Hamburg. Jetzt, wo die Tage lang sind, greifen wir Nordlichter gerne zur Unterhaltungslektüre. Das Abendblatt empfiehlt fünf Bücher.
Beinah jeder Verlag hat ihn im Programm: den Sommerroman. Es gibt ihn in unterschiedlichen Ausführungen. In der einen Variante gehört der Sommerroman noch in den Bereich der „schön“ genannten Literatur und stammt zum Beispiel von Nobelpreisträger Patrick Modiano, dessen Büchlein vor allem leicht von Gewicht sind. 150 Seiten wiegen nicht viel. Die andere Version des Sommerromans ist das klassische Strandtaschenbuch mit luftigstem Inhalt. Um dieses klassische Strandtaschenbuch soll es hier gehen. Es besticht durch die Pastellfarbigkeit seines Covers, den Verzicht auf beinah jegliche formale Anstrengung, den Glauben an Einfachheit, den Appell an unsere Gefühle – und die Herkunft aus Hamburg. Alle fünf Autorinnen und Autoren in unserem Sommerbuch-Check stammen aus der Freien und Hansestadt. Dort mag man nicht nur Tiefgang, sondern auch seichte Wasser.
1. Petra Hülsmann: Das Leben fällt, wohin es will
Idee/Inhalt: Höhere Tochter aus Hamburg, deren Vater eine Werft für Segelboote besitzt, wird unsanft aus ihrer Party-Existenz gerissen, als die Schwester schwer erkrankt. Jetzt muss Marie in doppelter Hinsicht reifen – zum einen Hege und Pflege der Kinder ihrer Schwester, zum anderen deren Posten im Familienbetrieb übernehmen. Dort arbeitet der garstige Daniel, der ihr direkter Vorgesetzter ist. Aber ganz so garstig ist er gar nicht, und er kann sogar segeln. Ob sie wohl gemeinsam in den Liebeshafen einlaufen? Und ob Marie ihre Lektion lernt, wonach Familie alles, Hedonismus aber gar nichts ist? Hamburg ist jedenfalls der heimliche Hauptdarsteller: Störtebecker, „Rickmer Rickmers“, HafenCity, Atlantic, Othmarschen – die Autorin ist, sagen wir: sehr deutlich darin, den Handlungsort zu benennen. Nach dem letzten Kapitel geht es kalorienreich weiter: mit dem Rezept von „Frau Brohmkamps Apfelkeksen“.
Voraussetzung fürs Leservergnügen: Anker-Tattoo auf der Schulter.
Charakteristischer Satz I: „Ich lief von unserer Wohnung zur S-Bahn-Haltestelle Sternschanze, fuhr zu den Landungsbrücken und quetschte mich dort mit etwa vierhundert Touristen und zweihundert Hamburgern auf die Fähre, um auf die andere Elbseite nach Finkenwerder zu fahren.“
Charakteristischer Satz II: „Jo, do bin ick dorbi.“
Kitsch-Koeffizient: 8 von 10
Seicht-Skala: 8 von 10
Flieder-Faktor: 6 von 10
Hamburg-Referenz in den Angaben zur Autorin: „Lebt mit ihrem Mann in ihrer Lieblingsstadt Hamburg.“
2. Jochen Siemens: Besuch von oben
Idee/Inhalt: Eltern sind seit 22 Jahren tot und stehen plötzlich vor der Tür – Ferien vom Jenseits. Und Stress für den Sohn, die Hauptfigur. Der muss nun sich, sein Leben, die ihnen fremde Gegenwart (Internet? Was’n das?) erklären. Eltern-Kind-Beziehung mal anders und von hintenraus gedacht, beziehungsweise: Ein Was-wäre-wenn-Spiel mit übrigens manchmal tatsächlich echtem Rühr-Effekt.
Voraussetzung fürs Lesevergnügen:
Sinn fürs Übersinnliche.
Charakteristischer Satz: „Ich glaube, dass alles, was man als junger Erwachsener macht, ob man sein erstes Geld verdient, ein Haus baut, eine Frau heiratet oder nicht, als Fußballspieler ein Tor schießt, ein neues Auto erfindet, als Künstler ein Bild malt oder als Arzt ein Herz operiert; dass man das eigentlich für die Eltern macht, die auf der Tribüne des eigenen Lebens sitzen.“
Kitsch-Koeffizient: 6 von 10
Seicht-Skala: 4 von 10
Flieder-Faktor: 5 von 10
Hamburg-Referenz in den Angaben zum Autor: „Lebt in Hamburg.“
3. Birgit Hasselbusch: Sommer in Villefranche
Idee/Inhalt: Von der Liebe enttäuschte, nicht mehr ganz junge Hamburgerin flieht an die Côte d’Azur, wo sie über Umwege eine Pension aufmacht, ein weiteres schändliches Mannsbild kennenlernt, aber auch Mathieu wiedertrifft. Im Angebot: heiraten an der azurblauen Küste. Oder so. Noch wichtiger aber ist dauerhaftes Parlieren vor mittelmeerischer Kulisse – 90 Prozent des Textes besteht aus Dialog, beliebtes Mittel dort: der Aussagesatz mit Ausrufezeichen.
