielplan verstreute „Winterreisen“-Sortiment mit seinen sieben Mutationen von Schuberts Liederzyklus viel Abgründiges und Unberechenbares freisetzen: Matthias Goerne singt zwar die Originale, wird aber umrahmt von William Kentri­dges Projektionen; Sophie Rois liest Jelinek, es gibt eine elektronisch verfremdete Bearbeitung und eine mit Drehleier.

Matthias Goerne singt Schuberts Liederzyklus
Matthias Goerne singt Schuberts Liederzyklus "Winterreise" © Marco Borggreve | Marco Borggreve

Was an Berlioz’ „Dramatischer Legende“ „La Damnation de Faust“ wagemutig ist, nach 150 Jahren noch? Die Wildheit, mit der Berlioz seine Klangwelt schuf und diese Geschichte erzählt. Und wenn – wie für den 5. Juni 2018 ­geplant – der große, großartige, einzigartige, unvergleichliche Bassbariton Bryn Terfel den Mephisto singt, benötigt man wegen der Rollenpräsenz des Walisers nicht nur auf den Plätzen direkt vor der Bühne starke Nerven (Karten: 12 bis 98 Euro).

Bassbariton Bryn Terfel singt den Mephisto
Bassbariton Bryn Terfel singt den Mephisto © Benjamin Ealovega / DG | Benjamin Ealovega / DG

Zwei Tage lang machen dürfen, was man will. Dieses riskante Glück wird dem US-Amerikaner Bryce Dessner gewährt, der einerseits Komponist ist und andererseits Gitarrist in der Band „The National“. Am 20. und 21. Oktober spielt er Eigenes und anderes, unter anderem mit den Symphonikern, der Singer-Songwriterin Lisa Hannigan und dem Ensemble Resonanz.

So ranschmeißerisch der Festival-Name „Greatest Hits“ auch klingt, so verkehrt ist er. Der Franzose ­Gérard Grisey, 1998 gestorben, war einer der großen Sonderlinge des späten 20. Jahrhunderts, was er schrieb, wurde „Spektralmusik“ genannt, weil es sich mit kniffligen Obertonphänomenen beschäftigt. Muss man nicht unbedingt wissen, braucht man nicht bis ins letzte Detail zu erklären. Sollte man aber auch nicht verpassen, wenn Griseys „Les espaces acoustiques“ am 4. November vom NDR Elbphilharmonie Orchester (Dirigent: Stefan Asbury) im Großen Saal in der „Monolithen“-Reihe präsentiert wird. Grisey hatte elf Jahre an diesem Stück gearbeitet, er folgte dabei seiner Devise: „Musik wird aus Klängen ­gemacht, nicht aus Noten.“

Empfehlungen für die ganze Familie

Dirigent Thomas Hengelbrock leitet das NDR Elbphilharmonie Orchester
Dirigent Thomas Hengelbrock leitet das NDR Elbphilharmonie Orchester © dpa | Daniel Bockwoldt

Logische erste Anlaufstelle für musik­interessierte Familien sind die „Funkelkonzerte“, die es, nach Altersklassen unterteilt, in mehreren Größen gibt: von XS (Babykonzerte) bis XXL (ab zehn Jahren). Sie finden, musikpädagogisch portioniert, nicht nur in den Konzertsälen statt, sondern auch in den Kaistudios, außerdem gastieren sie in mehreren Stadtteilen. Insgesamt sind über 50 Konzerte in der nächsten Spielzeit geplant.

Countertenor Philippe Jaroussky, begleitet vom Ensemble Artaserse, kehrt nach seinen umjubelten Abenden als einer der Residenzkünstler der Spielzeit nach Hamburg zurück
Countertenor Philippe Jaroussky, begleitet vom Ensemble Artaserse, kehrt nach seinen umjubelten Abenden als einer der Residenzkünstler der Spielzeit nach Hamburg zurück © Simon Fowler | Simon Fowler

Wenn man voraussetzt und akzeptiert, dass man nie zu jung ist für wunderschöne Musik und erst recht nie zu alt, sollte der 7. November als Konzert-Datum im Familien-Kalender eingetragen werden. Und mit Herzblut-Rot unterstrichen werden sollte er auch. Denn davon wird einiges fließen, wenn der französische Countertenor Philippe Jaroussky, begleitet vom Ensemble Artaserse, nach seinen umjubelten Abenden als einer der Residenzkünstler der Spielzeit nach Hamburg zurückkehrt. Es gibt Händel, Opern-Arien, Barock vom Allerfeinsten. Arien, die sanft und erbarmungslos tief in die Seele schauen, erst recht, wenn sie von Jaroussky gesungen werden.

