Hamburg. Der Pianist Murray Perahia gab in der Laeiszhalle ein denkwürdiges Konzert mit Werken von Bach, Schubert, Mozart und Beethoven.
Bach – Schubert – Mozart – Beethoven. Kein Schlenker, keine Deko, nur Essenz. Für so einen Abend muss man vermutlich das eine oder andere Jahrzehnt gelebt haben – und ganz bestimmt muss man dafür ein Pianist von der Klasse Murray Perahias sein. Bei seinem Recital im Großen Saal der Laeiszhalle war es geradezu körperlich spürbar, wie der Amerikaner, er ist vor Kurzem 70 geworden, sein Publikum auf die bezwingende Klarheit seines Spiels einschwor.
Es begann mit der Französischen Suite E-Dur von Bach, einer Folge von Tanzsätzen – jedenfalls der Bezeichnung nach. Dabei hat Bach den Tanzcharakter bisweilen nur angedeutet, denn die Suite war für eine konzertante Aufführung gedacht. Perahia interpretierte die acht Sätze als Miniaturen mit je eigener Stimmung, von tief nachdenklich bis kraftvoll auftrumpfend. Traumwandlerisch sicher in der Wahl seiner Tempi, gab er der Musik einen sehr persönlichen, eher romantischen Stil.
Sein Spiel hatte nichts Plakatives
Dagegen wirkten die vier Impromptus op. 142 von Schubert in ihrer Gefasstheit beinahe klassisch. Perahia fand die Kostbarkeiten dieser Musik, Schuberts bestürzendes Changieren zwischen Trostlosigkeit und Leichtigkeit, in kleinsten Details. Sein Spiel hatte nichts Plakatives an sich. Dieser Pianist musste niemandem etwas beweisen. Stattdessen erzählte er in jeder Wendung eine Geschichte und stellte noch die rasantesten Läufe in den Dienst des musikalischen Zusammenhangs. Selten erlebt man das Publikum in der Laeiszhalle so gebannt.
Nach der Pause folgte das tiefernste Rondo a-Moll von Mozart. In wenigen Tönen spannte Perahia riesige Bögen auf. Faszinierend, wie er Pausen gestaltete und wie frei sich die Melodiestimme über dem unerbittlich durchlaufenden Puls des Basses bewegen konnte. Den singenden Ton schien er aus den Flügeltasten einfach herauszustreicheln.
Wanderung in immer entrücktere Höhen
Schlussstein dieses denkwürdigen Abends war die Sonate c-Moll op. 111 von Beethoven, seine letzte. Zwei Sätze hat sie nur. Im ersten stellt Beethoven Wutausbrüche und Idyllen übergangslos nebeneinander wie Findlinge. Perahia stürzte sich förmlich in diese archaische Landschaft, ließ alle Contenance hinter sich – ein Beckmesser, wer sich an den paar falschen Tönen gestört hätte – und führte die Hörer bis an den Rand des Höllenschlunds, der sich im Bassregister auftat.
Ganz anders der zweite Satz, überschrieben „Arietta“, der in hellem, unbewegtem Dur begann. Auch hier entlockte Perahia dem Instrument von Variation zu Variation eine verblüffende Fülle fein abgestufter Klangfarben. Es war, als folgte man ihm auf eine Wanderung in immer entrücktere Höhen, wie in Trance, mündend in die überirdische Ruhe des Schlusses.
Nach dem letzten Ton wagte sekundenlang niemand zu klatschen. Erst langsam fanden die Anwesenden wieder zurück ins Jetzt. Was für ein Gemeinschaftserlebnis.