Voraussetzung fürs Lesevergnügen: Leserprofil weiblich, Mitte 40, mittelschwer frustriert. Und: Frankophilie.
Charakteristischer Satz I: „Ich hatte dem Mann, der dreizehn Monate lang der Farbtupfer meines Lebens gewesen war, den Hahn abgedreht.“
Charakteristischer Satz II: „Bonjour. Insa Nicolaisen hier. Könnten Sie mich bitte zurückrufen? Merci!“
Kitsch-Koeffizient: 7 von 10
Seicht-Skala: 8 von 10
Flieder-Faktor: 8 von 10
Hamburg-Referenz in den Angaben zur Autorin: „Lebt in ihrer Heimatstadt Hamburg
4. Sylvia Lott: Die Fliederinsel
Idee/Inhalt: Celia Brandes macht Urlaub auf der Dänen-Insel Fünen. Sie hat einen jüdischen Background. Ihre Vermieterin Ingrid/Inger hat auch einen jüdischen Background. Einen dramatischen: Ihre Eltern flohen einst vor den Nazis aus Berlin nach Skandinavien und später nach Palästina. Dabei lassen sie die kleine Tochter zurück, sie wächst fortan bei dänischen Zieheltern auf. Nach der Rückkehr aus Palästina kommt es zu einer Art Wahlverwandtschaft: Ruth, Ingers Mutter, und der Ziehvater verlieben sich. Der Vater geht nach Israel, die Ziehmutter zieht ebenfalls verletzt von dannen. Da steckt viel Gefühl drin – und das auf gleich zwei Erzählebenen! Eifersucht, Abschied, Versöhnung, große Liebe und auch ein bisschen Völkermord. Aber nicht zu viel. Lieber mehr Flieder: Den malt die Künstlerin Ruth vorzugsweise. Weil Schönheit immer über die Dunkelheit siegt.
Voraussetzung fürs Leservergnügen: Bock auf Dänemark. Historische Aufgeschlossenheit. Kleenex.
Charakteristischer Satz I: „Es machte doch was aus, wenn man mal ausschlafen konnte!“
Charakteristischer Satz II: „Mutter, Deutschland liegt in Trümmern.“
Charakteristischer Satz III: „Eine Liebeserklärung an die dänische Insel Fünen und den Flieder“, schreibt „Wohnen & Garten“.
Kitsch-Koeffizient: 7 von 10
Seicht-Skala: 6 von 10
Flieder-Faktor: 10 von 10
Hamburg-Referenz in den Angaben zur Autorin: „Ist gebürtige Ostfriesin und lebt in Hamburg.“
5. Gabriella Engelmann: Strandfliederblüten
Idee/Inhalt: Die Hamburger Journalistin Juliane ist vom Schicksal geschlagen. Sie verliert Job (bei der, Achtung, „Herself“) und Freund. Praktisch: Großmutter Ada vererbt ihr ein Haus (samt Leuchtturm!) auf einer Insel: der Hallig Fliederoog. Dort findet sie sich selbst, denn sie kennt das perfekte Rezept: Stadtflucht, Vergangenheitsbewältigung, Meditation, Seeluft. Und neue berufliche Perspektiven: Warum nicht draußen auf dem Meer ein „Auszeithaus“ gründen? Für andere Ottensen-Exiter beispielsweise. Pastellfarben illustrieren aufs Vortrefflichste die Esoterik des Ausstiegs. Weshalb die Autorin eine Hallig namens Fliederoog erfunden hat. Mehr Flieder geht nicht! Nach der eigentlichen Handlung dieses „Wohlfühlromans“ (Klappentext) gibt’s übrigens noch „Gabriellas Achtsamkeits-Tipps“ (Punkt drei: „Ausmisten und aufräumen“) und einen „Song zum Roman“.
Voraussetzung fürs Lesevergnügen: Empfänglichkeit für Sinnsprüche. Bock auf Erleuchtung. Bock auf Grünkohl.
Charakteristischer Satz I: „Der Samstagmorgen schenkte Ottensen sein strahlendstes Lächeln – und die Einwohner des quirligen Stadtviertels erwiderten es, indem sie ihren Galão vor den Türen der Straßencafés tranken und bunte Frühlingsblumen kauften.“
Charakteristischer Satz II: „Keuchend erreichte ich die obere Etage des Leuchtturms.“
Kitsch-Koeffizient: 8 von 10
Seicht-Skala: 8 von 10
Flieder-Faktor: 11 von 10
Hamburg-Referenz in den Angaben zur Autorin: „Die gebürtige Münchnerin entdeckte in Hamburg ihre Freude am Schreiben und fühlt sich im Norden pudelwohl.“