Krzysztof Urbanski dirigiert ein All-Star-Programm
Krzysztof Urbanski dirigiert ein All-Star-Programm © HA / A.Laible | Andreas Laible

So schön es ist, sich den intellektuellen Herausforderungen später Beethoven-Quartette zu stellen – manchmal tut es auch ein Abend aus der Abteilung „guilty pleasure“, ein Konzert, bei dem nur noch Popcorn und Kaltgetränk fehlen. Das NDR Elbphilharmonie hat davon im Rahmen des Musikfests 2018 gleich drei Abende im Angebot: Krzysztof Urbanski dirigiert am 10., 12. und 13. Mai ein All-Star-Programm: Zuerst die „Planeten“-Suite von Gustav Holst, die ständig so klingt, als wäre sie Filmmusik. Danach die „Star Wars“-Suite von John Williams. Filmmusik, wie es filmmusikalischer nicht geht.

Gäbe es die Kategorie „ausverkaufter als ausverkauft“, die einstündigen „Konzerte für Hamburg“ des NDR-Orchesters wären dort präsent. Weil sie, auch wegen der günstigen Karten, so beliebt waren, kommen sie wieder. Allerdings bislang nur mit einer einzigen Vierer-Serie, die am 19. Juni 2018 beginnt und am 25. Juni 2018 endet. NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock dirigiert. Was, wird erst im Januar verraten.

Empfehlungen für Weltenbummler

Carminho – eine neue Stimme des Fado
Carminho – eine neue Stimme des Fado © HA | Leo Aversa

Schon in der ersten (Halb-)Saison waren und sind in der Elbphilharmonie Musiker aus aller Welt, etwa aus Asien und Afrika, zu erleben. Das setzt sich in der Saison 2017/2018 fort und verspricht ganz besondere Hörerlebnisse, musikalische Horizonterweiterungen, die lange nachklingen. So wird mit Carminho am 11. November 2017 eine der neuen Stimmen des Fado, dieser portugiesischen Variante des Blues, in den Großen Saal kommen und ein spezielles Programm präsentieren: die sehnsüchtig-melancholischen Bossa-Nova-Nummern des großen Tom Jobim (Karten: 10 bis 68 Euro).

Rokia Traoré aus Mali verbindet die traditionelle Musik ihrer Heimat mit flirrenden Gitarrenmelodien
Rokia Traoré aus Mali verbindet die traditionelle Musik ihrer Heimat mit flirrenden Gitarrenmelodien © picture alliance / AA | dpa Picture-Alliance / Mustafa Yalcin

Wohl kein anderes afrikanisches Land hat eine solche Dichte an fantastischen Musikern wie Mali. Vom Wüstenblues eines Ali Farka Touré bis zum psychedelischen Tuareg-Rock von Tinariwen: grandios. In diese Linie gehört auch die Sängerin und Gitarristin Rokia Traoré, die die traditionelle Musik ihrer Heimat mit geradezu flirrenden Gitarrenmelodien verbindet und – besonders aufregend – Chansons von Jacques Brel oder Léo Ferré interpretiert. Am 12. März 2018 ist sie zu Gast im Großen Saal (Karten: 10 bis 57 Euro). Noch mehr Mali? Kein Problem: Bereits am 30. September 2017 kommen Toumani und Sidiki Diabaté, Virtuosen an der Kora, einer Stegharfe, in den Kleinen Saal (Karten: 9 bis 31 Euro). Wer es filigran und verspielt mag, dürfte an diesem Abend das Konzerthaus mit einem seligen Lächeln verlassen.

Alim Qasimov ist in seiner Heimat Aserbaidschan ein echter Superstar
Alim Qasimov ist in seiner Heimat Aserbaidschan ein echter Superstar © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Pawel Supernak

Ein echter Superstar – jedenfalls in seiner Heimat Aserbaidschan – ist auch im Angebot: Sänger Alim Quasimov, Vertreter der traditionellen Mugam-Musik aus dem Kaukasus, ein Vokal-Derwisch mit riesigem Stimmumfang. Begleitet wird er am 1. April 2018 im Großen Saal von seiner Tochter Fargana und einer Band, die mit Spießgeige, Schalmei, Langhalslaute und Rahmentrommel zum besonders genauen Hinhören einlädt (Karten: 8 bis 42 Euro).

Und noch eine der ganz großen Stimmen dieser Welt wird zu erleben sein: Mit Faiz Ali Faiz aus Pakistan kommt der Großmeister des ekstatischen Qawaali-Gesangs am 25. April 2018 in den Kleinen Saal (Karten: 9 bis 31 Euro).

Weitere Infos: elbphilharmonie.de